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Dritte Erzählung
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Baurat Gustl

Wie lange wird denn das noch dauern? ... Erst Viertel auf zehn? Mir kommt vor, ich sitz schon drei Stunden in dem Konzert. Ausgerechnet moderne Musik spielen die zur Feier des Tages. Die Genossen sind verrückt geworden ... Was hätt ich denn machen sollen? Mich krank melden? Wo mich der Sektionschef höchstpersönlich eingeladen hat. Wenn der wüsst.

 

Dagegen ist der Schönberg direkt melodisch. Gibt’s eigentlich eine Steigerung von Disharmonie? ... Es ist ja für einen guten Zweck. Aber dass sie einen deshalb gleich bestrafen ... Das hätten sich die Bürgerlichen nicht träumen lassen, dass wir Sozialdemokraten ein Konzert veranstalten gegen den Hunger in der Welt. Jetzt, wo’s keine adeligen Mäzene mehr gibt, müssen eben wir einspringen. - Das heißt, lange kann ich damit nicht mehr dienen. - Der blöde Zettel! Wie mir das nur passieren konnte.

 

Singen tun sie sehr schön. Passt gar nicht. - Eigentlich sehr erhebend ... Um Gotteswillen, die werden ja immer lauter. Unglaublich, was der Mensch mit seiner Stimme alles machen kann. Jetzt geht’s dem Ende zu. - Ja. Bravo. Bravo ... Ich muss applaudieren, sonst glaubt der Sektionschef, ich versteh nichts davon. Der neben mir klatscht wie verrückt. Ob’s ihm wirklich so gut gefällt? ... Das Mädchen neben ihm ist sehr hübsch. Aber dafür habe ich heute keine Zeit. Ich muss nachdenken. - Wie mach ich das bloß? Dabei war er auf den ersten Eindruck ganz nett, der Wachtlmüller. Und dann ... unglaublich, ich darf mir nichts anmerken lassen. Wie übersteh ich nur das Abendessen? Wenigstens ist es gratis. Großzügig sind wir, das muss man uns lassen. Und ohne Parteibuch hätte ich den Posten nie gekriegt. Früher habe ich gar nicht gewusst, dass der Sozialismus so schön sein kann. Jetzt ist alles aus ... Wieso habe ich diesen Zettel liegengelassen? Schön blöd bin ich gewesen, notiere mir tatsächlich den Geldbetrag, den ich vom Hilbert bekomm. Wegen 10 000 Schilling muss ich womöglich ... nein und abermals nein. Es muss einen Ausweg geben ... aber der Wachtlmüller scheint verrückt zu sein ... 

 

Dieses Gedränge bei den Garderoben. Widerlich! - Ah, der Sektionschef nickt mir zu. Heute ist er noch freundlich, aber morgen ... wenn ich zu dem Wachtlmüller in die Wohnung gehe und ihn beschwöre, dass er es niemandem erzählt? ... - Ah, lieber gleich eine Kugel vor den Kopf, als so was! ... Wäre so das Gescheiteste. ... Das Gescheiteste? Das Gescheiteste? - Und meine Kinder? - Die haben wenigstens die Lebensversicherung. - Da muss ich aufpassen. Vielleicht ist Selbstmord ausgenommen, bei den Versicherungen weiß man nie, die sind schlimmer als die Schwarzen ... dann halt einen Verkehrsunfall. Blödsinn, was du da denkst. - Es wird schon werden. Aber wie? ... Aber wie?

 

Dabei sind die 10 000 Schilling ein Witz - für die Baugenehmigung eines Restaurants mit 50 Plätzen! Für einen Beamten in meiner Stellung ein Trinkgeld. Der Hilbert hat mich runtergehandelt. - Ein raffinierter Kerl. Aber seine Frau hat mich so nett angeschaut, da konnte ich nicht anders. War ein Fehler. Und wegen dem lächerlichen Betrag soll ich mich ... Der Zettel! Ich muss an den Zettel kommen. Der ist das einzige Beweisstück. - So ein netter Mensch, der Wachtlmüller. Wie man sich täuschen kann. Der muss Kommunist sein, die sind heute auch schon schlauer geworden ... Der Genosse Manderl vom Innenministerium hat keinen Hinweis gefunden. Dabei ist die Staatspolizei eine unserer tüchtigsten Abteilungen. - Ministrant war er, der Wachtlmüller. Das sind oft die Schlimmsten.

