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Erste Erzählung
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Happy End

 

     

 

 

     

In Wien gibt es einen Volksgarten. Der ist klein und umgeben von prächtigen Gebäuden wie dem Parlament, dem Rathaus und der Hofburg. Er wird gleichsam eingequetscht von den Regierenden, die auf diese Weise immerhin zeigen, dass sie fürs Volk etwas übrig haben, nämlich einen Park. Dort gibt es auch ein kleines, rundes Haus, die Café-Meierei.

     

Von hier sieht man die Ringstraßenkulisse und auch den Heldenplatz, jenen geschichsträchtigen Ort, auf dem die Österreicher zuerst Adolf Hitler, später Karl Schranz und neulich sogar dem Papst zugejubelt haben.

 

Frau Navratil, die als pragmatisierte Sekretärin bei der Gemeinde Wien arbeitete, interessierte sich allerdings im Moment nicht für diese Sehenswürdigkeiten. Sie war, wie man so sagt, ganz aus dem  Häuschen. Am Klosett hatte sie ihrer Kollegin, der Frau Hofer, stichwortartig von ihrem Unglück erzählt. Die hatte ihr mit ihrem Zeigefinger bedeutet, dass sie still sein sollte und war mit ihr hierher gegangen.

 

Zwischen den beiden Frauen war im Laufe von 21 Dienstjahren eine feste Freundschaft entstanden. Manchen mag dieser Ausdruck übertrieben scheinen, denn weder duzten sich die beiden noch hatte jemals eine die andere zu sich eingeladen oder sonst eine Handlung gesetzt, aus der man hätte schließen können, dass sie sich mochten. Das aber ist kein persönliches Problem, sondern ein nationales. Der Österreicher an sich und erst recht der Beamte, der ja sozusagen die Überhöhung und Verdichtung des Österreichers ist, lebt in der festen Überzeugung, dass jede Art von Zuneigung, sobald sie nicht auf Heurigenbesuche oder Begräbnisse beschränkt bleibt, unausweichlich zu einem Unglück führt. Um dieses zu vermeiden, ist jeder bemüht, die größtmögliche Distanz zum Nächsten einzuhalten und durch übertriebene Freundlichkeit wieder auszugleichen. Dadurch entstand ein fragiles Gleichgewicht zwischen den Menschen, das unter der Bezeichnung „Gemütlichkeit“ zu einem Werbehit des hiesigen Fremdenverkehrs geworden ist.

 

Frau Navratil aber war so verzweifelt, dass sie alle Regeln des Anstandes vergaß und aufgeregt auf die Frau Hofer einredete.

 

„Was soll ich jetzt machen, Frau Hofer? Dabei hat mir der Fritz noch gesagt, ich soll nicht so vertrauensselig sein. Die Menschen sind nicht gut. Wieso, hab ich ihn gefragt? Bloß, weil du mich sitzen lässt, sind alle anderen Menschen auch schlecht? – Ja, hat er gesagt, die Menschen sind schlecht, und ich hätte viel zuviel Vertrauen. Dass ich der Grete meinen zweiten Wohnungsschlüssel gegeben hab, sei auch so ein Blödsinn. Ob ich der Grete vertrau, hat er gefragt. Ja, hab ich gesagt, der vertrau ich, für die leg ich meine Hand ins Feuer. Die kann in meine Wohnung kommen, sooft sie will. – Da hat er zu lachen angefangen ...“

 

Frau Navratil muss ihre Erzählung unterbrechen, weil die Kellnerin kommt. Die beiden Frauen bestellen Kaffee, Frau Navratil fügt mit einem entschuldigenden Blick, der ihre Verzweiflung andeuten soll, hinzu:

„Bringen’s mir halt in Gottes Namen eine Torte. Is eh schon wurscht.“

 

Danach fährt sie flüsternd fort:

 

„Wissen Sie, was er mir gesagt hat? Dass er mit der Grete geschlafen hat! Stelln Sie sich das vor, mit der Grete! Für die hätt ich mir den Kopf abschneiden lassen! Die war meine beste Freundin! – Und dann hat er mir gesagt, dass er das nur getan hat, um mir zu beweisen, dass alle Menschen schlecht sind. Frau Hofer, ist des wirklich so? Is die ganze Welt schlecht? – Ausgerechnet die Grete. Wie hat sie mir das antun können.“

 

Frau Navratil nimmt ihre Handtasche, zieht ein großes, leinernes Taschentuch hervor und schnäuzt sich kräftig, um die Tränen zu beseitigen, die beinahe über ihre Wangen gerollt wären.

