Schnitzel
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Der Fortschritt hat es so an sich

dass er größer ausschaut

als er ist.

(so ungefähr Johann Nestroy)

 

 

 

Mühlen mahlen langsam

 

 

     

Verschiedene Mailsorten

 

     

Vom Korn zum Mehl ist es ein weiter Weg und nicht nur Gottes Mühlen mahlen langsam, sondern auch die meisten Mehl (=Mail)-Empfänger, obwohl sie die Buchstaben gar nicht mehr zu malen brauchen, weil sie eine Tastatur haben. 

     

Mailsorten

Als ich mich im letzten Mai dieses herrlichen Jahrtausends zu einem Symposium mit dem fortschrittlichen Thema "Neue Medien" anmeldete, tat ich das als ebensolcher Mann mit einem e-mail.

 

Die elektronische Post ist bekanntlich etwa 6.000 Mal pro Sekunde schneller als ein durchschnittlicher Windhund in der Stunde, daher blieb ich gleich an meinem Computer sitzen, erwartungsvoll der Antwort harrend.

 

"Ruf doch einfach an", rief meine Freundin mir nach einigen Tagen aus der Küche zu - wir sind nämlich ein traditionsreicher Haushalt.

 

"Nein", antwortete ich, "e-mails sind billiger und vor allem rasend schnell. Ich versuche es ein zweites Mehl, ich meine natürlich Mal."

 

Die Frühlingstage vergingen wie im Flug, der nasse Sommer 1999 zog ins Land. Ich bemerkte ihn nicht, denn ich startete in regelmäßigen Abständen weitere Versuche einer Anmeldung. Abwechselnd ver-wendete ich die verschiedenen e-mail-Adressen, denn der Adressat war eine besonders fortschrittliche Organisation und hatte daher bereits mehrere e-mail-Adressen.

 

Im Oktober, der Termin des Symposiums rückte näher und näher, meine Freundin war ausgezogen und hatte mich stark untergewichtig zurückgelassen, startete ich entnervt meinen letzten Versuch. Diesmal mit einem antiquierten Gerät, einem sogenannten Fax (Ältere werden sich noch daran erinnern können), denn ich wollte etwas Abwechslung in mein mailiges (mehliges) Dasein bringen. 

 

Und endlich geschah das Wunder – eine Antwort traf ein!

 

"Lieber Interessent,

 

leider sind in diesem Jahr bereits alle Plätze vergeben.

Wir bieten Ihnen aber gerne unser schnelles Anmeldeservice für das Jahr 2000 an.

 

Melden Sie sich gleich an, dann haben Sie eine Platzgarantie im nächsten Jahrtausend. Sie erreichen uns am schnellsten per e-mail!

 

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Symposium Neue Medien"

 

Natürlich, werden Sie einwerfen, handelt es sich hiebei um einen Einzelfall, der keinen Anspruch auf Objektivität erhebt. Auch sind einige wenige Dinge übertrieben dargestellt - meine Freundin ist zum Beispiel nicht ausgezogen, und ich koche gerade Wiener Schnitzel.

 

Jedenfalls begann ich, den Einzelfall "Anmeldung zum Symposium" auf seine allgemeine Gültigkeit hin zu überprüfen, wobei ich als Untersuchungsgegenstand abwechselnd ein privates und ein öffentliches Unternehmen verwendete.

 

Ich kann nunmehr meine Ergebnisse einer kleinen Öffentlichkeit präsentieren:

 

Ein privates EDV-Unternehmen, das auch Software verkauft, war so virtuell, dass es auf mails überhaupt nicht reagierte. Bei einem Anruf - immerhin, das Telefon funktionierte tadellos - wurde mir erklärt, dass der e-mail-Server des EDV-Unternehmens leider nicht funktionierte.

 

Der Abteilungsleiter eines öffentlichen Unternehmens entschuldigte sich vielmals dafür, dass gerade renoviert werde und meine mails auf unerfindliche Weise dabei verloren gegangen seien.

 

Eine Bank, die mit einer Telefongesellschaft verwandtschaftliche Beziehungen pflegt, war so diskret, dass sie meine Anfrage bezüglich Anlage meines - wahrscheinlich zu bescheidenen - Vermögens gar nicht beantwortete. Vielleicht eine dezente Aufforderung, bei kleinen Beträgen lieber kein Risiko einzugehen.

 

Ein privater Festnetzanbieter antwortete immerhin nach einer Woche, nachdem ich per Fax einen Beschwerdebrief abgesandt hatte.

 

Die sogenannten "Online-Supports" diverser EDV-Unternehmen (ihre Namen sind Schall und Rauch, denn es gibt sie überall) geben zwar immer stolz ihre e-mail-Adressen an, aber ich habe mit einer Ausnahme noch nie eine Antwort auf ein e-mail bekommen.

 

Nach all diesem subjektiven Frust (gibt es einen objektiven?) tröstete mich eine Umfrage aus der Schweiz. Dort testete man die durchschnittliche Dauer von Antworten auf e-mails und kam zu folgendem Ergebnis:

 

Ein großer Einzelhändler (privat) unseres tüchtigen Nachbarn benötigte durchschnittlich 17 Tage für eine Antwort, das größte Telekommunikationsunternehmen immer noch 6 Tage.  Mc Donalds (privat) und die Schweizer Bahnen (öffentlich) schafften es in 1 Tag. Der Unterschied zwischen Privatwirtschaft und Staatseigentum ist also, wenn man das Service betrachtet, marginal.

 

Am Ende meiner Untersuchung keimt in mir ein schrecklicher Verdacht: Ist der Fortschritt vielleicht gar kein Fortschritt, sondern nur ein Spielzeug für erwachsene Männer, in denen bekanntlich ein Kind ist und das will spielen? Dann wäre es viel einfacher, der Postbote käme auf einem edlen Rappen zu mir! Erstens wäre diese Art der Beförderung umweltfreundlicher und zweitens wären die Mehle, ich meine, die Briefe schneller bei mir.

Erschienen 1999

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