Neulich
las ich Deutschlands meist verbreitete Zeitschrift für Frauen und
emanzipierte Männer, die BRIGITTE.
Die Rezepte dort sind immer phantastisch und das Nachkochen wert. In der
Mitte des Heftes stieß ich aber auch auf die Beschreibung zweier Stars,
in gerechter Aufteilung der Geschlechter eines Mannes und einer Frau.
Ich las mehrere Male die Wörter „genial“ und „Superstar“, was
mich irgendwie beunruhigte. Auch deshalb, weil ich die beiden Menschen
nicht kannte.
Meine
Güte, werden Sie einwenden, wer kennt schon alle Genies dieser Welt.
Ich stimme dem gerne zu. Allerdings hatte ich plötzlich das unbestimmte
Gefühl, in jeder Zeitung immer wieder von Stars und Genies zu lesen.
Sollte
es tatsächlich immer mehr Menschen dieser Sorte geben?
Ich
versuchte, meine These von der exponentiellen Vermehrung der Genies zu
beweisen, ging in meine Lieblingsbuchhandlung und kehrte mit einem Paket
von Zeitungen und Zeitschriften nach Hause zurück.
Es
stimmte! In jeder Zeitung wimmelte es von mehreren Supermegastars und
Genies. Da gab es den genialen Tennisspieler, den Trainer mit dem
Superhirn, die Superschauspielerin und den begnadeten Rennläufer. Eine
wahre Invasion heroischer Menschen stand unmittelbar bevor. Im Internet
fand ich 7.614 Homepages, in denen der Begriff „Genie“ vorkommt, vom
Waschmittel über ein Handy von Philipps bis hin zu Uri Geller.
Gibt
es keinen Durchschnittsmenschen mehr?
Ich
drehte zur Entspannung den Fernseher an. „Das Regiewunder aus
Deutschland“ formulierte der Sprecher soeben, als wollte er mich bestätigen.
Das „Wunder“ aus Deutschland ist gerade 20 Jahre alt und schon so
berühmt wie die Cheopspyramide, zumindest laut Aussage des Reporters.
Und
von all diesen Menschen kannte ich bestenfalls den Namen!
Das
allein ist aber nicht interessant, vielmehr ist es die Tatsache, dass
die ungeheure Vermehrung der Genies und Wunder sich nicht auf das
Weltgeschehen auswirkt. Bestenfalls negativ.
Ich
zum Beispiel fühlte mich nun noch elender als zuvor. So viele tolle
Menschen, und was bin ich? Ein genialer Lehrer etwa? Ein Genie von einem
Pädagogen? Schon diese Formulierungen an sich hat etwas Lächerliches.
Man stelle sich einen Bericht vor, in dem von der Besessenheit des
Lehrers L. in Bezug auf seine revolutionären Vorbereitungen geschrieben
wird. Oder einen, in dem von Frau Professor F. erzählt, wird einer
genialen Didaktikerin mit begnadeten Stunden, in denen Schüler verzückt
ihren Worten lauschten, die Perlen gleich ihrem Mund entsprossen.
Nein,
unmöglich.
Ein
Lehrer kann niemals ein Genie sein, außer er ist nebenbei Philosoph und
heißt Ludwig Wittgenstein.
Am
liebsten wäre ich nach dieser Erkenntnis heulend ins Bett gegangen, da
fiel mir ein, dass ich schon einmal etwas über Genies im Allgemeinen,
im Besonderen über ein geniales Rennpferd gelesen hatte.
Der
Held jener Geschichte wollte ein Genie werden, ein Star, ein bedeutender
Mensch. Nach einer kleinen Karriere in der Armee widmete er sich
erfolgreich der Mathematik. Lange Zeit war er eine Hoffnung der
Menschheit, war knapp davor, ein bedeutender Mensch zu werden.
„Und
eines Tages hörte er auch auf, eine Hoffnung sein zu wollen. Es hatte
damals schon die Zeit begonnen, wo man von Genies des Fußballrasens
oder des Boxrings zu sprechen anhub. ... Aber gerade da las er irgendwo
plötzlich das Wort ‚das geniale Rennpferd‘. ... Er begriff mit
einemmal, in welchem unentrinnbaren Zusammenhang seine ganze Laufbahn
mit diesem Genie der Rennpferde stehe. ... Er war allem entflohen, um
ein bedeutender Mensch zu werden, und als er sich nach wechselvollen
Anstrengungen der Höhe seiner Bestrebungen vielleicht hätte nahefühlen
können, begrüßte ihn von dort das Pferd, das ihm zuvorgekommen
war.“
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