Vorsicht, Fortschritt!

Die Welt ist ein Rechteck!

Einige Überlebende aus dem vorigen Jahrtausend können sich vielleicht noch daran erinnern:

 

Verschämt drückten sich damals Menschen, die soeben ein technisches Gerät namens „Handy“ erstanden hatten, in Hauseingänge. Von dort aus telefonierten sie dezent mit Mann, Freund oder Kindern, um einigermaßen wichtige Dinge zu besprechen.

Vorübergehende warfen vorwurfsvolle Blicke auf die Telefonierer, die entschuldigende Gesten um sich warfen. Das waren noch Zeiten!

Sie änderten sich schnell, denn Geschwindigkeit wird ebenso für einen Fortschritt gehalten wie die permanente Überwachung durch Konzerne und Sicherheitsdienste.

Mir fiel die Nivellierung der Gesprächskultur wenige Wochen später auf, als ein echter Wiener 1988 in der Mariahilfer Straße laut in sein Handy brüllte:
„Jo, i bin’s. I hob an Parkplotz gfundn. Kumm schnö, sunstan is a weck! I stö mi jetztan aufe.“

Mit diesen Worten betrat er die Fahrbahn und wehrte entschlossen andere Autofahrer ab.

Damals ahnte ich nicht, dass ich wenige Jahre danach, im Zug nach Innsbruck fahrend, die Scheidungsursache einer mir unbekannten Frau miterleben durfte.

„Daun isch er mit der bleeden Gauns insch Hotel gfoahn. Muascht da fuaschtölln: zum Hias, der wos mit insch in’d Voiksschua gongan isch! Dea hot mi glei aungruafn. No, wasch eh, wos los woa auf’d Nocht! Aum näxtn Tog bin i glei zum Aunwoit.“

Immerhin, Mord wurde keiner aus der Geschichte, zumindest habe ich nichts davon gelesen. Im Laufe der Zeit wurde das Private so öffentlich, dass konservative Linke sich darüber aufregen, wenn normale Menschen Kochanweisungen nach Hause telefonieren oder ratlose Männer im Supermarkt fragen, welche Butter sie kaufen sollen. Dabei waren die 68er es gewesen, die das einst gefordert hatten.

Kaum wurde das verwirklicht, schon waren sie wieder dagegen. Wahrscheinlich dachten sie, die Menschen würden über die gerechte Verteilung der Hausarbeit unter kapitalistischen Bedingungen diskutieren oder darüber, ob die Missionarsstellung im sexuellen Verhalten einen Herrschaftsanspruch symbolisiert — und nun das!

Alltägliche Gemeinheiten und Börsenkurse werden ausgetauscht, Treffen per SMS oder Twitter so lange variiert, bis alle Beteiligten sich auf mehrere Kontinente verteilt hatten, Selfies in solchen Mengen verbreitet, dass Unternehmen das alle erlösende „Breitband“ forderten.

Die Frage nach dem Sinn verdörrt in der Gluthitze rasender Nachrichten. Was Wunder, dass die Warnung vor „Datenmissbrauch“ bei den Betroffenen schallendes Gelächter auslöste — wenn man von profitorientierten Unternehmen absieht, die ihre Geschäftgeheimnisse weiter für sich behalten wollen.

Einige Widerspenstige schreiten neuerdings zu Gegenmaßnahmen: Sie tauschen ihre Smartphones gegen einfache Tastentelefone oder üben sich gar in Enthaltsamkeit, indem sie ihr Handy nicht aufladen, sondern schlicht und einfach abschalten. Dauerhaft!

Ein durchaus vernünftiger Weg, wie mir scheint.

Mehr Waxtum!

„Die“ Wirtschaft ist allerdings dagegen, denn Konsumverweigerung schwächt das Wachstum, gefährdet Arbeitsplätze, stärkt den Geist und ist somit gefährlich. Statt stundenlang per SMS einen Treffpunkt zu vereinbaren oder auf Facebook mitzuteilen, dass sie gerade Blähungen oder er gerade eine Blasenschwäche hat, kommen solche Menschen auf seltsame Ideen. Etwa dass Wachstum nicht nur bei Krebszellen unangenehme Folgen hat, sondern auch in der Wirtschaft. Oder dass es auf Dauer nicht gutgehen kann, wenn eine Fabrik in Bangla Desh $ 1,16 für die gesamte Herstellung (Material und Lohnkosten) einer Jeans erhält, die in den USA dann um $ 22,12 verkauft wird.

Oder dass der Lohn für eine Markenjeans, die so ab € 100,00 verkauft wird, bei etwa € 1,00 liegen, wie die Boulevardzeitung BILD meldete. [Den Link gebe ich nicht an, womöglich bekomme ich von einem deutschen Anwalt eine Abmahnung.]

Solche Gedanken führen unweigerlich zu Zweifel und kritischem Bewusstsein! Das ist wirtschaftsfeindlich, daher muss in den Ausbau von Internet-Zugang an allen Orten gesorgt werden. Und wenn dann noch, wie unsere Familienministerin möchte, alle Schulkinder zum besseren Lernen (hehe!) mit Ipads versorgt werden, dann wird alles gut.

A propos Gut!

Unser aller Gut ist in Gefahr. So sieht es der Mittelstand. Noch guter, also besser gesagt: eine Vereinigung, die sich dafür hält.

Mit Inseraten fütterte der Verein Zeitungen und zitterte um Häuser, Unternehmen und Wohnungen.

„Wie lange gehört unsere Eigentumswohnung noch uns?“, fragte ein besorgter Familienvater, im Hintergrund (wo sonst) eine Frau mit Kind auf dem Arm.

Man fürchtete sich vor einer Vermögenssteuer, wie sie in vielen Staaten üblich ist. Nicht in allen, zum Beispiel hat China keine Erbschaftssteuer, wie die Initiative betont. Ein verborgener Wunsch nach einer kommunistischen Partei?

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