Seit Jahrzehnten weigern sich kleine, aber durchsetzungsfreudige Teile der ÖVP, die Erkenntnisse der Wissenschaft anzuerkennen: dass es zum Beispiel nicht sinnvoll ist, Kinder mit zehn Jahren in „gute“ und „schlechte“ einzuteilen. Die Guten ins Töpfchen AHS, die Schlechten ins Kröpfchen Hauptschule oder neuerdings „Neue Mittelschulen“ genannt. Viel zu früh, um ein Urteil über die kindlichen Fähigkeiten zu fällen.
Die Zwangsentscheidung produziert jedenfalls Stress bei Kindern und Eltern. Sie werden nervös und belagern die Lehrerinnen, damit sie ihre Kinder wohlmeinend beurteilen und sie aufs Gymnasium schicken. Sie wissen, dass schlechte Ausbildung die Chancen am Arbeitsmarkt reduziert. Nicht alle Eltern üben Druck für gute Noten aus, bisweilen mit Hilfe eines Rechtsanwalts, es sind vor allem jene mit „bildungsnahem“ Hintergrund. Man könnte auch sagen: die bereits Privilegierten. Und so sieht schließlich die Zusammensetzung der Kinder in der Unterstufe AHS – und noch mehr in der Oberstufe – aus: Viele Kinder aus „höheren Schichten“ begegnen wenigen aus dem „bäuerlichen“ und „proletarischen“ Milieu. Es herrscht eine Monokultur mit all ihren Nachteilen.
Dass in der Eintopfschule AHS vor allem Akademikerkinder sitzen sollen, davon sind nicht alle in der ÖVP begeistert. Im Gegenteil: die ÖVP-dominierte Industriellenvereinigung ist für eine Gesamtschule, der ÖVP-dominierte Bauernbund, die Wirtschaftskammer, die gesamte ÖVP der Steiermark; dann wären da noch die ehemalige Wissenschaftsministerin Karl, der ehemalige Präsident des Landesschulrates in der Steiermark, Bernd Schilcher … ja aber hoi! Wer ist eigentlich für die Eintopfschule?
Etwa der Präsident des Landesschulrates Tirol. Das liest sich so:
„Hintergrund der Gesamtschule ist die Vorstellung, dass eine gerechte Gesellschaft nur erreicht werden kann, in dem jeder Schüler und jede Schülerin im Umfeld des eigenen Wohnorts verpflichtend in eine bestimmte Schule zugewiesen wird.“
[Seltsame grammatikalische Formulierungen wurden dem Artikel in „Echo am Freitag“ entnommen, für den Autor gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung.]
Jedenfalls wurde da etwas falsch verstanden: Es geht nicht um Zuordnung zu bestimmten Schulen, es geht um die Einführung einer Schule, die fair ist. Österreichs Schulsystem aber verstärkt den Unterschied zwischen den Schichten. Sie geht mit ihren Kindern unfair um! Das ist weder im Interesse des sozialen Friedens noch der Wirtschaft. Und schon gar nicht christlich oder sozial.
Aber weiter im Text des Präsidenten:
„Viele Untersuchungen bestätigen die hohe Qualität unseres Bildungssystems, besonders aber beweist dies die niedrige Jugendarbeitslosigkeit.“
Welche Untersuchungen das sind, wird nicht mitgeteilt. PISA kann es jedenfalls nicht sein. In dieser wichtigsten Untersuchung zum Bildungsstand 15- und 16-jähriger Jugendlicher wird dem österreichischen Schulsystem bestätigt, dass die Bildungsunterschiede der verschiedenen Schichten während der Schulzeit immer größer werden. In den meisten anderen Ländern ist das anders. Schule soll schließlich alle bilden — und nicht nur Wenige.
Außerdem stellte PISA fest, dass mehr als ein Viertel der Jugendlichen nicht sinnerfassend lesen kann. Bildung für alle? Nicht bei uns.
Und bei der Koppelung von Jugendarbeitslosigkeit mit dem Bildungssystem sollte man besonders vorsichtig sein. Die Arbeitslosenzahlen für Jugendliche klingen nicht gut, wenn man genau hinsieht: Österreich hat seine höchste Jugendarbeitslosigkeit seit Ende des 2. Weltkriegs. Knapp 50.000 Menschen unter 25 Jahren sind davon betroffen. Das höchste Risiko tragen Pflichtschulabsolventen. Ein Argument für bessere Bildung – sollte man meinen.
Aber davon will die ÖVP nichts wissen – zumindest die herrschende ÖVP. Wer das ist, weiß niemand so genau. Aber der Einfluss jener, die eine „ständische Bildung“ (Bernd Schilcher) wollen, ist nach wie vor beträchtlich. Seit Jahrzehnten.
Karl Heinz Gruber, emeritierter Professor für Vergleichende Erziehungswissenschaft an der Universität Wien:
„Als Wissenschafter des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung vor 40 Jahren eine internationale Analyse der Schulreformen ausgewählter europäischer Länder durchführten, konstatierten sie als Spezifikum der österreichischen Bildungslandschaft eine ‚außerordentlich starke Polarisierung in zwei Lager, deren Feindseligkeit und gegenseitiges Misstrauen bis an die Grenzen der Gesprächsfähigkeit geht‘. An diesem Befund hat sich bis heute wenig geändert.“
(in: Die ZEIT, 16. Dezember 2010)
Vielleicht wird auch alles anders und der neue ÖVP-Obmann setzt Bildung auf seiner Prioritätsliste nach ganz oben. Der neue Wissenschaftsminister Töchterle (von der ÖVP nominiert) meinte am 30. Mai 2008:
„… Aber mir bleiben natürlich Probleme im Bildungssystem nicht verborgen, vor allem, wenn es um die 10- bis 14-Jährigen geht. Hier findet zu schnell und rigide eine Selektion statt.“
„… Wenn das Milieu bildungsarm war, ist dieses Kind einfach unterprivilegiert aufgewachsen und hat schlechtere Startchancen. Diese müssen ihm in der Schule gegeben werden, doch dazu muss die frühe Trennung hinausgeschoben werden.“
Der Mann ist immerhin Universitätsprofessor und hoffentlich nicht so vergesslich ist wie ein schlichter Parteifunktionär.
Kann aber auch sein, dass es dem neuen Minister geht wie seiner Vorgängerin Karl. Die wurde, kaum hatte sie das „Gymnasium für alle“, also eine Gesamtschule mit neuem Namen gefordert, sofort vom Schulbereich abgezogen. Schließlich wurde Minister Töchterle vom Tiroler Landeshauptmann gelobt. Der hat nämlich auch eine Meinung zur Bildung der Jugend:
„Der Vorschlag einer Gesamtschule ist für mich nicht denkbar.“
So gesehen kann es durchaus weitere 40 Jahre dauern, bis die ÖVP erkennt, dass eine faire Schule auch ihren Wählerinnen und Wählern etwas bringt. Wenn es sie dann noch gibt, die ÖVP.
unbedingt das gymnasium haben, aber dafür nichts ausgeben wollen. beispiel ist das bg/brg sillgasse. im prinzip abgruchreif. die hakl, als
ehemalige maturantin hat seit 2000 auch nicht
erreicht.