In der letzten „Autorensolidarität“ wurde ein offener Brief der „IG Autorinnen und Autoren“ gegen die Zentralmatura in Deutsch veröffentlicht. Ich möchte mich davon distanzieren, als Autor und vor allem als Lehrer. Die Argumente, die in diesem Schreiben genannt werden, haben mit der Schulwirklichkeit nichts zu tun. Und es ist nicht nur der Beifall der „Österreichischen Professoren Union“, der verdächtig stimmt.
Zur Information für Leserinnen und Leser aus dem Ausland: Es handelt sich bei der „Professoren Union“ nicht um einen Verein von Universitätsprofessorinnen und —professoren. Nein, in Österreich ist jede Lehrperson an einer höheren Schule per Ernennung Professorin oder Professor. Zwar nur als Berufstitel, aber wer kennt schon den Unterschied zwischen erarbeitetem und verliehenem Titel? Und immerhin ist man damit auf Augenhöhe mit Udo Jürgens, Heinz Conrads und Joseph Weizenbaum.
Die „Österreichische Professoren Union“ ist eine Interessensgemeinschaft christlicher (?) Gewerkschafter und steht für eine stramme Njet-Politk im Bildungsbereich. Ob Gesamtschule oder Ganztagsschule, ob Reform der Ausbildung für LehrerInnen oder andere, gar höhere Lehrverpflichtungen, das alles ist des Teufels oder, schlimmer noch, sozialistisch. Mit dieser Strategie war und ist man erfolgreich, denn nichts scheint im Bildungsbereich so wichtig zu sein wie die Privilegien der „Professoren“, womit in erster Linie die gymnasialen Lehrerinnen und Lehrer gemeint sind.
Zurück zur „Zentralmatura“ und den angeblich schlimmen Folgen für das „Maturaniveau“.
Ich unterrichte seit acht Jahren an einem Kolleg, arbeite also mit jungen Menschen, die eine AHS-Matura haben und aus verschiedenen Schulen kommen. Leider konnte ich bisher selten beobachten, dass sie in der Lage sind, „ein vertieftes Argumentieren (oder Interpretieren) im Kontext eines hinreichend niveauvollen Themas“ durchzuführen und sich „gedanklich folgerichtig auf einer adäquaten Reflexionsebene zu entfalten“ (Zitat aus dem offenen Brief der Deutschprofessorin).
Das ist übrigens nicht die Schuld dieser jungen Menschen, sondern ein Problem des hiesigen Schulsystems.
í„hnliche Erfahrungen machte ich bei meinen Lehraufträgen an der Universität Innsbruck. In meinem Seminar „Verständlich schreiben“ waren die Studentinnen und Studenten überrascht, dass Schreiben gelernt werden kann. Zumindest zu einem großen Teil. Und dass Schreiben Freude machen kann, hatten fast alle vergessen.
Der Satz Tucholskys gilt für viele noch immer:
„Was wir gelernt haben, haben wir nicht wegen, sondern trotz der Schule gelernt.“
Eine Studentin fasste das so zusammen:
„Wir mussten immer literarisch schreiben. Und zwar so, wie der Lehrer sich das vorgestellt hat.“
Deutsch als Spielwiese subjektiver Bewertung? Ja natürlich, um den Werbespruch einer österreichischen Supermarktkette zu zitieren. Wenn auch ökologisch unsinnig.
Meine Tochter musste zum Beispiel in der Oberstufe des Gymnasiums im Gegenstand Deutsch ein Buch lesen. Nicht pro Woche, nicht pro Monat, nein: pro Jahr!
Da wünscht man sich als Vater eine Standardisierung, damit das Kind wenigstens, na, sagen wir mal zwei Bücher lesen soll.
Damit sich nicht eine Berufsgruppe beleidigt auf die Couch setzt, füge ich hinzu: Selbstverständlich sind viele Lehrerinnen und Lehrer engagiert. Ebenso sicher ist, dass es nicht alle sind. Über den Prozentsatz kann lange gestritten werden, aber das ist eine andere Diskussion.
Mir geht es um Folgendes:
Eine Zentralmatura gibt es in vielen Ländern, ohne dass, so viel ich weiß, Autorenverbände dagegen protestierten. Vielleicht, weil es sinnvoll ist, dass viele jungen Menschen einen bestimmten Standard erreichen? (Über den kann und soll man ausführlich diskutieren, keine Frage!)
Ist es für Autorinnen und Autoren nicht viel sinnvoller, eine Gesamtschule für alle Kinder zu fordern, damit die sozialen Unterschiede in Österreichs Schulen endlich nicht, wie derzeit, vergrößert werden, sondern vermindert?
Selbst wenn der Beifall der österreichischen Professorenunion dann ausbleiben wird?
Daher bin ich nicht gegen die „Zentralmatura“, sondern für eine Initiative der Autorinnen und Autoren für eine Gesamtschule. Damit Bildung nicht ein Privileg für einige bleibt, sondern ein Menschenrecht für alle wird. Auch hierzulande.
Erich Ledersberger
Lehrer und Autor
PS: Gebildete Menschen lesen übrigens gerne Bücher. Wäre das nicht ein Ansporn für uns Autorinnen und Autoren, sich für die Gesamtschule einzusetzen statt gegen eine (Teil)Zentralmatura?
Die „IG (Interessensgemeinschaft österreichischer) Autorinnen und Autoren“ empfand das leider nicht so … und druckte diesen Beitrag zwar ab, veröffentlichte aber gleichzeitig eine Antwort auf meinen Text.
Eine demokratisch nicht gerade feine Art.
Zum Ausgleich wurde meine weitere Antwort auf die Antwort erst gar nicht veröffentlicht.
Tja, die Demokratie hat es manchmal schwer. Sogar unter Autorinnen und Autoren. In Österreich.
Stimmt!