Ich bekam von Erica Fischer ein Pulver, das sich als Kakao entpuppte. Da erinnerte ich mich an die Revolution.
Der Gaugau
Das war damals nämlich so mit der Revolution.
Die Welt stand knapp vor dem Sieg des Sozialismus. Oder des Kommunismus. Oder einer seine Unterformen, etwa des Maoismus‘, des Stalinismus‘ oder des Trotzkismus‘. (Der Anarchismus hatte nur wenige Anhänger.)
Gaugau sympathisierte kurze Zeit mit den Maoisten. Vielleicht deshalb, weil die Genossin Eva sehr hübsch war und eine, wie sollte er es korrekt denken: gewisse Ausstrahlung hatte. Nicht nur eine politische. Konkret erregte ihn ihr Anblick bis in tiefste körperliche Regionen.
Gaugau hieß laut Geburtsschein Wolfgang, aber seit er, der Wiener, in einem Linzer Café keinen Kakao, sondern einen Gaugau bestellt hatte, blieb es bei diesem Namen.
Seine Sympathie für den Maoismus, in seiner universitären Ausformung kurz MLS genannt, also marxistisch-leninistische-Studentenorganisation, hatte neben Eva auch mit der Wohngemeinschaft zu tun, in der er gelandet war.
Die Bewohner Pisch, Semmel und Ché hatten bereits den maoistischen Grundkurs, die „Einführung in den Marxismus Leninismus“ absolviert und stürzten sich auf den Neuzugang, um einen neuen Genossen für den Sozialismus zu gewinnen. Also für den Kommunismus. Den chinesischen, nicht den sowjetischen. Der war, das wusste Gaugau noch nicht, nämlich revisionistisch, quasi ein sowjetisches Abziehbild der parlamentarisch orientierten Sozialdemokratie, die bekanntlich die Arbeiter verraten hatte.
Als erste Lektüre empfahl man ihm den „Anti-Dühring“, eine verständliche Einführung in die marxistische Wissenschaft. Wolfgang, also Gaugau, las einige Seiten und verstand kein Wort.
„Macht nichts“, sagte Pisch. „Mach zuerst den Grundkurs, dann wird dir alles klar.“
„Mach ich!“, antwortete Wolfgang. „Aber zuerst sollten wir die Küche aufräumen und das Klo putzen.“
Für einen Augenblick war es sehr ruhig in der Wohnküche.
„Das ist jetzt ein Witz. – Oder?“, fragte Ché.
„Nein. Ich habe eine Milbenallergie. Und eine Stauballergie. Wir müssen unbedingt einen Plan machen, wer wann Staub saugt und den Boden nass aufwischt. Sozusagen einen Wochenplan. Einen Fünf-Jahres-Plan müssten wir uns ja vom ZK absegnen lassen.“
Der nett gemeinte Witz fand keinen Beifall, Gaugau wurde eine Woche Zeit gegeben, sich eine andere WG zu suchen.
Glücklicherweise war gerade ein Platz in der einzigen Trotzkisten-WG frei geworden. Die Aufnahme dort war herzlich und irgendwie fand Wolfgang, der auch dort bald Gaugau hieß, die neue Heimstatt sehr gemütlich.
Der Druck zum Besuch der Kurse für Trotzkismus war gering, außerdem fielen die meisten Termine ohnedies aus, weil entweder keine Besucher kamen oder keine Vortragenden.
Die Küche war etwas sauberer, aber dennoch begann Gaugau immer öfter zu niesen. Erst nachts, dann auch zum Frühstück, schließlich rund um die Uhr. So sehr ihm die neue Umgebung gefiel, seine Allergien näherten sich asthmatischen Zuständen und er musste, wohl oder übel, das Thema Sauberkeit zur Sprache bringen. Kurz überlegte er, ob er den Wohngenossen vorschlagen sollte, eine Putzfrau zu engagieren, um keine Zeit mit unnötigen Arbeiten zu verlieren. Man müsse schließlich die Revolution zu einem guten, also trotzkistischen Ende bringen. Dann fand er die Idee doch etwas verwegen und schlug, niesend, hustend und keuchend, seine Idee von einem Wochenputzplan vor.
Die Stille erinnerte ihn an seine vorige WG, woraus man ersehen kann, wie inhaltlich nahe einander Maoismus und Trotzkismus waren.
Gaugau landete schließlich in einer Frauen-WG, die sich aus einer Bürgerlichen, einer Linkskatholikin und einer in den Augen des Parteivorstandes radikalen Sozialdemokratin zusammensetzte. Beim Aufnahmeverfahren wurde er gefragt, was er von einem Putzplan halte. Am liebsten hätte er die Genossin – oder war das nur eine Kollegin? – auf der Stelle umarmt. Nachdem er die Fragen nach Kochrezepten und anderen Fertigkeiten positiv beantwortet hatte, durfte er einziehen.
Endlich war Gaugau an einem Ort angekommen, an dem er keine allergischen Anfälle bekam. Und so ging ein wertvoller Kämpfer für den Sozialismus verloren, der Kapitalismus siegte schließlich.
So war das damals nämlich mit der Revolution.
Oder so ähnlich.