Georg Danzer ist tot. Er war gerade 60 Jahre alt geworden. Und ich habe ihn gar nicht wahrgenommen. Nicht so, wie er es verdient hatte.Das hat ihn sicher nicht gestört. Aber irgendwie erfüllt der Tod eines anderen Menschen einen mit hochgestochenen Gefühlen. Vor allem, wenn man in einem ähnlichen Alter ist.
Man spürt die eigene Vergänglichkeit und verwechselt sie mit Anteilnahme.
Nicht wahrgenommen stimmt übrigens nicht ganz.
Da waren „der Nackerte vom Hawelka“ und die „weißen Pferde“.
Ein wenig kitschig, die weißen Pferde. Befand ich damals. Wolf Biermann stand mir näher. Auch Degenhardt. Sie waren genauer in ihrer Sprache. Weniger „runterziehend“. Das lag wohl an der Wiener Tradition. Sterben ist dort das Schönste im Leben.
Und trotzdem — oder deshalb? — war mir Danzers Intelligenz vertraut. Zum Beispiel damals, als er mit Wolfgang Ambros in der Arena war.
Das war ein kleiner Teil von Wien, der „geschleift“ werden sollte. Beziehungsweise für eine Fabrik freigemacht.
Schlachthof Arena.
Dort wurden lange Zeit die Schnitzel für Wien geschlachtet.
Fortan sollten statt Schnitzel Textilien produziert werden.
Für uns, die Jugendlichen, war weniger Platz als für Textilien.
Das Fass explodierte. Jene Ungeduld, die in uns wohnte, ohne dass wir sie wahrnahmen.
Mit einem Male brach sie hervor: wir besetzten die Arena!
Wir wollten ein Zeichen setzen.
Für eine Kultur der Jugend.
Für eine Jugendkultur.
Für das, was kurz darauf in Zürich passierte.
Wir sind gescheitert. In Wien so wie in Zürich.
Und haben gewonnen.
Heute ist das (fast) allen klar. Scheitern ist nur jene erste Stufe, auf der wir ausrutschen. Aber wenn niemand darauf ausrutscht, erreicht niemand die zweite.
Die alte Kultur kannten wir.
Das Burgtheater und die Staatsoper mit ihren Anzugs- und Abendkleiderzwängen.
Die Eintrittskarten zum Preis eines Menüs, das sich niemand von uns leisten konnte.
Die Inhalte von vorgestern. (Wenn man Glück hatte. Manche Regisseure suchten ihre Erfüllung in noch früheren Zeiten.)
Die Arena war ein Symbol für eine neue Zeit.
Leonard Cohen kam nach seinem Konzert in der Stadthalle in die Arena und spielte für uns.
Wolfgang Ambros und Georg Danzer auch.
Es war eine schöne und friedliche Stimmung.
Bloß Wolfgang Ambros hatte nicht genau verstanden, worum es ging. Er raunzte und jammerte über „die da oben, gegen die man nichts machen konnte“.
Wir pfiffen ihn aus und Georg Danzer zog ihn von der Bühne.
Er war klug und intelligent genug zu spüren, dass Jammern hier fehl am Platz war.
Abgesehen davon, dass es wahrscheinlich nicht seinem Charakter entsprach. Das Jammern.
Eine gewisse Traurigkeit lag dennoch in vielen seiner Lieder
Und die verwechseln bekanntlich viele mit Jammern.
Der Unterschied ist ein geringer. Aber entscheidender.
Lasst mich versuchen, das Jammern zu beschreiben:
Jammern beschreibt einen Zustand, der nicht zu ändern ist.
Und trauern das Gefühl, das Ende dieses Zustands nicht mehr erleben zu können.
Damals in der Arena applaudierte ich Leonard Cohen und Georg Danzer.
Wolfgang Ambros war für mich gestorben.
Seltsam, dass nun Georg Danzer, den ich niemals wieder gesehen habe, nun tot ist. Und der Hofer lebt.
Vielleicht eine österreichische Geschichte.
Oder eine Geschichte der EU.
Ein Träumer ist gestorben.
Seine Träume sollen leben.