Kein Politiker lügt!
Das
glauben Sie nicht?
Dann werde ich es Ihnen beweisen!
Nehmen wir den weit über
unser Land der Berge hinaus bekannten Bundeskanzler. Der versprach uns
vor den vorletzten Wahlen als Vizekanzler, dass er auf der Stelle
die Oppositionsrolle übernehmen würde, wenn seine Partei die
vorletzte wird. Nun, das Unglaubliche geschah, die ÖVP errang den 3.
Platz.
Was
geschah?
Der baldige Bundeskanzler
ging auf der Stelle in die Opposition. Auf jeden Fall geistig.
Konsequent und stabil beharrte er darauf, sein Wahlversprechen zu
erfüllen.
Was
aber machten die anderen Parteien? Sie überredeten ihn, doch eine
Regierung zu bilden. Also tat der Oppositionspolitiker, was er tun
musste: er wurde Kanzler. Aber nicht freiwillig, sondern weil man ihn
zwang.
Denn der Bundeskanzler
lügt nicht!
Nehmen
wir den nach Hannes Androsch schönsten Finanzminister aller Parteien.
Er versprach uns das Nullbudget für immer und ewig.
Wirtschaftspolitik a la Keynes war ihm ein Gräuel, auch in schlechten
Zeiten wird nicht von Staats wegen investiert, bloß weil wir ein paar
Arbeitslose haben. Das war knapp nach seinem Wechsel von der FPÖ zu
Magma und dem von Magma zur FPÖ und vor seinem Wechsel zur ÖVP
Regierung. (Der Mann ist ein ganz toller Wechselspieler!)
Die Null gilt
natürlich nur, wenn sie eine „ganze Null“ ist, wie er, ganz
höherer Mathematiker, feststellte. Nun wehrte sich die Null gegen
solche Anmaßung und war zuerst hinter dem Komma keine richtige Null
und wurde bald vorne auch ein bisschen mehr.
Was
geschah?
Der Finanzminister sagt,
dass in schlechten Zeiten eben mehr investiert werden muss. Das klingt
nun wieder nach Wirtschaftspolitik a la Keynes. Lügt daher der
Finanzminister?
Natürlich
nicht!
Schließlich gilt
lebenslanges Lernen auch für Minister, gerade für solche, die noch
so viel zu lernen haben.
Denn der
Finanzminister lügt nicht!
Nehmen
wir unsere Frau Bildungsministerin, die immer so nett lächelt,
wenn sie eine Fernsehkamera erblickt. Natürlich hat sie einmal ein
Lob für Österreichs Schule übrig gehabt, notgedrungen fand sie
dabei auch die LehrerInnen nicht so übel.
Hat sie damals gelogen,
weil sie nun weniger Unterricht verordnet?
Natürlich
nicht!
Denn bei der „Wochenstundenentlastungs-
und Rechtsbereinigungsverordnung 2003“ (Achtung, der Name ist keine
Satire sondern Programm!) werden immerhin niemals nicht Sportstunden
gekürzt.
Originalzitat laut
Standard:
„Es waren 14, es sind 14 und es bleiben 14.“
(27. März auf Ö3)
Naja,
es sind in der Hauptschule doch 13 Stunden geworden, in der
AHS-Oberstufe statt 10 Stunden 9 und in der Unterstufe statt 15 leider
nur 14.
Hat die Frau Ministerin
gelogen?
Natürlich
nicht!
Genau so wenig wie
damals, als einige schlimme Gewerkschafter aus der eigenen Partei ihr
vorwarfen, dass die Stundenbelastung falsch berechnet worden seien.
Das
Ministerium und ein Rechenfehler, das passt zusammen wie die
Faust aufs Ohr!
Da kann die OECD noch so
oft um Aufklärung bitten, weil da könnt’ nämlich ein jeder kommen
und überhaupt: Englisch wird schließlich schon in der Volksschule
unterrichtet, ist das nicht toll?
Nein,
nicht von englischsprachigen Menschen, sondern von
VolkschullehrerInnen, die in ein paar Wochen per Seminar zum native
speaker umgewandelt worden sind. Ja, so schnell geht das heute mit
Hilfe der Gentechnik, ruckzuck und schon kann man den Kleinen Englisch
in Reinkultur beibringen.
Wie?
Bei
der „Wochenstundenentlastungsverordnung 2003“ geht es nur um einen
Vollzugsauftrag des Finanzministers?
Ungeheuerlich, dieser
Vorwurf.
Das wäre ja gerade so,
als ob die Frau Ministerin lügt!
In Wahrheit geht es um
die Schülerin, den Schüler.
Weil eine Ministerin
nicht lügt!
Nehmen
wir als Letzten den ersten Nationalratspräsidenten, den
heiligen Tiroler Khol. Er will den lieben Gott in die Verfassung
integrieren, schließlich ist dieser kein Ausländer. Kann ein Mann
wie Khol lügen, bloß weil er seinen Koalitionspartner als „außerhalb
des Verfassungsbogens stehend“ bezeichnete?
Natürlich nicht, weil
der liebe Gott das Lügen verbietet!
Sehen Sie, jetzt sind
auch Sie überzeugt.
Keine Politiker
lügen.
Weil es in der Politik keine
Lügen gibt. (Sondern nur Notwendigkeiten.)
Wer
etwas anderes behauptet, lügt!
Schöne Woche
Ihr/euer
Erich Ledersberger
Igls, 12. 5. 2003
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