Osterfriede

2016-03-27_kakanien_ostern

Eichhörnchen auf Ostereiersuche

Weil mir dieses Jahr zum Thema Ostern rein gar nix eingefallen ist, hier eine kurze Geschichte, die zumindest am Schluss auf diese Feiertage hinweist:

Der Zufall ist (k)ein Wunder. Eine Geschichte von Sex und Software. Enthalten in „Ich bin so viele“.

 

 

Der Zufall ist (k)ein Wunder

Susi mag Egon. Ihr Herz pocht vor Aufregung und ihr Schoß wird warm, wenn sie ihn trifft. Sie trinken ein paar Gläser Wein, essen eine Kleinigkeit und gehen nach Hause, mal zu ihr, mal zu ihm. Die Stunden ein Rausch, die Trennung leicht, alles fließt. Nichts soll die Leichtigkeit ihrer Leidenschaft trüben, kein Alltag, kein Anruf. Das schwören sie einander. Der Zufall ist ihr Glück, und sie wollen es nicht stören.
Nach Wochen, manchmal Monaten treffen sie aufeinander, umarmen und drücken sie sich, erzählen Geschichten aus ihren fremden Welten und sind — verliebt? Nein, dazu haben sie keine Zeit. Sie fehlt ihnen nicht. Ihr Mangel ist das Salz ihrer Freude.

Irgendwann war alles anders. Egon lief Susi elf Tage nach ihrem fröhlichen Essen beim Griechen über den Weg. Sie gingen zum Franzosen essen und danach zu Egon.

Es war ein angenehmer Abend, auch wenn der Reiz der Spontaneität geringer geworden zwar. Nach elf Tagen waren sie nicht weit genug voneinander entfernt, um überrascht zu sein von der Berührung des Anderen.

Drei Wochen später traf sie Egon im Tabakladen. Er kaufte eine Geburtstagskarte für seine Tante. Sie gingen in ein Café, aßen danach eine Kleinigkeit beim Japaner und landeten anschließend bei Susi. Sie war zu müde, um den Weg zu ihm noch zu schaffen, aber das machte Egon nichts aus.
Zum Frühstück bekam sie einen Capuccino und eine frische Semmel, die er vom Bäcker geholt hatte, weil Susi — er nannte sie nun „mein liebes Kätzchen“ — so gut geschlafen hatte.

Das war kein Wunder, denn Egon war nicht nur — wie sie angenommen hatte — bei einem Wiedersehen nach langer Zeit besonders triebhaft, sondern er war das anscheinend permanent. Das widersprach ihrer emotionalen Konstitution. Susi war euphorisch im Rahmen einer gewissen Stundenanzahl, aber nicht andauernd. Der Sprint lag ihr näher als ein Marathon. Sie brauchte ihre Ruhephasen.

Egon brauchte keine.

Fünf Tage später, es war Freitag, traf sie ihn am Markt. Susi kaufte Penne, er eingelegte Tomaten. Der Abend beim Spanier war weniger fröhlich als die früheren, eine leichte Verkrampftheit lag in der Luft, aber Egon lachte alles hinweg.

Dieses Mal hatte er während ihres Morgenschlafes geräucherten Wildlachs und mit Schoko gefüllte Krapfen gekauft. Der Café dampfte in der Schale, der Toast duftete, und Susi hatte ein unangenehmes Gefühl.

War es sein Körpergeruch? Bisher hatte der sie nicht gestört, und sie war ein sensibler Nasenmensch. Waren es die drei Löffel Zucker, die er in seine Tasse gab? Sie mochte Café schwarz und ungesüßt.

Am Mittwoch trafen sie ihn im Geschäft mit Tierfutter. Susi hatte ein großes Aquarium und Egon hasste nichts so sehr wie Haustiere, selbst wenn sie stumm sind. Susi kam ins Grübeln. Sie wollte nicht glauben, dass Egon für den Kater seines Nachbarn „Cat’s best Sushi“ kaufen wollte.

Sie gingen dennoch zum Portugiesen — Abwechslung tut gut, fand Egon — und schließlich zu ihr. Als sie wie gerädert aufwachte, standen eine große Schale Kakao und ein Kipferl auf dem Küchentisch. Der Strauß roter Rosen erhöhte Susis Unmut. Leidenschaft mit Liebe halten nur hoffnungslose Optimisten für eine dauerhafte Form. Sie frühstückten mürrisch und suchten verzweifelt nach einem gemeinsamen Gesprächsthema.

Glücklicherweise rief Egons Ex an und bat um Erhöhung seiner Alimentationszahlung für die gemeinsame Tochter. Egon lehnte ab und vereinbarte einen Termin bei seinem Rechtsanwalt. Er blickte Susi verloren an — und warf sein Handy an die Wand.

„Scheißtechnik“, fluchte er. „Sie hilft einem überhaupt nicht weiter im Leben.“

Susi nickte. Handys sind eine Qual, warum sollten sie einem weiterhelfen im Leben?

Egon verabschiedete sich und entschwand zu seinem Anwalt. Susi atmete auf und schaltete den Fernseher ein. Ein Journalist berichtete gerade von tollen Features für Handys. Sie hörte kaum zu. Sie wollte weder ein Handy als Navigator, noch eines mit E-Mail-Empfang, das alles interessierte sie nicht. Die Freude über Egons Verschwinden ließ alles verblassen.

Dann kam — Susis drittes Ohr war aufmerksam — der Hinweis auf ein Überwachungsprogramm. Und wie sinnvoll es im Freundeskreis eingesetzt werden kann. Das Böse wird zum Guten, so der Kommentar des fröhlichen Technikfreaks.

„Stellen Sie sich vor“, grinste er aus dem Fernseher heraus, „Sie können jederzeit wissen, wo Ihre Freundinnen und Freunde sind. Selbstverständlich nur, wenn diese einverstanden sind. Dann installieren Sie einfach dieses kleine Programm auf dem Handy …“

Susi war hellwach. Vor einige Zeit hatte Egon ihr neues Handy untersucht und viele Tasten gedrückt. Er wollte nur ausprobieren, welche Funktionen es hätte. Als naive Benutzerin fand sie nichts dabei, aber seit jenem Tag hatten sich ihre Treffen gehäuft. Egon war überall.

Susi rief Martin an, der seit Jahren versuchte, mit der Entwicklung der EDV Schritt zu halten. Er kannte das Programm und diktierte ihr Schritt für Schritt, wie sie es löschen konnte. Es war ein schönes Gefühl, als es raschelnd im Papierkorb verschwand.

Als sie Egon wieder sieht, sind viele Monate vergangen. Er steht vor dem Dom, sein Haar weht im Frühlingswind. Freude überkommt sie, wie damals, als sie ohne Handyprogramm durchs Leben pflügte.

„Egon!“, ruft sie und umarmt ihn. „Wie schön! Was hältst du von einem Essen beim Inder?“ Susi liebt Abwechslung.

Der Mann, der einmal Egon hieß, sieht sie entsetzt an.

„Susi“, sagt er. Und nach einer Pause: „Ich bin auf Diät. Bis Ostern. Tut mir Leid.“

Er entzieht sich ihrer Umarmung und läuft davon.

„Wie wär’s mit dem neuen Vegetarier?“ ruft Susi ihm nach.

Keine Antwort. Gekränkte Männer sind schlimmer als die fortschrittlichste Technik.

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