 

Morgen wird er Aufsichtsbeschwerde erheben, dann ist alles aus. Unsinn ... es laufen viele herum, denen ärgere Sachen passiert sind. Aber der Zettel! Ich hab keine Chance. Die lassen mich fallen, jetzt, wo die Medien eh nichts zum Schreiben haben. Was für ein glücklicher Mensch bin ich gestern noch gewesen ... Das ist Bestechung, hat er gesagt. Gott sei Dank war meine Sekretärin nicht im Zimmer. Noch weiß es niemand, noch ... aber morgen! Suspendieren werden die mich. Und was mach ich dann? Da glauben die Leute, wir sind besser dran, weil wir Beamte sind ... keine Ahnung haben die, wie streng mit uns umgegangen wird. - Was soll ich denn machen, wenn die mich rausschmeißen? Ich habe doch nichts gelernt, außer Verordnungen befolgen ... Es hilft alles nix.

 

Wer sich wohl kränken würd? Die Anna sicher nicht, schließlich sind wir verheiratet. Die Kinder! Die Kinder? Na ja, was ist denn zwischen uns? Gern haben sie mich ja - aber was wissen sie denn von mir? - Dass ich meinen Dienst mach, dass ich Karten spiel, aber sonst? - Dass mich manchmal selber vor mir graust, das hab ich ihnen noch nicht gesagt. - Na, mir scheit, ich hab’s auch selber gar nicht recht gewusst. Bin ich froh, dass ich jetzt niemanden getroffen habe. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Ein Gespräch unter Genossen! 

     

Da schau, ein ganzes Restaurant für uns! Und wie freundlich die Kellner sind. Seit wir an der Regierung sind, mag man uns endlich. - Bleibt ihnen auch nichts übrig. 

 

Bin ein bisserl spät dran, alle sitzen schon. - Wo ist denn mein Platz? Ah, da. - Freundschaft, Genosse. - Keine Frauen, die was gleich schauen . Dass der Sozialismus so unattraktiv ist. Im Ostblock sind’s wenigstens noch feurig, die Frauen, aber bei uns. Kaum sind’s Funktionäre, schon sind sie verhärmt wie eine Hausfrau. 

 

Ah, ein Büffet ... Ich weiß nicht mehr weiter, aber aufs Essen freu ich mich. Komische Welt. - Oje, der Sektionschef steht auf. Der lässt keine Gelegenheit ungenützt, um eine Rede zu halten. Warum nickt er mir denn zu? Der wird doch nicht . . . nein, morgen, hat der Wachtlmüller gesagt, morgen will er Anzeige erstatten. Oder hat er gar schon telefoniert? Denn tät der Sektionschef nicht so freundlich schauen. - Jawohl, sehr schön. Guter Zweck ...  Afrika, wollen auch was zu essen. Freilich. Ich würd auch gern essen, aber die Rede ....  saubere Verwaltung! Wie kommt er denn darauf? Ein Vorbild, na, dass ich nicht lach! Ausgerechnet der Sektionschef! Wohnt in einer Villa, die er sich nicht leisten kann und sagt, sie gehört seinem Onkel. - Wenn ich für den U-Bahn-Bau zuständig wär , würde ich mir auch einen Onkel zulegen mit einer Villa. Der scheffelt Geld und unsereins muss wegen ... Applaus fürs Parteiprogramm, jawohl, immer auf der Überholspur. - Schön hat er das gesagt: für eine demokratische Gesellschaft, in der die Mehrheit sich keiner chaotischen Minderheit beugt ... Wir werden immer die Mehrheit bleiben. 

 

Das heißt, ich nicht. Ich bin ja schon tot, praktisch. Politisch auf jeden Fall und menschlich ... wenn der Sektionschef wüsste, dass einer seiner treuesten Beamten vor seinen Augen ... Aber er könnte auch nichts machen. Soll er sich etwa vor mich hinstellen und sagen: unsere Demokratie braucht das, den helfenden Arm der Wirtschaft, damit sie weiter bestehen kann im internationalen Wettkampf? Die Leute haben keine Ahnung, die glauben das nie.

