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Ächt tu matsch (Erna Frank)
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Ächt tu matsch
Haben
Sie gewusst, dass ein durchschnittlicher Haushalt Westeuropas 40.000
Gegenstände umfasst?
Ich
habe die Aussage überprüft und bin derzeit bei Gegenstand Nummer
42.779 angelangt, einem nicht funktionierenden Wecker, der sich in
der Lade meines Nachtkästchens versteckt hat. Nun befindet er sich im
Restmüll, denn mir entkommt kein überflüssiges Ding mehr!
Vor
mir liegen noch Bade- und Arbeitszimmer, zwei höchst
gegenstandsanfällige Räume. Das Badezimmer, weil es das Reich
meiner Freundin ist, das Arbeitszimmer, weil es überwiegend
von mir besessen und manchmal begangen wird. (Dieser Satz ist für
Feministinnen bestimmt, denn schließlich sollen auch sie sich hin und
wieder ärgern, wenn sie diese Kolumne lesen.)
Ich
habe bei meiner Zählung keinesfalls die Richtlinien der Finanzämter
beachtet und zum Beispiel nicht jede Stecknadel einzeln gezählt.
Jedem Buchhalter stellt es bei solcher Lässigkeit die Schamhaare
auf, aber ich dachte, so komme ich auf eine Zahl unter 2.000.
Weit
gefehlt, selbst unter diesen lockeren Umständen fürchte ich,
demnächst die 100.000-er Grenze zu überschreiten. Wir haben nämlich
noch einen Keller und einen Dachboden, von der Garage, in der sich
zwei Schränke nebst einer Kiste befinden, ganz zu schweigen. Dabei
hielt ich unseren Haushalt bisher für einen bescheidenen - wie schaut
es erst bei Herbert aus, der einen Stall gemietet hat, in dem
er die Erinnerungsstücke aus seiner Jugend, sorgfältig
inventarisiert, aufbewahrt?
Jedenfalls
ist mir schlagartig klar geworden, warum selbst das Wochenende seit
einigen Jahren nichts mit Erholung zu tun hat. Die angeblich immer
länger werdende Freizeit wird immer mehr reduziert durch freiwillige
Arbeiten wie Videoschnitt der letzten 100 Urlaubsfilme seit den 60-er
Jahren, Erstellung von CDs mit den fetzigsten Liedern der 80-er Jahre
und dazwischen setzen wir uns auch für ein paar Minuten zusammen, um locker
und gemütlich miteinander zu reden.
Das
verursacht jede Menge Stress, daher wird aus dem gemütlichen
Gespräch schnell ein lang andauernder Streit, der unser
Zeitmanagement fürs Wochenende über den Haufen wirft. Dazu das
Piepsen der Handys, die unsere Kinder ständig bei sich haben, als
würde ohne sie das ewige Feuer erlöschen - da fällt mir ein, ich
habe die Kinderzimmer noch nicht durchgezählt! - egal, mir reicht es
ohnehin.
Morgen
kommt der Container für den Restmüll. Per Zufallsgenerator
wird die Hälfte aller Gegenstände entsorgt, damit die Freizeit
wieder zur freien Zeit wird. Ich lasse mich nicht länger von
Gegenständen terrorisieren. Small is beautiful - Bescheidenheit
ist schließlich der Anfang aller Vernunft. Schrieb zumindest
Ludwig Anzengruber.
Schöne Grüße
Ihr/euer Erich Ledersberger
Igls, 27. Oktober 2003
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