Die natürliche Geburt

2014-01-15_kakanien_kulturerbe_geburt

Beim Durchforsten der Textschnipsel, die ich sammle und aufbewahre, bevor ich sie großteils wegschmeiße, fiel mir eine interessante Meldung auf:

„Normale Geburt soll Kulturerbe werden.“ (Salzburger Nachrichten)

Zuerst hielt ich die Meldung für einen Faschingsscherz, aber meine Internet-Suchmaschinen belehrten mich eines Besseren — anscheinend versuchen die Vereinten Nationen verzweifelt, alles unter einen Schutzschirm zu stellen, damit endlich, verdammtnochmal, alle Menschen sich friedlich dem immateriellen kulturellen Erbe widmeten statt Kriege zu führen!

Das materielle Erbe ist angreifbar! Denken wir nur an die Buddhastatuen in Afghanistan, die 2001 von den Taliban zerstört wurden. Kein Wunder, dass sich die (meistens höchst ehrwürdige) UNESCO lieber dem immateriellen Erbe widmet.

Deutschland, wie immer um genaue Richtlinien bemüht, hat bereits ein Antragsformular entworfen, wie bei der Aufnahme als Weltkulturerbe bürokratisch korrekt vorzugehen ist.

Kriterien für die Zertifizierung als immaterielles Kulturerbe sind etwa „Bräuche, Darstellungen, Ausdrucksformen, Wissen und Fertigkeiten“ etc.

Diese werden unterschiedlich ausgedrückt, nämlich als
a) mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen, einschließlich der Sprache als Trägerin des immateriellen Kulturerbes (z.B. traditionelle Gesänge, Sagen, Märchenerzählungen, Redensarten);

b) darstellende Künste (z.B. Musik, Tanz, Theaterformen);

c) gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste (z.B. Umzüge, Prozessionen, Karneval, Spiele);

d) Wissen und Bräuche in Bezug auf die Natur und das Universum (z.B. traditionelle Heilverfahren, landwirtschaftliches Wissen);

e) traditionelle Handwerkstechniken.“

Zusätzlich benötigt es dafür einiger Empfehlungen, des Bewerbungsschreibens (in zweifacher Ausführung!) und einiger anderer Kleinigkeiten.

Alle weiteren Details sind hier nachzulesen.

Die (Welt)Erbengeneration

Bald reagierten die ersten deutschen Weltkulturerben und traten zum Beispiel für den erhaltenswerten Karneval, das deutsche Bier oder die deutsche Brotvielfalt ein. Laut dem Artikel von RP-Online schickt die Stadt Hameln sogar ihre Ratten ins Rennen (immaterielle natürlich!) und Rothenburg das Christkind.

Berlin tritt für die natürliche Geburt ein, so will es zumindest Prof. Dr. Michael Abou-Dakn. Der ehrenwerte Professor will sie besonders schützen, damit nicht der Kaiserschnitt zur Normalität wird.

Österreichs Beitrag

Wo Bürokratie gefordert, darf der inoffizielle Weltmeister dieser Disziplin — Österreich vulgo Kakanien — nicht fehlen. Und so ergab es sich, dass die ehemalige Großmacht des mittlerweile kleinwüchsigen Alpenlandes unter vielen anderen folgende Ideen für österreichische immaterielle Weltkulturgüter vorschlug:

Erzählen im Montafon, Klassische Reitkunst und die Hohe Schule der Spanischen Hofreitschule (klingt nach Spanien, aber irgendwie gehört das Land im Westen ja auch zu Österreich), Ötztaler Mundart, Vorarlberger Flurnamen, Dürrnberger Schwerttanz, Heiligenbluter Sternsinger, Innviertler Landler, Passionsspiele Erl, Pinzgauer Tresterertanz, Rudentanz in Sierning, Wiener Dudler, Blochziehen in Fiss, Wiener Kaffeehauskultur (richtig wäre: Caféhauskultur!) und vieles mehr.

Die unendliche Fülle an immateriellen Werten, die Österreich der Welt hinterlassen will, ist hier zu lesen. Die Mozartkugel konnte leider nicht eingereicht werden, sie ist zu materiell.

Übrigens fällt auch die österreichische Kunst des Märchenerzählens darunter, die sogar in der hohen Politik praktiziert wird, ich verweise nur auf die derzeitigen Meister Spindelegger (noch einige Zeit Vizekanzler und Voritzender der ÖVP) und Feymann (noch etwas länger Bundeskanzler und Vorsitzender der angeblichen SPÖ) hin, vom nächsten Bundeskanzler, Hatschi Strache (FPÖ) ganz zu schweigen.

Weitere Vorschläge

Ich weiß leider nicht, ob mich ein kundiger Bürokrat/eine kundige Bürokratin unterstützt, aber meiner Meinung nach sollte auch die Missionarsstellung zum Zwecke einer Kindeszeugung als immaterielles Weltkulturerbe geschützt werden.

Angeblich wird diese Stellung aus verschiedenen Gründen kaum mehr durchgeführt. Einige Feministinnen empfinden sie als sexistische Unterwerfung, manche Männer als körperliche Überforderung, Missionare als zu hetero, wie auch immer: Wir sollten diesen alten Brauch in Ehren halten!

Auch das Hacklinskreuzwerfen, eine uralte Tradition unseres Landes, wurde noch nicht in die Liste aufgenommen. Wahrscheinlich deshalb, weil Wien und Tirol sich nicht darauf einigen können, wer der Urheber dieses Verhaltens ist. Tirol behauptet, dass diese Tradition seinen Erfolg als Tourismusland begründet, Wien weist darauf hin, dass schon Andreas Hofer von den Habsburgern ein Hackl ins Kreuz bekam.

Wie auch immer, als österreichische Patrioten sollten wir die Grenzen unserer Bundesländer überwinden und für ein einig Heimatland eintreten, in dem zumindest die Missionarsstellung als immaterielles Weltkulturgut erhalten bleibt, das Hacklinskreuzwerfen üben wir auch ohne Weltkulturerbe täglich aus.

Weitere österreichische Themen zum immateriellen Kulturerbe bitte hier eintragen — danke!