 

Wenn ich nur was wüsst über ihn! Dann würde er mir helfen, aber ich bin nur ein kleiner Beamter. Und geschickt ist er, das muss man ihm lassen.

 

Ich werde alles bestreiten! Der Wachtlmüller hat meine Schrift gefälscht. - Geht nicht. Er hat ja das Original, und diese Schriftgutachter sind über jeden Verdacht erhaben. - Auswandern, das wäre eine Möglichkeit. Aber wohin? Wohin? In Deutschland finden die mich gleich, und wo braucht man sonst noch einen Beamten? - Jetzt könnt er aber schon aufhören mit seiner Rede. In aller Kürze zusammenfassen, na, das dauert noch lange. - Außerdem habe ich kein Geld. Und im Ausland muss man sich durchsetzen. Dabei bin ich eigentlich ein sensibler Mensch, ich habe mich nie richtig durchsetzen können, schon in der Schule nicht. - Die Mama hat immer gemeint, das sei nicht so schlimm ... ein Glück, dass sie tot ist. Die Schande würde sie nicht überleben. - Die arme Klara. Was wird die in Zukunft machen ohne mich? Nichts ist’s mehr mit den Treffen im Hotel Bauer, jeden Montag in der Mittagspause. - Ach was, die wird sich einen anderen finden. Eine Woche wird’s warten, weil sie ein bisserl katholisch ist und dann ... ist immer dasselbe mit den Weibern: die wollen gar nicht wissen, was du für ein Mensch ist. Hauptsache, du hast Geld. Jetzt, wo ich endlich eins hab, passiert mir das.

 

Es hilft nix mehr, es ist aus mit dir. Morgen schickt der Wachtlmüller auf dem Dienstweg eine Anzeige ab. Sei realistisch, Gustl, bring dich um. - Jetzt ess ich noch gut und danach wird ich mit dem Auto nach Hause fahren. Nach Hause. Vielleicht gibt es doch einen Gott? - Blödsinn. Dann wären die Würmer die Engel, und ich komm als Humus im Himmel an. Aus ist es dann! Aus! Mein Gott, ist das schrecklich. - Und ich hab keinen Ausweg mehr. Keinen. Am liebsten läg ich da auf dem Teppichboden und tät heulen ... Ah nein, das darf man nicht tun. Aber weinen tut manchmal so gut ... Die Leut, die eine Religion haben, sind doch besser dran ... Ich wird die Südautobahn nehmen, damit es wie ein Unfall aussieht. ... Na, jetzt fangen mir gar die Hände zu zittern an! ... Ich muss mich zusammennehmen. Das letzte Abendmahl, die Henkersmahlzeit. - Endlich ist der fertig. - Genau: hoch lebe die internationale Solidarität.

 

Ah, der Wein ist sehr süffig. - Burgenländer. - Prost! - Warum schaut er mich schon wieder so an, der Genosse Sektionschef? Lächeln, ich muss lächeln. - Keiner merkt mir was an. - Morgen werden sie mich bedauern, und der Wachtlmüller wird sich ärgern, weil er sich seine Anzeige in die Haar wischen kann. - Über die Toten nichts Böses. Das wenigstens gilt auch heute noch. - Und Geld stinkt nicht ... So schön hat es immer funktioniert: Ich habe die Baubesichtigung gemacht, habe meine Aktentasche geöffnet an der Theke stehen gelassen, und nachher war ein Kuvert drin. - Die Preise waren allgemein bekannt, niemand wurde bevorzugt, alles funktionierte tadellos. Und dann kommt der daher ... gegen so was schützt einen nicht einmal die Gewerkschaft.

 

Ja, ein wunderbares Fleisch, dieser Lachs. - Leider das Einzige, das die Schweden kochen können.

 

Eigentlich mag ich diese Büffets nicht. - Man weiß nie, mit welcher Hand man den Teller halten soll, wo das Weinglas ...

