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Der Splitter
die wöchentliche Kolumne

 

 

Kakanischer Unschuldsengel mit eigener Homepage
Kakanischer Unschuldsengel 

 

 

Kakanische Bildung

Politisch interessierte Menschen, gar wenn sie zugleich Lehrerinnen und Lehrer sind, kennen Herrn Fritz Neugebauer. Dieser ist Vorsitzender der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und gleichzeitig Abgeordneter der ÖVP, einer österreichischen Variante einer christlich-sozialen Partei, die derzeit Gesetze gegen gewerkschaftliche Interessen beschließt.

Vorige Woche stimmte der Abgeordnete Neugebauer für eine Pensionsänderung, gegen die der Gewerkschafter Neugebauer heftig protestierte. „Wenn es nicht substantielle Änderungen gibt, kann ich dieser Pensionsreform nicht zustimmen“, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende Neugebauer eine Woche vor der Abstimmung.

In anderen, fernen Ländern, wenn man von Pakistan oder Saudiarabien absieht, wäre das der Zeitpunkt, an dem sowohl die Gewerkschaftsmitglieder als auch die ÖVP-Regierungsleiter sagen würden: Lieber Fritz, entscheide dich - entweder Gewerkschafter oder Gesetzgeber gegen die Gewerkschaft! Beides geht logischerweise nicht, wenn die Interessen des einen sich von den Interessen des anderen unterscheiden. Aber wir befinden uns eben in Österreich, also Kakanien, daher bleibt der Herr Fritz sowohl das eine als auch das andere.

Diese Erklärung ist für Besucherinnen und Besucher aus dem Ausland nötig, sonst verstehen sie nicht, warum unser Finanzminister sich eine Homepage basteln lässt, die von der Industriellenvereinigung bezahlt wird. 

Die paar Seiten mit vielen Fotos aus der Kindheit des Herrn Ministers kosten angeblich die Kleinigkeit von € 150.000.- oder auch nur € 40.000.- und die Einrichtung des Büros den Rest, aber so genau weiß der Herr Minister das nicht, weil dafür ist sein Kabinettschef zuständig. Der hat nämlich einen Verein gegründet, dessen Vorsitzender er gleichzeitig ist. Dieser Verein bekam also die besagten € 150.000.-

Damit der Kabinettschef nicht weit zu gehen hat, ist der Vereinssitz seine eigene Wohnung. Das ist praktisch und widerspricht immerhin keinem Gesetz. Nun muss allerdings, das sollte sogar ein Kabinettschef wissen oder es von seinem Chef, dem Finanzminister erklärt bekommen, auch ein Verein Steuern zahlen. Wenn er gemeinnützig ist, dann entfallen ein paar, aber irgendwie fällt es schwer, die Homepage eines Politikers mit Fotos und anderem Blabla als gemeinnützig einzustufen, selbst in Österreich.

Aber, Sie haben es schon erraten: Steuern wurden keine bezahlt. Mit anderen Worten, ein Minister lässt sich etwas „schenken“ und zahlt dafür keine Schenkungssteuer, keine Einkommenssteuer, einfach nichts. Und behauptet, alles sei korrekt.

Ehrlich gesagt, wenn mir als Lehrer jemand € 150.000.- schenkt, dann habe ich das Gefühl, er will irgendetwas von mir. Es muss sich ja nicht gleich um Bestechung handeln. Der derzeitige österreichische Finanzminister denkt sich dabei anscheinend gar nichts und denunziert die Tatsachen als „Scherbengericht“ gegen ihn. (Wenn er wüsste, wie Scherbengerichte in Griechenland ausgegangen sind, würde er sich vor diesem Vergleich wohl hüten.)

Und weil wir beim Denken angekommen sind, komme ich auf den Herrn Neugebauer zurück, diesmal als Gewerkschaftsvorsitzenden. Ich erhielt nämlich dieser Tage Post von ihm. Er schickte mir einen Bücherkatalog der Firma Pichler und dazu ein selbst verfasstes Vorwort.

Nur eines ist teurer als Bildung: keine Bildung! ... In Zeiten ausgeprägten Sparwillens auch im Bildungsbereich setzt die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst ein weiteres Signal für leistbare Bildungshilfen. ... erhalten Sie bei unserem Partner, dem Pichler Medienvertrieb, Bücher zu besonderen Konditionen.“

Meine Freude war groß. Endlich Bildung zu niedrigen Preisen! Erregt atmend blätterte ich durch den Katalog.

Und fand:

  • Ärzte aus Leidenschaft - „10 Arzt-Romane im Sparpaket wie Rund um die Liebe - Bittersüße Liebesgeschichten mit viel Gefühl packend erzählt“

  • Heimatromane - „3 x 2 romantische Liebesgeschichten, Das Madl aus der Fremde, Die Herrgottsmalerin, Als ihr Traum zerplatzte“

  • Julia - das Kochbuch, „das Buch zur Serie“

  • Hexengarten - „Hexen ist keine Zauberei und kann leicht erlernt werden“

  • Das Superbuch der Traumdeutung - nein, natürlich nicht die Traumdeutung von S. Freud, sondern schlicht der „Schlüssel zur Seele“

  • und natürlich den Sargnagel aller Deutschliebhaber, Thomas Brezina mit ausgewählten Werken wie Der Bumerang des Bösen, Das Zombie-Schwert des Sultans oder Kolumbus und die Killerkarpfen.

 

Aber auch Nützliches für Pädagoginnen und Pädagogen:

  • Gut drauf in der Schule - empfehlenswert für EinsteigerInnen

  • Kinder nerven nicht - Science Fiction vom Feinsten

  • Selbstbewusst und richtig gut drauf - „Sich selber gut finden.“

Ein Buch, das zweifellos unter Aufsicht des derzeitigen Finanzministers geschrieben worden ist, womit sich der kakanische Kreis schließt:
Kakanien bleibt jenes Land, das alle Widersprüche als Harmonie darstellt und sich wundert, warum so viele über es lachen.

Trotzdem eine schöne Woche

Ihr/euer Erich Ledersberger
Igls, 23. Juni 2003


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