Wahre Weihnacht
Liebe Leute, ich schreibe heute
etwas, das ihr ganz selten lest: die Wahrheit!
Die Wahrheit über jene heilige Nacht, die wir
demnächst friedlich feiern werden, im Schoß der Familie und
selbstverständlich fröhlich, wie es in unseren Liedern heißt. Die
Sache ist nämlich die: es war alles ganz anders. Wir haben bloß
vergessen, was damals wirklich passiert ist.
Vor etwa 2000 Jahren lebte ein unverheiratetes Paar im
fernen Osten. Sie hieß Maria, er Joseph. Sie war hochschwanger und
wusste nicht genau, von wem das Kind in ihrem Bauch war, er war
Tischler und in seinem Beruf mäßig erfolgreich. Ein ganz normales
Paar also, das man heutzutage in jedem Tiroler Gasthaus treffen
kann.
In diese angenehme bürgerliche Ruhe fiel eine strenge
Verordnung des Herrschers – er hieß übrigens Herodes: alle
neugeborenen Kinder sollten auf der Stelle umgebracht werden.
Irgendjemand hatte Herodes eingeredet, dass demnächst ein Kind auf
die Welt kommt, das sein Nachfolger werden will. Das war völliger
Quatsch, beweist aber, dass manche politischen Anführer damals
mindestens so dumm waren wie sie es heute sind.
Maria und Joseph flohen also. Wer will es ihnen
verdenken? Naja, im heutigen Europa hätten sie natürlich keine
Chance gehabt, schließlich waren sie Flüchtlinge, die nicht
einmal gefoltert worden sind. Sie wollten bloß ihr Kind retten, das
noch gar nicht geboren war.
Stellt euch vor, heute kommen Flüchtlinge zu uns und
wollen bleiben, bloß weil ihre Kinder vielleicht umgebracht
werden. Dieser Asylantrag hat in der westlichen Kultur keine
Chance! Damals war manches einfacher und so konnten die beiden auf
einem Esel flüchten. Allerdings öffnete ihnen niemand die Tür,
geschweige denn, dass sie in einem Haus übernachten konnten.
Ähnlichkeiten mit der Gegenwart sind erkennbar.
Und so kam das uneheliche Kind, die Eltern nannten es
einfach Jesus, in einem Stall auf die Welt. Ob es das gemeinsame
Kind von Maria und Joseph war, war damals ziemlich egal, und so
wurde Joseph der berühmteste Stiefvater der Geschichte. Es handelte
sich also um eine Patchwork-Familie, wie wir heute sagen und das für
rasend neu halten. Nix da, gab es alles schon. Das Fundament der
katholischen Kirche ist eigentlich nicht Petrus, der Fels, sondern
die Patchworkfamily Maria, Joseph und Jesus.
Ja, und wie die kleine Familie da den Abend in aller
Ruhe verbringt, kommen drei Könige vorbei und bringen Geschenke.
Könige im Stall! Sozusagen die Bundeskanzler der EU bei
Wirtschaftsflüchtlingen. Unvorstellbar. Heute kommt ein Beamter
höchstens mit einem Abschiebungsbescheid zu Flüchtlingen.
Das ist die schlichte Wahrheit, an die wir in diesen
Tagen alle denken sollten.
Ihr/euer Erich Ledersberger
Igls, 28. Dezember
2005
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