Die bunten Blusen von Hernals

Die bunten Blusen von Hernals

Bevor ganz Wien zum Schicki-Micki-Zentrum verkommt, kann man sie noch besichtigen:
jene Bezirke, in denen das Leben ohne „Liquid Edelweiß“, „Aperol“ oder sonstigen Modegetränken stattfindet. Einer davon heißt Hernals und da sitze ich nun in einem kleinen Café.

Das stimmt so nicht ganz, denn das Café ist eine Konditorei und nennt sich modern „Dolce Latte“. Es stammt ursprünglich wohl aus jener Zeit, als Familien den Sonntagsausflug mit einem Stück Torte abschlossen und nicht hektisch einen Hamburger in sich hineinstopften. Der Besitzer – ein Türke – serviert wunderbare Melange im blitzsauberen Geschirr, dazu ein Glas Orangensaft, eine Buttersemmel und zwei weich gekochte Eier. Das Ganze kostet 6,30 Euro, woran auch zu erkennen ist, dass ich in der Vorstadt bin.

Ich sitze im Freien, noch ist es einigermaßen warm. Eine alte Frau geht vorbei, sie trägt eine jener bunten Blusen aus Kunststoff, die andernorts vielleicht schon als hippe Modeartikel verkauft werden, mich aber bloß an die dumpfen 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts erinnern.

Eine Dame im elegant weißen Trainingsanzug zieht einen kleinen Hund hinter sich her, der verzweifelt versucht, sein Geschäft zwischendurch zu erledigen. Ein kräftiger Mann mit blau schillernder Jacke, auf der in kräftigem Gelb das Wort „Italia“ genäht ist, betritt einen „Centissimo-Laden“, in dem alles verkauft wird, was es an Plunder gibt. Mit einem Rasierer kommt er heraus, eilt zu seinem Mercedes und schüttelt die Fußmatten auf der Straße aus. Ein Auto will gepflegt sein, Ordnung muss sein!

Neben dem Kebab-Imbiss hat gerade ein kleiner Frisörladen eröffnet, montags gibt es zehn Prozent Ermäßigung für Pensionisten. Zwischen diesen eilen bisweilen junge Menschen vorbei, die meisten mit Kopfhörern geschmückt oder zumindest das Handy fest im Auge.

Ein sichtbar alkoholisierter Mann stolpert vorbei, dennoch zielstrebig, wahrscheinlich auf dem Weg zum nächsten Supermarkt, der Bier im Sonderangebot führt. Er überquert die Straße, ein Lieferwagen stoppt freundlicherweise. Er hat die Produkte der Bäckerei ums Eck geladen, fährt türkisches Gebäck an sein Ziel. Ich habe gestern einen Blick in die Backstube geworfen: bunte Torten, Kekse, Baklava mit Füllungen aus Marzipan, Walnüssen und Pistazien. Der Duft war betörend und noch zwei Gassen weiter zu riechen.

Ein seltsames Gefühl der Vertrautheit beschleicht mich. Ist es die Vielfalt dieser kleinen Welt, die mich berührt? Alte und Junge, hier Geborene und Zugewanderte, viele kleine Geschäfte und ein kleines Einkaufszentrum? (Man kann sich dem so genannten Fortschritt schließlich nicht gänzlich verweigern.) Ist es der kleine Markt, in dem der Fleischhauer noch Pferdeleberkässemmeln verkauft?

Nein, hier glänzt nicht alles. Fassaden bröckeln und es gibt einige geschlossene Läden. Aber die Menschen sind nicht genormt wie in so manchen anderen Gegenden der Stadt. Hier leben keine Hochglanzfiguren, die Geld zu ihrem Lebensinhalt gemacht haben. Hier ist das Leben noch bunt. Wie lange noch? Kaum jemand weiß das, am ehesten noch die Bauspekulanten. Die Wohnungpreise sind kräftig gestiegen in den letzten Jahren.