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Der ORF berichtet 

 

 

     

 

     

„Der Nabel ist mein ganzes Hirn.“

 

Unter diesem Motto standen die Informationssendungen des ORF der vergangenen Woche. Der öffentlich-rechtliche Sender Österreichs überschlug sich vor Exklusivität in Sachen Entsetzen. Nach Lassing folgte nun Galtür, und wahrscheinlich haben die Sensationsreporter nur bedauert, dass nicht gerade das große Sommerloch war.

 

„Bekommt ein Vater, der sein Kind unter der Lawine verloren hat, nicht Schuldgefühle?“, fragt ein atemloser Reporter einen Psychologen, der in das Krisengebiet geflogen wurde. Der schwieg ein wenig betreten und antwortete dann, dass das nicht gerade jenes Problem sei, das man derzeit lösen konnte und wollte. Der rasende Reporter war zufrieden und gab schwer atmend zurück in die Zentrale.

 

Überhaupt war das die Woche der Atemlosen. Kaum ein Satz, der nicht vor Erregung zitterte.

 

Einen Tag später wandte man sich aufgeregt einem Bewohner von Galtür zu, mit der unendlich tiefgründigen Frage, die da lautete: 

„Wie haben Sie das Ganze miterlebt?“

 

So verlief die letzte Woche, da die Medien unter Führung des ORF zeigten, dass ihnen jedes Unglück ein großes Glück ist, nämlich das, darüber erbarmungslos zu berichten. Verletzte werden auf Bahren tranportiert, verfolgt von mindestens drei Kameras. Es ist ein entwürdigendes Schauspiel. Menschliches Elend, Trauer und Tod als quotensteigerndes Elixier.

 

Dazwischen ein wenig von dem, was außerhalb des Nabels liegt: Ein Kardinal entlässt seinen engsten Mitarbeiter per Brief, die Verhandlungen über den Krieg im Kosovo gehen weiter, alles nicht so wichtig. Selbst Österreichs berühmter Vielleicht-Briefbomben-Attentäter geht unter. Und das Ganze nennt sich „Informationsgesellschaft“! Am ehesten in dem Sinne, dass die Art und Weise, wie informiert wird, mehr über den Zustand der Gesellschaft informiert als die Information selbst.

 

***

 

Frau Schaffenrath, Bildungssprecherin einer politischen Partei, informierte Österreich von ihrer neuesten Idee: Schulen sollen autonom den morgendlichen Schulbeginn festlegen.

 

Eine tolle Sache. Und mindestens so aufregend wie ihr früherer Vorschlag, Österreichs Lehrerinnen und Lehrer 40 Stunden in der Schule sitzen zu lassen. Da es dort keine Räume mit Infrastruktur gibt, hatte Frau Schaffenrath eine tolle Lösung: die Lehrerinnen und Lehrer sollen einfach in den Klassenräumen arbeiten. Das geht ganz einfach, indem alle Pädagoginnen und Pädagogen sich einen fahrbaren Büroschrank anschaffen, in dem sich Computer, Bücher, Papier und Klassenarbeiten befinden. Dieser Schrank wird dann ab Mittag oder gegen Abend, je nach Schultyp, in die Klassen geschleppt und nach getaner Arbeit wieder zurück ins ... ja, wohin eigentlich? Am besten in den Keller. Aber wer hilft beim Transport? Die Schulwarte sicher nicht. Alles nicht so einfach. Außer für Frau Schaffenrath, die als Lehrerin an der Berufspädagogischen Akademie in Innsbruck tätig ist, nein, bald wieder sein wird. Hoffentlich zur Freude ihrer Schülerinnen und Schüler. Und mit Büroschrank.

     

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Aber zurück zum Vorschlag mit den autonomen Schulbeginnzeiten:

 

Österreich ist frei, sagte Leopold Figl nach Abschluss des Staatsvertrages, nun soll es noch freier, sozusagen liberal im Sinne von Frau Schaffenrath werden. Etwa so: die HTL beginnt um 9 Uhr, weil die Schülerinnen und Schüler gerne bis 19 Uhr abends werken, die Hauptschule Hötting um 8 Uhr 19, denn das war der Kompromiss des Schulgemeinschaftsausschusses und das Akademische Gymnasium um 7 Uhr, weil Morgenstunde Gold im Munde hat. Und die Eltern werden wahnsinnig, weil sie nicht mehr wissen, wann welches Kind das Haus verlassen soll. Kein Problem, meint Frau Schaffenrath, dann müssen in den Schulen eben Betreuungsmöglichkeiten geboten werden. Da werden sich die Kinder aber freuen, wenn sie zur gleichen Zeit wie immer in der Schule sein müssen, aber dann später nach Hause gehen dürfen!

 

Natürlich ist es schwer, in die Medien zu gelangen, wenn gerade extreme Lawinengefahr herrscht. Aber muss man den ORF deshalb gleich an Gedanken-, pardon, Atemlosigkeit überbieten?

 

 

 

 

Erschienen 1999

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