Man kann diesem Wirtschaftssystem vieles vorhalten — Ausbeutung, Ungerechtigkeit, Heuchlertum und Menschenfeindlichkeit beispielsweise — , eines aber nicht: Starrheit.
Inhaltlich klüger als ein Chamäleon passt es sich seiner Umwelt perfekt an.
Ai’m lafin. It. Oder so
Nehmen wir beispielsweise einen internationalen Konzern, der fette Fleischlaberl in weiche Semmeln packt und das Ding weltweit verkauft.
Kann nicht funktionieren, schon gar nicht in einer Stadt wie Wien, die an jeder Ecke köstliche Leberkäsesemmeln anbietet, Schnitzelsemmel und Frankfurter Würstel (für meine deutschen Freunde: Fleischkäsebrötchen, Schnitzelbrötchen und Wiener Würstel).
1977 eröffnete diese amerikanische Schnell-Nahrungs (= Fast-Food) – Kette ihren ersten Laden in meiner Heimatstadt Wien.
Der Erfolg hielt sich in Grenzen. Das lag nicht nur daran, dass laut einer Verordnung Faschiertes (österreichisch für Hackfleisch) in Österreich nur 10 Prozent Fett haben durfte, während das amerikanische 17 Prozent hatte. Man sieht diesen Fettgehalt den Touristen aus den USA auch an.
Und welcher Österreicher wollte damals schon so aussehen?
Ich freute mich über den Misserfolg des Konzerns. Allerdings nicht sehr lange. Die amerikanischen Laberln (= Laibchen) in der aufgeweichten Semmel passten sich den österreichischen Verhältnissen geschmeidig an.
Heute hat der Konzern in Österreich, diesem Fels toller Esskultur, bereits 184 Filialen und 8.900 Mitarbeiter. Im September 2015 bot man sogar Bio-Faschiertes an, geliefert von echt österreichischen und zertifizierten Biobauern. Vorerst mal in Deutschland.
Na gut, Tomaten, Salat, Gewürzgurkerl und der Rest an Beilagen sind laut ZEIT nicht biologisch, aber wer wird schon kleinlich sein, wenn er schnellschnell mal was einwirft.
Und dass laut Format der Werbeslogan „I’m loving it“ grammatikalisch falsch ist (und nebenbei von den meisten Menschen falsch übersetzt wird), kümmert den Aktienkurs des Unternehmens nicht.
Eine Aktie war 1955 $ 22,50 wert, heute kostet sie $ 112,00.
In 60 Jahren eine Wertsteigerung von 500 Prozent klingt für Sparbuchbesitzer recht gut, wobei Dividendenzahlungen dabei nicht berücksichtigt sind.
Schnelle Pillen gegen Fast Food
Unter „Fast Food“ ist bekanntlich nicht „Beinahe Nahrung“ zu verstehen, sondern Essen, das sich möglichst schnell und überall runterwürgen lässt.
Weil sich irgendwann rumgesprochen hat, dass durch „Fast Food“ Menschen krank werden, weil ihnen Vitamine, Enzyme oder sonst welche Dinge fehlen, die kein normaler Mensch aussprechen kann.
Volkswirtschaftlich wird das auf Dauer zu teuer und, hast du’s nicht gesehen, hat sich der Kapitalismus der Gesundheit angenommen.
Jeder Supermarkt bietet heute Tabletten gegen Vitamin-, Eisen-, Zink- oder Magnesiummangel an. Überflüssige Produkte, weil es in der westlichen Industriewelt zumindest diese Mängel nicht gibt.
Mangel gibt es an Bewegung, aber weil das den meisten Menschen nach der anstrengenden Arbeit zu anstrengend ist, helfen Dagegen Diäten.
Verlage produzieren daher jede Menge Bücher mit Tipps, wie frau und mann abnehmen können. Dass der Kauf der Bücher kaum gegen Fettleibigkeit hilft, noch dazu, wenn Amazon alles ins Haus liefert, steht nicht auf dem Beipackzettel. Pardon: dem Klappentext.
