Meine Freundin und ich haben die Rollen getauscht.
Die Küche ist mein! Immer öfter bereite ich Blattsalat mit Linsen
und einen Birnen-Kefirsaft zu. Danach gibt es Zitrusfrucht-Grütze
oder Weinblätter im Mantel aus kalt geschleudertem Honig.
Ich esse mich nämlich „zum Sieger“.
Vor kurzem schenkte mir meine Freundin, nachdem sie
einige Wochen mein Nahrungsreservoir für schlechte Zeiten - sie nennt
es respektlos Schwimmreifen - missbilligend betrachtet hatte, ein
Buch. Es heißt „For-ever young“, steht auf allen Bestsellerlisten
der Welt und hat mein Leben verändert.
„Warum ist der Adler der König der Lüfte? ...
Warum nicht der Sperling?“ spricht darin der permanent lachende
Fitnesspapst Dr. Strunz alle Fragen aus, die mir nie eingefallen
wären.
„Ganz einfach: Weil die Könige unter den Tieren
das Hormon Noradrenalin bilden.“
Haben Sie nicht gewusst? Sehen Sie, darum sind Sie
ein Sperling, während ich auf dem Weg zum Adler bin. Besser gesagt
zum Löwen, denn ich leide unter Höhenangst und dagegen ist kein
Adrenalin gewachsen. Aber auch der Löwe ist ein König und besitzt
klarerweise jede Menge Noradrenalin.
Was ein echter König werden will, nimmt daher bei
jeder Gelegenheit Phenylalanin zu sich, denn das wird zuerst in
Tyrosin und danach in Noradrenalin umgewandelt. Das wiederum wandelt
sich in das Hormon ACTH um, welches meinen Geist so „kristallklar
und munter“ macht wie ein Bergbächlein.
„Es bewirkt, dass der Puls und der Blutdruck
sinken: Der Pfeil schießt ins Schwarze. Die Billardkugel rollt nach
sieben Banden ins Loch.“
Leider spiele ich weder Billard, noch habe ich je
einen Bogen in der Hand gehalten, aber es beruhigt einfach, immer ins
Schwarze zu treffen.
Und so befolge ich jeden Rat des erfolgreichen
Mediziners, laufe täglich mindestens eine Stunde und lache mich dabei
kaputt. Lachen Sie nicht, denn lachen gehört dazu. Zum Laufen! Sie,
die Leserin, der Leser haben keinen Grund zu lachen. Sie gehören
nämlich zu den Verlierern, und die lachen prinzipiell nicht.
Wir Sieger werden übrigens immer mehr. Täglich
sehe ich eine wachsende Schar lachender LäuferInnen, alle haben sie
die Gebrauchsanweisung für künftige SiegerInnen gelesen.
Wo soll das alles enden? In einer Welt voller
Sieger? Das kann nicht gut gehen. Ordentliche Sieger brauchen
Verlierer!
Wenn ich all das bedenke, wird mir angst und bang.
Aber vom Denken steht in meinem Buch nichts. Wahrscheinlich hindert es
mich, ein Sieger zu werden.
Was soll ich tun? Die Gedanken sind frei und
drängen sich in mein Tun.
Warum, fragen sie mich immer öfter, während ich
laufe und verzweifelt vor mich hin lache, leben Sperlinge genauso
glücklich oder unglücklich wie die Löwen? Wie kommt es, dass eine
Schar Krähen einen Adler vertreibt? Warum sterben die Löwen aus,
aber nicht die Sperlinge? Was nützt es, ein König zu sein und tot?
Und warum, fragen sie mich, willst du forever young sein? Erinnerst du
dich nicht mehr an deine Jugend? War das wirklich eine so glückliche
Zeit?
Wenn das so weiter geht, bleibe ich lieber ein
alter Spatz statt ein ewig junger Löwe.
Schlecht?
Auf jeden Fall realistisch.