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Ein Wiener in Tirol

 

 

     

 

     

Nicht alle Wiener heißen Mundl ("Host mi?"), nicht alle Tiroler tragen Lederhosen (nit'a?"). Und unsere Sprachen sind einander ziemlich ähnlich.

 

Dass "heben" hier halten heißt, habe ich bald begriffen. Es gibt dennoch kein "Hebeverbot" in den Innsbrucker Straßen und "anheben" bedeutet nicht anhalten, sondern beginnen, während heben "lupfen" heißt.

 

Es ist alles ganz einfach und bunt in diesem Österreich.

 

"Als Wiener wirst du es schwer haben in Tirol", warnten mich Freunde, Tiroler und Wiener. Stimmt nicht. Tirol ist genauso wie Wien, nur anders. Dasselbe gilt für Wien. Jeder Seltsamkeit hier entspricht eine dort und umgekehrt. Heimat ist nirgends und überall.

 

Was mir auffiel: die Tiroler sind freundlicher als die Wiener. Das kann nur ein Wiener behaupten, für alle anderen Menschen sind wir seltsamerweise der Inbegriff von Charme und Freundlichkeit. Das ist ein Irrtum, den manche erst nach jahrelangem Aufenthalt in der Hauptstadt erkennen. (Siehe unter anderen Burgtheaterdirektor Peymann.) Bis dahin wundert man sich bloß darüber, dass alle freundlichen Wiener sich als Ausländer entpuppen oder zumindest aus einem anderen Bundesland kommen.

 

Als ein Bekannter hier in Tirol unverhofft an meiner Wohnungstür klingelte, einfach so, weil er gerade in der Nähe war, konnte ich meine Verblüffung kaum verbergen.

 

In Wien wird ein solches Ereignis lange vorbereitet, etwa so: Ein Freund ruft an und teilt mit, dass er demnächst, vielleicht, wenn seine Tante mit ihrem Freund, der übrigens Hamburger sei, anreise, in der Nähe sein würde. Unter Umständen könnte man dann, wenn der Angerufene Zeit habe, sich kurz sehen, eventuell sogar ein Kaffeehaus aufsuchen. Niemals hat der Angesprochene daraufhin Zeit, aber einen Gegenvorschlag: Er würde in einigen Wochen ohnedies in der Nähe des Angerufenen sein, weil er eine geschäftliche Besprechung mit dem Inhaber eines Betriebes hätte, der Lakritzen herstellt, und da wäre es zweifellos günstiger, sich bei dieser Gelegenheit .... Nein, da sei er auf Urlaub, antwortet daraufhin der erste Frager und bietet einen Kompromissvorschlag für das nächste Jahr an.

 

Wer von beiden Glück hat, trifft den anderen schließlich auf dessen Begräbnis, wodurch der Kommunikation ein entscheidender Riegel vorgeschoben worden ist und der Wiener mit der nationalen österreichischen Lieblingsbeschäftigung beginnt, dem Jammern.

 

"Hätten wir uns damals getroffen, wäre er vielleicht noch am Leben und wir täten gemeinsam ... "

     

Typischer Wiener nach zu viel Schnitzelkonsum

Was denn? Nix natürlich. Aber das will der Überlebende nicht glauben und erfreut sich an seinem selbst gebastelten Leiden.

 

Dass mein Freund nicht auf mein Begräbnis wartete, sondern gleich klingelte, das gefällt mir an Tirol.

 

P.S.: Mein Freund kommt übrigens aus Oberösterreich.

Erschienen 1999

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