Vor einiger Zeit verbrachten wir ein paar schöne Tage in einer kleinen Pension. Dort war auch eine Volksschulklasse: 25 Kinder mit fünf Betreuerinnen und Betreuern.
Das klingt nach einem pädagogisch guten Verhältnis. Theoretisch. Die Praxis war eine andere.
Wer kommt denn da von oben her?
Wir begaben uns nächtens in den Weinkeller, um gemütlich bei einem Glas Morillon zusammenzusitzen. Dort begannen wir sogleich, die politische Weltlage, den morgigen Ausflug und die Koalitionsmöglichkeiten nach den nächsten Wahlen zu diskutieren. All das im Flüsterton, um die netten Kleinen, die eine Woche in der schönen Natur verbringen sollten, nicht zu wecken.
Wir kamen allerdings zu keinem Ergebnis, denn bereits beim Anstoßen, es war etwas nach 23 Uhr, wurden wir von einem großen Donner gestört, seltsamerweise ohne vorhergehenden Blitz. Das Kreischen hoher Stimmen löste das Rätsel: Offenbar war ein Bär mittlerer Größe in die Kinderzimmer eingedrungen. Tatsächlich krachte kurz danach die nächste Tür und Kinderfüße trappelten aufgeregt zu unseren Häuptern.
„Ein Glück noch“, sagte ich, „dass die Decke stabil ist.“
Freund Josef, der sich schon immer durch selbstlose Tapferkeit auszeichnete, eilte, nachdem das Donnern um das Dröhnen und Wackeln des gesamten Hauses erweitert worden war, hinauf in den ersten Stock. Wir nahmen all unseren Mut zusammen und wollten ihm nach, da kam er bereits resigniert zurück.
„Oben steht eine Frau vor dem Spiegel und kämmt ihr Haar. Um sie herum rennen und schreien die Kinder. Aber sie sagt nichts.“
Die Anti-Pädagogik
Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass von den fünf Betreuern zwei Mütter der Kinder waren, zwei Väter – und eine Lehrerin! Man kann sich ungefähr vorstellen, welcher Druck da vorhanden war. Die Kinder der anwesenden Eltern hin- und hergerissen zwischen privater und öffentlicher Aufsicht, die Eltern um ihre eigene Brut besorgt, die Lehrerin ratlos.
Jedenfalls lösten die Erwachsenen das Problem auf elegante Weise: Sie äußerten sich zu den nächtlichen Eskapaden nicht, auch nicht zu jenen am Frühstückbuffet. Die Kleinen nahmen von den wunderbaren Brötchen, Joghurtbechern und Schinkenröllchen hier einen Bissen, dort einen und dann auch noch da einen. Die angebissenen Teile ließen sie zurück.
Auch die Behandlung der Möbel ließ den Verdacht aufkeimen, dass sie gerade das „dunkle Mittelalter und die Vandalen“ durcharbeiteten und hier in die Praxis umsetzen wollten.
Da die „Betreuer“ sich bei Wein und Zigaretten entspannten, um dem Getöse zu entgehen, griff die Besitzerin des Hauses durch und ermahnte die Kinder deutlich, dass sie hier Gäste seien, das Frühstück morgens ab etwa 4:15 Uhr von ihr in Handarbeit gemacht werde und sie keine Lust hätte, die nächsten Tage mit einem Tischler zu verbringen.
Dafür musste sie sich später den Vorwurf anhören lassen, dass sie nicht kinderfreundlich sei.
Die verlassenen Kinder
Ich weiß nicht, was in den Köpfen jener Eltern vorgeht, die ihre Kinder verlassen. Anders kann ich dieses Sich-Hinausstehlen aus der Verantwortung nicht bezeichnen. Zehnjährige Kinder brauchen erwachsene Menschen, die ihnen nicht nur mitteilen, dass es sinnvolle Schlafenszeiten gibt, die etwas vor Mitternacht liegen, sondern diese Forderung durchsetzen.
Auch der Respekt vor Menschen und ihrer Arbeit stellt sich nicht von selbst ein. Wer zulässt, dass Kinder Brote, Käse, Wurst und Joghurt etc. als Dinge betrachten, die ohne Bedenken weggeschmissen werden können, darf sich über eine Welt des bizarren Konsums nicht wundern.
Ja, Eltern haben neben der materiellen Versorgung noch weitere Aufgaben. Wer das nicht verstanden hat, soll bitte keine Kinder in die Welt setzen! Damit ersparen sie der Gesellschaft rücksichtslose Erwachsene und sich selbst jede Menge Ärger mit Schule, Sportwochen und all den „anstrengenden“ Aufgaben.
Vielleicht kommt morgen auch für die Eltern die Erleuchtung!
Am Pfingstmontag soll ja Folgendes vorgefallen sein:
„Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“
Vielleicht ist auch die pädagogische Sprache darunter.
In diesem Sinn: eine gute Woche wünscht allen
Erich Ledersberger