 

Oje, die Frau Staatssekretärin. Die will sicher wissen, warum ich keine Frau eingestellt habe - wenn ich das mit dem Wachtlmüller geahnt hätte, wär mir eine Frau eh lieber gewesen. - Weggehen kann ich nicht mehr. Eine Staatssekretärin für Frauenfragen, die hat mir gerade noch gefehlt in meinem Schlamassel. Jetzt muss ich diesen, diesen dummen Buben noch verteidigen.

 

No, Frau Genossin, Sie wollen sicher von mir wissen, warum ich nicht Ihre Bewerberin genommen hab, net wahr?

 

Schön habe ich das gesagt, das Frau Genossin. Frau Staatssekretärin kommt mir nicht über die Lippen, wo die nichts zu tun hat gegenüber dem Arbeitstag von unsereinem. Wollten Sie nicht? - Ich werde schon die richtige Wahl getroffen haben? Aber sicher, wir haben ja unsere objektiven Vorschriften, an die halten wir uns.

 

Warum lächelt sie so komisch? Weiß sie am Ende schon ... So freundlich war die nie zu mir. Da steckt was dahinter. - Wozu überleg ich denn? Es ist alles längst vorbei. In ein paar Stunden bin ich eine tote Leich. - Und der Wein schmeckt so gut!

 

Danke, Herr Genosse Sektionschef. Ausgezeichnet geht’s mir. Ganz ausgezeichnet. Der lächelt auch so merkwürdig. Haben sich alle gegen mich verschworen?

 

Was sagt er, eine dumme Sache ist das? Was denn ... was? Das mit dem Wachtlmüller? ... Jetzt wird er auf einmal so ernst ... Warum legt er denn seinen Arm auf meinen? ... Das sieht ja aus wie eine - Verurteilung ... Er wird mich doch nicht hier, vor allen Leuten ... Er hat doch gesagt, dass er erst morgen.

 

Welche Sache, Herr Sektionschef? ... Jetzt ist es aus.

 

„Wissen Sie noch gar nicht, dass unser Wachtmüller ...“

 

Er weiß es! Er weiß es. Alles ist aus, noch bevor ich mich umbring.

 

„... einen Verkehrsunfall hatte?“

 

„Was?“ - Leise, ich darf nicht so schreien. - Träum ich? - Dann habe ich ja noch Zeit, bis ... oder ist er gar? ... So viel Glück darf ich nicht erwarten. - Ich muss fragen, aber vorsichtig.

 

„Ist er ... verletzt?“

 

Meine Stimme! Wieso krächzt sie denn so?

 

„Er ist tödlich verunglückt.“

 

Tot? Das ist ja nicht wahr . . . - Um Himmels willen, ich darf mich nicht verraten ... ich möchte ja schreien ... ich möchte ja lachen ... gleich morgen muss ich seinen Schreibtisch durchsuchen ... wenn er ihn zu Hause hat?

 

„Wie konnte denn das passieren?“

 

Das hab ich famos gesagt - kein Mensch merkt mir was an. - Der Wachtlmüller lebt ja allein. Wer soll mit dem Zettel was anfangen können? Eine einfache Notiz, die wirft man weg. - Ich glaub, so froh bin ich in meinem ganzen Leben nicht gewesen ... Tot ist er! Tot! Keiner weiß was, und nichts ist g’schehn. Und das Mordsglück, dass ich noch hierher gegangen bin ... ich hätt mich glatt umsonst umgebracht.

 

„Er ist mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, ohne Licht. Im Nebel hat ihn ein Autofahrer übersehen und dann ...“

 

Und ich habe immer den Kopf geschüttelt über seine Ansichten von Umweltschutz, und jetzt ... Eine Fügung des Schicksals. - Der Wein schmeckt gleich noch besser.

 

„Er war noch so jung. Und so engagiert und ehrlich.“

 

Deshalb hat die Staatssekretärin so geheimnisvoll gelächelt.

 

Die glaubt, die bringt diesmal eine Frau bei mir unter. Na warte, meine Liebe. Du wirst dich wundern. Diesmal pass ich besser auf, und eine Frau kommt mir nicht ins Büro.

 

„Noch einen Wein!“

 

Fesch schaut die Kellnerin aus. Da könnt noch was drin sein, heute Abend. Und ich bin grad so gut aufgelegt ...

     

Erschienen in 
"Wiener Brut" 
Rowohlt 1986


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