Vor einiger Zeit habe ich von dem interessanten Begriff „Beratungsdiebstahl“ gehört: Den begehen Menschen, die sich in einem Geschäft ein Produkt ansehen
und es dann im Internet billiger kaufen. Diebstahl ist allerdings nicht ganz korrekt, der Vorgang ist nicht strafbar.
Da bekam ich großes Mitleid mit den großen Ketten und beschloss, den Beratungsdiebstahl mit Beratungsinvestment zu reduzieren.
Und das geht so: Als ein mit Computern vertrauter Mensch betrete ich zum Beispiel ein großes Geschäft, das mich angeblich nicht für blöd hält und steuere die Abteilung EDV an. Es ist früher Vormittag, also jene Zeit, in der die Fachkräfte zu Rudelbildung neigen und untereinander emsig Neuigkeiten austauschen.
Ich beschäftige mich in sicherer Entfernung mit einem klappbaren Notebook, das heutzutage „Convertible“ genannt wird. Niemand stört mich, aber da ich das Ding eventuell kaufen möchte, gehe ich zu der plaudernden Expertenrunde. Meine Störung wird freundlich aufgenommen, ein kompetenter Fachmann, der mir sofort vertrauenswürdig erscheint, kommt mit mir, erklärt mir den Klappmechanismus und zeigt mir eine Tastatur, die auf dem Touchscreen vorhanden ist.
„Was es nicht alles gibt“, rufe ich erfreut aus und empfinde unterschwellig ein Gefühl der Diskriminierung. Bloß weil ich etwas über 50 bin, ist das kein Grund, mich für den sprichwörtlichen DAU zu halten. Mein Vorurteil, dass in Computerabteilungen überwiegend Menschen arbeiten, die missbilligend auf den unwissenden Rest herabblicken, wandelt sich allmählich zu einer wissenschaftlich überprüfbaren These. Darum gehe ich ins Detail.
„Kann ich das Gerät auch mit 8 GB RAM haben?“
„Natürlich. Das hier hat 8 GB.“
Mein Experte lächelt nachsichtig und deutet auf ein anderes Produkt.
„Ich meine nicht das Gerät mit dem i7-Prozessor, sondern das mit dem i3-Prozessor. Der reicht für meine Anwendungen. Und wie sieht es mit einer größeren SSD aus? 256 GB zum Beispiel?“
Der Fachverkäufer stutzt, öffnet mit sicherer Hand einen Schrank, zieht die Verpackungsschachtel heraus und liest interessiert die Daten durch.
„Also hier steht nichts davon.“
Er hält mir die Schachtel mit dem Text entgegen. Ein auf den ersten Blick überzeugendes Argument, aber als kritischer Konsument habe ich mich auf das Kaufgespräch intensiv vorbereitet. Es bereitet sogar innerliche Befriedigung, den Informationsstand meines Experten zu erhöhen. Ich kann gar nicht mehr aufhören zu fragen.
„Auf der Website des Produzenten steht aber, dass auch bei diesem Modell mehr GB und eine größere SSD möglich sind.“
Das stimmt zwar nicht, aber warum soll der Konsument nicht auch ein bisschen schummeln? Außerdem will ich die Fachkompetenz des Unternehmens evaluieren, dazu ist mir jedes Mittel recht.
„Also wir haben jedenfalls nur diese Modelle!“
Mein Berater wirkt ein wenig genervt. Und das schon am frühen Morgen!
„Aber ein Stift zum Schreiben ist schon dabei? Ich meine, das ist doch ein kapazitiver Touchscreen?“
Zugegeben, ich habe das Wort „kapazitiv“ mehrmals vor dem Spiegel trainieren müssen, weil es doch einige Geschicklichkeit der Zunge erfordert, aber es ist mir tadellos von der Lippe gegangen.
„Ja. Also nein. Das Gerät hier hat einen Stift. Das dort nicht. Oder?“
Er sieht mich fragend an.
„Kapazitiv oder resistent?“
Mist. Jetzt habe ich „resistiv“ falsch ausgesprochen. Ist aber nicht aufgefallen.
„Man kann jedenfalls damit schreiben. Zumindest auf dem einen Gerät hier.“
„Nach meinen Recherchen haben beide Modelle einen Stift.“
Der Mann wirkt bereits ziemlich erschöpft.
„Aha. Danke. Das wusste ich nicht.“
„Macht nichts“, sage ich und klopfe ihm beruhigend auf die Schulter. „Man lernt nie aus. Danke jedenfalls für die Beratung.“
Draußen, an der frischen Luft, fühle ich mich richtig gut: Ich habe den Beratungsdiebstahl durch gemeine und hinterlistige Konsumenten zumindest ein wenig ausgeglichen durch mein kostenloses Beratungsinvestment.
Ich hoffe, die Vereinigung der Einzelhändler und Elektrofachgeschäfte spricht mir dafür demnächst ihr Lob aus.