Lach-Yoga kennen mittlerweile viele, der neueste Schrei – im ursprünglichen Sinn des Wortes – für ein Leben in Balance ist das Brüll-Yoga.
Falls Ihnen diese wunderbare Selbstfindungs-Therapie noch nicht bekannt ist: Hier erfahren Sie alles und noch mehr.
Brüllen ist wichtig
Einige wundern sich vielleicht, warum in den letzten Jahren immer mehr Menschen bei jeder sich bietenden Gelegenheit in lautes Kreischen ausbrechen.
Solches ereignet sich ja bei jeder Verlautbarung von Wahlergebnissen oder nach Fußballtoren, wobei die handelnden Fußballer ihr Brüllen noch durch fratzenhafte Gesichter ergänzen, die bei jedem Perchtenlauf Furcht und Anerkennung ernten würden. Besonders eindrucksvoll ist ein bayrischer Stürmer, den allerdings ein portugiesischer Kollege übertrifft, weil der sich zusätzlich ständig auszieht.
Sogar in TV-Kochsendungen wie der „Küchenschlacht“ brüllt das anwesende Publikum als würden Stierkämpfer und -innen am Herd stehen und um ihr Leben kämpfen, dabei liegt das jeweils zu bearbeitende Tier bereits tot am Tisch!
Auch in einst vornehm-dezenten Sportarten wie Tennis gehört das Brüllen zum guten Ton. Was bei den Frauen mit lautem Stöhnen begann, hat ein Österreicher zu einem Röhren weiterentwickelt und sich dabei kurze Zeit zur Nummer Eins der Welt gebrüllt.
Angeblich wird dabei angestaute Energie aus dem Leib herausgestoßen, ein Vorgang, der auch bei Blähungen auftritt, allerdings am anderen Ende des Körpers. Es entstehen dann leider unangenehme Nebengerüche, die den Nächsten Schaden zufügen können.
Gestern fand ein großer, um nicht zu sagen: großartiger Kongress von Anhängerinnen und Anhängern des Brüll-Yogas statt, der ESC, der European Song Contest.
Nach einem kurzen Lied mit Feuerwerk und Lichtorgien brüllen alle gemeinsam und wacheln zusätzlich mit Fähnchen. Ein unerhörter Moment der kollektiven Energieentladung, die nur noch durch die vorherige Aufnahme von etlichen Tonnen Bohnen gesteigert werden könnte.
Was für Außerirdische auf den ersten Blick wie eine Versammlung von Irren wirkt, ist in Wahrheit ein kathartischer, also reinigender Ritus der Neuzeit.
Erfinder dieser Therapie ist Arthur Janov, der Sigmund Freud nicht verstanden hat und meinte, durch lautes Schreien könne man irgendwie zu sich selbst finden.
Es überrascht nicht, dass solch einfaches Rezept Jahrzehnte später zu einem wahren Heuler wurde. Heute schreien immer mehr Leute bei jeder Gelegenheit, was das Zeug hält. Ohrenärzte stellen leider immer öfter Tinnitus oder einen Gehörsturz bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern fest, was ein kleiner Nachteil der Brüll-Yoga-Therapie ist.
Alles halb so schlimm, denn:
Nichts ist unheilbar!
Das wusste in den 1950er Jahren ein Mann, der nach eigener Aussage von Gott entsandt worden ist. Seine Nachfolger beweisen diese These überzeugend, indem sie allerorten, sogar auf YouTube inbrünstig wiederholen, dass sie davon überzeugt sind.
Mieselsüchtige Naturwissenschaftler und -innen halten diese Beweisführung zwar für nicht überzeugend, aber das liegt wohl daran, dass sie von Finanzkräften bestochen werden und keine Ahnung von feinstofflichen Energiewolken wie Engel und Teufel haben.
Darum bleibe ich positiv – eine andere Weisheit moderner Heilsbringer – und glaube einfach daran, dass alles geheilt werden kann, sogar das ständige Brüllen von Menschen.
Ein wenig macht mir Sorgen, dass der Mann, der die These von der Heilbarkeit aller Krankheiten aufbrachte, 1959 mit 53 Jahren an Magenkrebs gestorben ist. Aber vielleicht war das bloß eine Notwehr gegen das sich ankündigende Brüllen der nächsten, also gegenwärtigen Generationen?
Ist auch egal, schließlich gibt es noch genügend andere Therapien, die Heilung versprechen. Schlimmstenfalls lege ich einen gewundenen Garten nach Feng-Shui an – und wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, gar keinen Garten haben, stellen Sie wenigstens Ihre Pflanzen richtig auf, wechseln Sie den Standort Ihres Bettes oder ernähren Sie sich einfach vom Licht der Sonne.
Sie werden sehen, alles wird gut! Oder so.
Frühlingshafte Gefühle wünscht allen
Erich Ledersberger