Ich mag Deutschland.
Vor allem seine Menschen.
Mir gefällt ihre direkte Art, ihre Offenheit, ihre Sachlichkeit. Aber, liebe Leute im Norden, könnt ihr bitte manche Wörter streichen?
Zum Beispiel lecker?
Schlecker oder lecker?
Als ich das erste Mal einen Laden namens „Schlecker“ sah, hielt ich das für einen Witz. Ein Erotikgeschäft mit einem so anzüglichen Namen? Im prüden Deutschland?
Kaum zu glauben.
So war es auch, denn Schlecker war eine seriöse Drogerie.
Die 2012 ganz seriös in Konkurs ging.
Auch „lecker“ erinnert einen Ösi wie mich an erotische Tätigkeiten, schließlich weiß die Welt seit Sigmund Freud, dass allerorten unterdrückte Sexualität lauert.
Das Internet stimmt mir zu, Wikipedias Definition von „lecker“:
„Das Adjektiv geht auf das mittelhochdeutsche lecker zurück und bedeutete ursprünglich „was gut zu lecken ist“.
Was soll ich dazu sagen?
Am besten gar nichts, sondern Leipzig loben.
Die Stadt ist echt lecker!
Ich meine: interessant.
De säggsche Schproch
Ein wenig verunsicherte mich anfangs die „Schproch“, also die Sprache der Sachsen.
Die Unbefangenheit, mit der hier weiche und harte Konsonanten miteinander verwechselt und vertauscht werden, störte mich kaum, das bin ich von meiner Heimat gewohnt.
Problematischer ist die Melodie, mit der die Wörter aneinander gereiht werden. Sie erinnert ein wenig an das morgendliche Gurgeln beim Zähneputzen.
Eine entfernte Verwandtschaft zum Dialekt im Tiroler Oberland und dem Holländischen lässt sich meiner Meinung nach nicht verleugnen.
Obr i muss sochn, nach einer kurzen Eingewöhnungsphase habe ich die meisten Sätze verstanden.
Freundlichkeit ohne Profitorientierung?
Mich verwirrte folgende Beobachtung:
In Leipzig sehen einem viele Menschen tatsächlich in die Augen!
Mehr noch:
Sie sprechen mitunter mit wildfremden Menschen – etwa mit mir – und lächeln dabei!
In Wien und anderen Orten würde man vermuten, dass die Lächler unter Drogen stünden.
Hier nicht.
Ob das daran liegt, dass hier mehr als 80 Prozent der Bevölkerung konfessionsfrei, also ohne Zugehörigkeit zu einer Kirche leben?
Über die Hälfte sind sogar bekennende Atheistinnen und Atheisten!
Bekanntlich sind gottlose Menschen viel fröhlicher als jene, die ständig von einer Erbsünde geplagt sind oder sich für Jungfrauen im Paradies entleiben müssen, möglichst mit gleichzeitiger Ermordung vieler Unschuldiger.
Plagwitz
Das Industrieviertel Plagwitz ist für mich derzeit der interessanteste Teil von Leipzig.
Es entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Zentrum der europäischen Industrie.
Der Rechtsanwalt Karl Heine begann in den 1850er Jahren, Grundstücke zu kaufen und sie für die gerade entstehende Massenfertigung zu gestalten.
Er ließ Kanäle bauen und ein Schienennetz, das individuell zu den „Haustüren“ der Betriebe führte.
Der Erfolg stellte sich bald ein, auch im Wachstum der Bevölkerung.
Heute sind die Industrieanlagen nicht mehr aktiv, aber kreative Menschen haben sie in Besitz genommen.
Manche Unternehmen waren einst führend, zum Beispiel im Versandhandel, heute „Online-Shop“ genannt, wie etwa Mey & Edlich – und sind noch immer in diesem Bereich tätig.
In der Nähe, gleich um’s Eck, gibt es das Druckereimuseum.
Mehr dazu demnächst, wahrscheinlich nächste Woche in der Kolumne
„Sonntags immer“.