Rubina Möhring, ORF-Journalistin und Präsidentin der österreichischen „Reporter ohne Grenzen“, hat ein Buch zum Thema Asyl geschrieben. Detailliert recherchiert wird am Beispiel von Jovan Mirilo beschrieben, warum die österreichische (und europäische) Flüchtlingspolitik scheitert.Jovan Mirilo ist einer von 22.000 Asylwerbern in Österreich. Auf ihn ist in seinem serbischen Heimatort ein Kopfgeld von 50.000 Euro ausgesetzt. Grund dafür: Er hatte das berüchtigte „Srebrenica-Video“ an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag vermittelt. In diesem Video wird die Ermordung von acht bosnischen Jugendlichen festgehalten. Die Skorpioni, eine „Elitetruppe“ der Serben, ließen sich beim Töten filmen. Waren es im 2. Weltkrieg noch Fotos, die lachende Wehrmachtsoldaten vor gehängten „Feinden“ zeigten, hat der Fortschritt auch hier Einzug gehalten: Videos statt Fotos als Kriegstrophäe.
Die Heimatstadt von Jovan Mirilo ist Å id, eine Hochburg der Skorpioni. 2005 ermöglicht ein Zeitungskorrespondent der Familie einen Urlaub in Tirol, damit sie sich von den Anfeindungen in ihrer Heimat erholen kann. Nach der Rückkehr erhöht sich die Gefahr im Jahr 2007: Der Prozessbeginn gegen die Skorpioni nähert sich, Anschläge auf kritische Redakteure finden statt. Jovan Mirilo flüchtet mit seiner Frau und seinem Kind nach Österreich, in jenes Land, das ihn 2005 so freundlich beherbergt hatte.
Doch nun ist alles anders: Jovan Mirilo ist nicht als Tourist hier, sondern als Asylwerber. Er landet sofort in „Schutzhaft“. Vier Wochen wird er im PAZ (Polizeianhaltezentrum) verbringen müssen, nicht umsonst. Nach seiner Entlassung erhält er einen Bescheid über die Bezahlung der entstandenen Kosten: 1.185, 82 Euro kostet der unfreiwillige Aufenthalt. Seine Chancen auf Asyl stehen schlecht, Österreich anerkennt in 1. Instanz durchschnittlich 21,7 Prozent als positiv. Damit liegt es unter dem EU-Durchschnitt, der eine Schwankungsbreite von 1,2 Prozent (Estland) bis 65,7 Prozent (Malta) hat. Europa hat so viele Gesetze wie Staaten — und diese werden permanent geändert. Eine gemeinsame Politik ist auch auf diesem Gebiet nicht erkennbar.
Wer mehr über den weiteren Vorgang und darüber hinaus über die kuriose Vielfalt europäischer Asylrechte wissen will:
Rubina Möhrings Buch „Die Asylfalle“ ist nicht nur spannend geschrieben, sondern auch gespickt mit Fakten. Und ein Lehrstück über den Umgang mit Flüchtlingen. Neben der Geschichte von Jovan Mirilo werden wir noch an andere Ereignisse der jüngsten Vergangenheit erinnert, etwa an den Schwarzen Omofuma, der im Flugzeug unter Polizeiaufsicht erstickte; an den jungen Mann, der wenige Tage nach seiner Großjährigkeit einen Abschiebebescheid erhielt und daraufhin Selbstmord verübte; an die Abschiebung der zwei achtjährigen Zwillinge, die um 6:50 Uhr, knapp vor Unterrichtsbeginn, abgeführt und in Schubhaft genommen werden. Die Mädchen leben seit fünf Jahren in Österreich, kennen ihre „Heimat“ nicht — und werden dennoch mit ihrem Vater in den Kosovo abgeschoben. Die Mutter bleibt, weil selbstmordgefährdet, in Österreich zurück. Nachdem alle Medien über den Fall berichtet hatten, zeigte auch „die Politik“ ein großzügiges Herz: Kinder und Vater durften zurück in jenes Land, das ihnen Heimat geworden war.
Es gibt noch weitere gute Nachrichten aus der Zivilgesellschaft, etwa die Initiative der bescheidenen Ute Bock, die ihr Leben Asylwerbern und anderen Benachteiligten gewidmet hat. Über Menschen, die es nicht mehr hinnehmen wollen, dass integrierte Asylwerberinnen und Asyl-werber abgeschoben werden, während jene, die „es sich richten können“, ein Aufenthaltsrecht bekommen oder gar die Staatsbürgerschaft. Dabei muss nicht nur an Opernsängerinnen oder Sportler gedacht werden, auch Reiche aus dem Osten sind willkommen, selbst wenn ihr Reichtum zweifelhafter Natur ist. Auch darüber berichtet Rubina Möhring.
„Die Asylfalle“ ist ein lesenswertes Buch für alle, die mit Bildung und Ausbildung zu tun haben. Und mehr wissen wollen über jenes Menschenrecht auf „Schutz von Minderheiten und Flüchtlingen“, das nur 32 Prozent der Bevölkerung kennen.
PS: 2007 erhielt Jovan Mirilo gemeinsam mit dem ehemaligen UNO-Generalsekretär Kofi An-nan den Bruno-Kreisky-Preis für Menschenrechte. Mitte März 2011, mehr als drei Jahre nach seinem Asylansuchen, hatte er noch immer keinen positiven Bescheid fu¨r eine anerkannte Existenz in Österreich bekommen.
Das Buch:
Möhring, Rubina, Die Asylfalle — Wie Österreich mit seiner Flüchtlingspolitik scheitert, 2011, Czernin Verlag, ISBN 978-3-7076-0353-8