An sich bin ich ein rationaler Mensch. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass irgendein höheres Wesen die Idee hatte, zuerst eine Welt zu erschaffen, danach Pflanzen, Tiere und als Höhepunkt die Menschen, auf dass sie sich gegenseitig umbringen und dafür nach dem Tod in den Himmel kommen oder in die Hölle. Das klingt doch alles sehr konstruiert.
Auch die Ideen, dass Sterne unser Schicksal bestimmen oder Gesichtszüge den Charakter verraten, finde ich abstrus, wenn ich auch durchaus Verständnis habe für Anhänger solcher Lehren. Man will schließlich wissen, woran man mit seinem Leben ist! Irgendeinen Sinn muss es doch haben! Und es ist ausgesprochen angenehm, wenn einem das jemand sagt, sonst muss man selbst draufkommen und das gelingt nur wenigen.
Manchmal allerdings neige auch ich übernatürlichen Interpretationen zu.
Es gibt in unserem Garten einen schwarzen Kater, wir nennen ihn der Einfachheit halber Hugo. Er ist kastriert, aber das ignoriert er und verteidigt sein Revier mit einer Energie und einem Eifer, der seinesgleichen sucht.
Bis vor kurzem mit Erfolg — dann kam die Wirtschaftskrise.
Er magerte ab, maunzte erbärmlich und es bedurfte vieler Streicheleinheiten, um ihn zu stärken. Eines Tages hinkte er sogar und nach einigen Tagen Beobachtung beschlossen wir, gemeinsam mit der Nachbarfamilie, ihn zur Tierärztin zu bringen.
Hugo ist eine sharing-cat, die lieber in Freiheit lebt als in einer Wohnung. Weil die nicht alles bietet, sorgen wir für zusätzliche flüssige Nahrung, die Nachbarn für feste, denn nicht immer stehen genügend Mäuse für ein autarkes Dasein unserer Katze zur Verfügung. Und schon gar nicht gibt es ein Rotes Kreuz, organisiert von Katzen für Katzen.
So fuhren wir, sieben Menschlein, mit einem Kater in die Praxis einer Tierärztin. Hugo verhielt sich vorbildlich und lies die Behandlung fauchend, aber immerhin nicht kratzend über sich ergehen. Am nächsten Tag sah ich ihn mit einer Maus im Maul am Fenster vorbeiziehen.
Die Krise schien vorbei.
Seit einigen Wochen geht es mit Hugo wieder bergab. Er humpelt, pflegt sich kaum und jammert, wenn er uns sieht. Das fällt ihm schwer, denn sein rechtes Auge ist geschlossen. Er sieht dort nichts mehr. Jemand – wir vermuten, ein anderer Kater, womöglich nicht kastriert – hat ihn verletzt.
Zur selben Zeit tritt in Österreich eine Frau zur Bundespräsidentenwahl an, die ziemlich weit rechts steht. Und in Frankreich gewinnt die Partei von Le Pen. Und Kater Hugo sieht rechts nichts mehr.
Und mit einem Mal frage ich mich: Will mir Kater Hugo etwas sagen?
Hat er eine Botschaft?
Und wenn ja, welche?
Er ist eine schwarze Katze, fällt mir ein. Die bringt Unglück, das weiß jedes abergläubische Kind. Und Kindesmund tut Wahrheit kund, das weiß jeder Erwachsene.
Vielleicht ist Hugos rechtes Auge noch zu retten. Wir sollten ihn wieder zur Tierärztin bringen. Irgendwie muss die Welt gerettet werden. Und sei es durch einen kastrierten Kater.