Jede Zeit hat ihre Seltsamkeiten und Widersprüche. Es gibt viele Beispiele, heutzutage etwa die „Jugendlichkeit“.
Nicht „Jugend“, wohlgemerkt, denn um die geht es höchst selten. Je älter die Bevölkerung, zu der ich ja auch irgendwie gehöre, wird, desto „jugendlicher“ gibt sie sich. Dieser aberwitzigen Sehnsucht konnte auch ich nicht widerstehen, daher benutze ich seit Wochen eine „Anti-Aging-Creme“. Die Marke verheimliche ich aus Konkurrenzgründen, nicht alle Greise sollen so jungenhaft aussehen wie ich. Der Erfolg ist nämlich sensationell!
Meine Falten gingen um sagenhafte 7,097% zurück, vor allem im Bereich der Ellbogen. Am Hals, der leider eher ins Blickfeld gelangt, sind die Ergebnisse ernüchternd, aber kommt Zeit, kommt Erfolg, auch wenn das im Zusammenhang mit dem Thema „Jugendlichkeit“ widersprüchlich klingt.
Zum Glück ist mein Bauch bereits faltenfrei, das liegt möglicherweise an seiner eleganten Wölbung nach außen, wodurch die Haut eine jugendliche Spannkraft hat, die keine noch so kleine Falte duldet. Dennoch irgendwie eine Problemzone, denn selbstverständlich ist mir der Ausdruck „Sixpack“ bekannt.
Für all jene, die den Ausdruck bloß als schnelle Lösung gegen leichte Durstgefühle kennen: Es handelt sich beim körpereigenen „Sixpack“ um die Deformierung des Bauches zu einem „Waschbrettbauch“, wie das in vor-denglischen Zeiten genannt wurde. Der Bauch wird dabei nicht mehr als Sitz des Gefühls interpretiert, sondern eben als Instrument, auf dem Wäsche gewaschen werden kann. Ein Schönheitsideal, das in Zeiten der Waschmaschine ziemlich altmodisch daherkommt.
Wie dem auch sei, in unserer Welt der permanenten Konkurrenz sind Fragen nach dem Sinn sinnlos. Ich versuche alles, um unseren idiotischen Idealen zu entsprechen. Irgendwie befürchte ich zwar, dass ich mich diesem merkwürdigen Zustand in meinem hohen Alter höchstens annähern kann, aber ich lasse nichts unversucht!
Der Tag beginnt mit zwei bis drei Portionen „Crunchies“ (deutsche Aussprache Krantschis), ich arbeite an einer weiteren Steigerung. Leider ist mir erst vorgestern klar geworden, dass mit „Krantschis“ nicht das Erhitzen unterschiedlicher Rohstoffe wie köstlicher Kürbiskerne in Honig samt anschließendem Verzehr des Ganzen gemeint ist, sondern das stupide Emporheben des Oberkörpers („Crunches“, deutsche Aussprache ebenfalls Krantschis) aus dem Liegezustand. Und das womöglich hunderte Male!
Dieser Irrtum mag eine Ursache dafür sein, dass mein „Sixpack“ nach wie vor ein „Onepack“ ist, also ein Bauch ohne Falten. Andererseits muss ich gestehen, dass beispielsweise Mandeln in Öl erhitzt (= Krantschi) weitaus mehr Freude machen als das stundenlange Befördern des Oberkörpers von der Waagrechten in die Senkrechte (=Krantschi).
Was also tun?
Weil es in unserer Zeit und in unserer Gesellschaft nicht um Glück oder Freude am Leben geht, sondern um Masochismus etwa in Form von Leistung und Adrenalinkick, ist die Antwort einfach:
Ich stehe nicht still, sondern quäle mich weiter, um „jugendlich“ zu wirken.
Und wenn ich darüber alt werde.