Die Begeisterung war groß, als das Internet die ganze Welt demokratisierte.
Oder so ähnlich. Solche Hoffnungen kannte man schon, als das Telefon erfunden wurde. Oder das Radio. Oder das Fernsehen.
Gewonnen hat (noch?) nicht die Demokratie. Die Geschäftemacher sind der Demokratie oft einen Schritt voraus.
I bin’s, dei Präsident
Nein, heute geht es nicht um die blamable Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, dass die Wahl zum Bundespräsidenten wiederholt werden muss.
Würde diese Anordnung konsequent durchgesetzt werden, müssten ja viele Wahlen wiederholt werden.
Zum Glück gibt es Fristen für Einsprüche.
Und so werden wir nie erfahren, ob Kärnten vor einigen Jahren gar nicht Herrn Haider gewählt hat, sondern … egal.
Heute ein Thema, das noch mehr Menschen betrifft: die Wahrheit im Internet.
Der Algorithmus war’s!
Ist Ihnen klar, dass Sie in einer Zeitung nicht die Seite aufschlagen, die Sie wollen, sondern jene, die Ihnen die Journalistinnen und Jornalisten zeigen?
Unsinn, werden Sie sagen.
Da haben Sie recht.
Im Internet ist das allerdings anders.
Sie als Benutzerin und Benutzer der „social media“ bekommen nicht alle Nachrichten, sondern bloß jene, die Ihre Meinung bestätigen.
Die anderen Seiten werden von Facebook, Google und Co. schlicht gestrichen.
Bei Amazon war mir das bisher klar: Der Konzern will mir alles verkaufen, was ich vielleicht gar nicht kaufen will.
Aber dass Twitter und Co. dasselbe mit „Information“ machen, wie das beschönigend heißt?
Das hatte ich noch nicht so wirklich „am Radar“.
Anders ausgedrückt: Das war mir nicht bewusst.
Die Echoräume
„Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück“, lautet ein alter Spruch für widerspenstige Kinder, die sich nach Meinung der Altvorderen schlecht benehmen.
In Zeiten des kommerziellen Internets lautet die Weisheit:
„Meine Vorurteile bekomme ich bestätigt.“
Die fälschlicherweise „soziale Medien“ genannten neuen Formen der „Kommunikation“ werden seit einigen Jahren von Konzernen gelenkt.
Wer Google und Co. benutzt, bekommt Nachrichten, die „personalisiert“, also möglichst vollständig auf die Persönlichkeit der Nutzerinnen und Nutzer abgestimmt sind.
Wer konservativ ist, bekommt konservative Nachrichten.
Wer fortschrittlich ist, bekommt fortschrittliche Nachrichten.
Die internationale Provinz
Was als Völkerverständigung angekündigt wurde, als Denken im weltweiten Stil, wurde von kaufmännischen Geschäftemachern in sein Gegenteil verkehrt:
Statt Diskussion findet im Internet Herabwürdigung anderer Meinung statt.
Statt Entwicklung – Niedertracht.
Ob der Versuch, den technischen Fortschritt positiv zu gestalten, gelingt, muss bezweifelt werden.
Die Hoffnung darauf sollte deshalb nicht aufgegeben werden.
PS: Ingrid Brodnig hat zu dem Thema ein informatives und lesbares (nicht sehr häufig bei technischen Themen!) Buch geschrieben.
Hass im Netz Bei der Buchhändlerin [auch beim Buchhändler ;-)] Ihres Vertrauens erhältlich!
[Eine Rezension dazu gibt es spätestens zu Schulbeginn. Sollte nämlich Pflichtlektüre für alle Lehrerinnen und Lehrer sein!]