Bio ist gut — aber was ist Bio?
Für die Gruppe der kritischen Käufer gibt es endlich eine Alternative: Bio-Produkte!
Leider kommen sie in so großen Mengen vor, dass der Verdacht keimt, hier ginge es nicht wirklich biologisch zu. Wo kommen denn plötzlich all diese gesunden Nahrungsmittel her?
Ja ist das alles natürlich, was da als „ja natürlich“ angeboten wird?
Oder gibt es gar eine Bio-Industrie, was die Idee irgendwie ad absurdum führen würde.
Christian Jentzsch, Filmemacher, hat für seinen Film Länder besucht, in denen biologische Produkte hergestellt werden. In Spanien bekommen Arbeiter € 35,00 pro Tag. Dafür müssen sie zehn Stunden arbeiten, ergibt einen Stundenlohn von € 3,50. Es sind oft Migranten, die keine Arbeitserlaubnis haben und keine Papiere.
Biologische Paradeiser (österreichisch für Tomaten) von ausgebeuteten Flüchtlingen geerntet.
„Großinvestoren sind davon überzeugt, dass Bio größer werden, Rendite abwerfen müsse. Bio-Investment ist das Stichwort, also die Tatsache, mit viel Bio viel Geld zu verdienen. Bio dient so vor allem der Geldanlage. Ein Beispiel dafür ist Osteuropa, wo ausländische Investoren massenhaft Land aufkaufen, weil die EU das subventioniert. Kleinbauern bleiben auf der Strecke.“
(Zitat aus dem Interview mit Christian Jentzsch)
Wir regeln das!
Die derzeit ziemlich einfallslose Politik hat dagegen ein schwaches Mittel, das sie permanent einsetzt: Ver- und Gebote.
Dass Zigaretten krank machen steht auf jeder Packung.
Medikamente und solche, die sich dafür ausgeben, werden im Fernsehen mit dem schnell abgehaspelten Satz „Über Nebenwirkungen und mögliche schädliche Wirkungen …“ angepriesen.
Dass solche wohlmeinenden, aber nichts bewirkenden Sätze demnächst auch auf Bier– und Weinflaschen stehen, darüber machen sich manche Gedanken.
Vielleicht wird Zucker ebenfalls so gebrandmarkt, schließlich steht er im Verdacht, süchtig zu machen?
Gefährden Parfums nicht die Gesundheit des Nächsten?
Und wann wird endlich für Radfahrer die Helmpflicht per Gesetz eingeführt?
Und für Fußgänger? Schließlich sind sie durch rasende Radfahrer am Gehsteig enorm gefährdet!
Von der Wiege bis zum Tode: Verbote
Europa eifert den USA nach, dort wird bekanntlich jede Mikrowelle mit dem Hinweis versehen, dass Katzen darin nicht getrocknet werden sollen.
Oder dass Bügeleisen nur verwendet werden sollen, wenn die Kleidung nicht gerade getragen wird.
Der Spiegel veröffentlichte einige interessante Hinweise und in der Süddeutschen Zeitung wurden weitere originelle Formulierungen gesammelt, etwa dass man keine Menschen in Waschmaschinen stecken soll – auch wenn die Mafia das vielleicht anders sieht.
Nun könnte jemand die Idee haben, dass die Menschheit auf diese Weise rasant verblödet und dagegen nur eines hilft:
Bildung
So ehrenwert dieser Gedanke ist, er kommt leider zu spät.
Den hatte das flexible Wirtschaftssystem „Kapitalismus“ schon lange und krempelt das Bildungswesen seit Jahrzehnten in seinem Sinn um — es wird privatisiert.
Wurden vor einem halben Jahrhundert noch Universitäten staatlich finanziert, so bieten heute private „Universitäten“ ihre Leistungen allerorten an.
Aber das ist eine andere Geschichte, die in der nächsten Folge von „Die Geschmeidigkeit des Kapitalismus“ behandelt wird.