 

„Ich kann ihr doch nicht den Schlüssel wegnehmen, hab ich mir gedacht. Dann weiß sie, dass ich alles weiß! Irgendwann kommt sie dann in meine Wohnung und will womöglich eine Nacht bei mir schlafen, weil ihr Mann wieder betrunken ist ... Nein, das halt ich nicht aus, Frau Hofer. Ausgerechnet die Grete! Gibt es denn nur mehr Sex auf der Welt, rauen Sex?“

 

Frau Hofer nickt zu ihren Worten und versucht, ihre Freundin zu trösten:

 

„Das kommt in den besten Kreisen vor.“

 

Frau Navratil seufzt.

 

„Ja, dort. Aber bei uns? Wenn sie wenigstens etwas getrunken hätten, bevor sie ... aber nein, stocknüchtern waren’s! Die Grete, die immer sagt, sie macht sich nichts aus Männern. Er wollt nur bezwecken, dass ich niemand mehr vertrau. Du bist nicht normal, Fritz, nicht normal, hab ich gesagt. Warum kann ich keine Ruhe finden, Frau Hofer? Was hab ich denn getan?“

 

Die Kellnerin bringt Kaffee und Torte, von der Frau Navratil gleich einen großen Bissen nimmt. Während sie die Süßigkeit hinunterschlingt, wächst ihre Traurigkeit, und endlich hat sie den Mut, ihre Ratlosigkeit auszusprechen:

 

„Ich werde Ihnen helfen, Frau Navratil!“

 

Die kann es gar nicht fassen.

 

„Wirklich?“ fragt sie. „Frau Hofer, das wär ja ... Ich trau mich gar nicht nach Haus. Immer stell ich mir vor, wie’s die beiden auf der Sitzbank treiben. Ich seh sie direkt vor mir, manchmal bild ich mir ein, ich riech schon ihren Schweiß und die Ausdünstungen. Ekelhaft. Ich halt’s einfach nicht mehr aus in der Wohnung, mir graust so. – Ich brauch irgendwo einen Platz, Sie verstehn mich doch, Frau Hofer?“

 

Hilfesuchend schaut Frau Navratil in die sanften Augen der Frau Hofer. Die hat einen Plan.

 

„Natürlich versteh ich Sie. Wir werden das schon schaffen. Ich hab von meinem Mann einen kleinen Garten geerbt, dort steht auch eine kleine Hütte.“

 

Sie zwinkert Frau Navratil begütigend zu.

 

„Das würden Sie für mich tun? Ich brauch ja nicht viel Platz, es ist schließlich nicht für ewig. Später brauch ich natürlich einen richtigen Platz, den man herrichten kann, wo man sich zu Hause fühlt. Das wär nur eine Übergangslösung. Und es macht Ihnen nichts aus?“

 

Frau Hofer lächelt.

 

„Nein. Gar nicht. Wir können schon morgen alles hintransportieren. Ich hab zu Hause zwei große Kisten, da passen die Grete und der Fritz leicht hinein. Am Abend begraben wir sie hinter dem Häuschen, gleich neben meinem Mann – und setzen ein paar Blumen drauf. Die blühen wunderschön. Sie werden sehen, das ist ein sehr lieber Platz. Die beiden werden sich dort wohlfühlen. Und Sie können sie jederzeit besuchen.“

 

Frau Navratil hat ihre Torte gegessen und ihren Kaffee getrunken, ihr Vertrauen in die Welt ist wieder größer geworden.

 

„Sie san a Engel, Frau Hofer. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Es gibt doch noch gute Menschen, selbst in der heutigen Zeit. Gell, Frau Hofer?“

Erschienen in "Wiener Brut",
Rowohlt 1986


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