Das Zeitalter der Gefühle

2016-05-22_kakanien_vor_wahlen

Empörend!

Seit frau und mann wieder mit dem Herzen denken, gilt Erregung als Argument. Wir sehen „Österreich, Österreich“ – brüllende Menschen nach einer Wahl – und wundern uns.

Wir sollten darauf hinweisen, dass Herzen nicht denken, sondern nur
„bumm-bumm-bumm-bumm“ machen.

 

Die hysterische Gesellschaft

Man stelle sich vor, ein Kind von – sagen wir – 13 Jahren würde nach der Rückgabe einer Mathe-Schularbeit wie von Sinnen durch die Klasse laufen und sich mit der Faust auf die Brust schlagen, weil es ein „Sehr gut“ bekommen hat.

Nehmen wir weiter an, das Kind würde dabei den Mund weit aufreißen wie ein Pavian, der sich über seine Beute hermacht und sich brüllend das Hemd vom Körper fetzen.
Binnen Sekunden scharen sich nun Freunde um ihn.
Sie brechen ebenfalls in ein unartikuliertes Schreien aus und die Lehrerin (männliche Lehrer gehören einer aussterbenden Gattung an) sieht vor sich ein Knäuel eng umschlungener Buben, die offenbar höchst erregt sind.

Szenen aus einer wahnsinnig gewordenen Schulklasse?

Nein. Eine ganz normale Szene bei einem Fußballmatch.

Thomas Müller hat soeben ein Tor geschossen.
Oder sonst wer.

 

Ich errege mich, also bin ich

Die Selbsterregung, im sexuellen Bereich Onanie oder Masturbation genannt, scheint sich im alltäglichen Leben immer mehr auszubreiten, nicht nur bei diversen Sportveranstaltungen.

Träger des Virus sind im medialen Bereich hauptsächlich die „sozialen Medien“, neudeutsch „social media“ genannt.

Waren früher Bierzelte und Biertische regionale Hauptträger von bisweilen absurden Gerüchten und großer Erregung, sind es heute virtuelle und globale Bierzelte:
Unsinn verbreitet sich nun mit Lichtgeschwindigkeit.

 

Hysterie als Normalzustand?

Hysterie ist medizinisch durch den Begriff „dissoziative Störung“  ersetzt worden, die Beschreibung passt recht gut auf die wilde Fratzen ziehenden Fußballer oder Rennfahrer, die einander Sekt über die Schädel kippen:
„Die Hysterie ist eine Neurose, bei der Geltungsbedürfnis, Egozentrismus und ein Bedürfnis nach Anerkennung im Vordergrund stehen.“

Warum diese Krankheit einst als typisch für Frauen galt, ist mir rätselhaft. Der gemeine Hysteriker ist im Sportbereich meistens männlich, Frauen agieren hier weitaus dezenter.

Nachdem man sich an schreiende Sportler gewöhnt hat, nahm man sich die Verhaltensauffälligkeit auch andernorts zu Herzen.

Motto: Auch wenn nichts geklärt ist, wir sind schon mal wütend.

Jüngstes Beispiel ist die österreichische Zentralmatura in Mathematik.

Zwar sind die Arbeiten noch nicht korrigiert, aber man ist schon mal empört. Angeblich fanden 70% der Schülerinnen und Schüler „die Aufgaben sehr schwierig“, berichtete Die Presse.

Mit einem „Nicht genügend“ rechneten 40% von ihnen!

Grund genug für den Volksanwalt (!) sich des Problems anzunehmen, das noch gar keines ist. Dass Elternverbände und Schülerorganisationen prophylaktisch empört sind, ist ohnehin klar, nun springen auch die politischen Parteien auf den Eilzug auf: FPÖ, Grüne und Neos fordern Klärung, Abschaffung und neue Fragestellungen.

Da mögen Mathematiker wie Rudolf Taschner und Werner Peschek die Aufgaben für durchaus angemessen halten, vorauseilende Empörung bringt mediale Aufmerksamkeit und Anerkennung.

Ob die Aufregung einen realen Hintergrund hat, erfahren wir in den kommenden Tagen. Dann werden die Korrekturen der Mathematik-Prüfungen abgeschlossen sein.

Hoffentlich haben die Beteiligten dann noch Energie für noch mehr Empörung!

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