Heimwärts geht’s!

Böhmischer Prater

Böhmischer Prater

Im Zuge unseres Projekts „Stadtflaneure“ wandern wir hin und wieder durch meine Heimatstadt Wien. Der Blick von außen, als einheimischer Zugewanderter, ist spannend.

Und bisweilen verknüpft mit Erinnerungen an frühere Zeiten, wie neulich im „Böhmischen Prater“.

 

 

Die Ziegel-Behm

Es ist noch nicht so lange her, da hatten die „kleinen Leute“, von denen rechte Parteien so gerne sprechen, in Österreich ungefähr so viele Rechte wie heute Ausgebeutete in fernen Ländern.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vor nicht einmal 200 Jahren, wurden einige Menschen sehr reich – und blieben viele sehr arm. Der Wienerberg – heute gibt es ein Unternehmen mit ähnlichem Namen – war eines jener Zentren, in denen Menschen sich schinden mussten, damit sie bloß zu essen und zu trinken hatten.

Die Bezahlung war nicht nur widerwärtig niedrig, sie wurde noch dazu großteils in Blechmünzen bezahlt, die außerhalb des Betriebes nicht angenommen wurden.

Sklavenähnliche Verhältnisse herrschten dort – wie heute in jenen Ländern, aus denen wir billig Rohstoffe beziehen und in die wir unseren Müll entsorgen:
„Für die Ziegelschläger gibt es elende ‚Arbeitshäuser‘. In jedem einzelnen Raum, sogenanntem ‚Zimmer‘, dieser Hütten, schlafen je drei, vier bis zehn Familien, Männer, Weiber, alle durcheinander, untereinander, übereinander. Für diese Schlafhöhlen scheint die Gesellschaft sie auch noch ‚Wohnungsmiete‘ zahlen zu lassen, denn der Bericht des Gewerbeinspektors meldet 1884 von einem Mietzins von 56 bis 96 Gulden.
Seit einiger Zeit ‚wohnen‘ die Ledigen in eigenen Schlafräumen. Ein nicht mehr benützter Ringofen, eine alte Baracke, wird dazu benützt. Da liegen denn in einem einzigen Raum 40, 50 bis 70 Personen. Holzpritschen, elendes altes Stroh, darauf liegen sie Körper an Körper hingeschlichtet. In einem solchen Raum, der etwa 10 Meter lang, 8 Meter breit und höchsten 2,2 Meter hoch ist, liegen über 40 Personen. Das macht also kaum 4 Kubikmeter Luft pro Person.
Da liegen sie denn, diese armen Menschen, ohne Bettuch, ohne Decke. Alte Fetzen bilden die Unterlage, ihre schmutzigen Kleider dienen zum Zudecken. Manche ziehen ihr einziges Hemd aus, um es zu schonen und liegen nackt da. Daß Wanzen und Läuse die steten Bettbegleiter sind, ist natürlich. Von Waschen, von Reinigung der Kleider kann ja keine Rede sein. Aber noch mehr. In einem dieser Schlafsäle, wo 50 Menschen schlafen, liegt in einer Ecke ein Ehepaar. Die Frau hat vor zwei Wochen in demselben Raum, in Gegenwart der 50 halbnackten, schmutzigen Männer, in diesem stinkenden Dunst, entbunden.“
Quelle: http://www.favoriten.spoe.at/victor-adler-und-die-ziegelarbeiter

Der Mann, der das schrieb, war Arzt und später Mitbegründer der SPÖ, der einst Sozialistischen Partei, seit 1991 Sozialdemokratischen Partei Österreichs.

Heute sind die Begründer des Reichtums, die böhmischen Arbeiter, weitgehend vergessen. Nur der kleine Prater am Laaerberg erinnert an sie. Er ist einige hundert Meter lang – in die Breite geht er, im Unterschied zu vielen Besuchern, nicht. Er erinnert in seiner Einfachheit an eine lange vergangene Zeit. Es ist ein wohliges Gefühl, das einen beschleicht, nicht nur mich, den heimgekehrten Emigranten.

Meine Großeltern kamen auch aus jenem Kronland, das sich die Familie Habsburg einst angeeignet hatte. Im Jahr 1900, als Wien zwei Millionen Einwohner hatte, lebten laut einer Volkszählung 100.000 Tschechen hier. Wenn sie die gleichen Rechte haben wollten wie die „Einheimischen“, mussten sie einen Eid ablegen und schwören, dass sie „den deutschen Charakter der Stadt nach Kräften aufrecht halten wollen“.

So ordnete es der Bürgermeister Karl Lueger an, der anfänglich als liberal galt und sich später zum Antisemitismus bekannte.

1951 gaben noch 3.540 Personen an, Tschechisch als Umgangssprache zu benutzen. Auch meine Großeltern sprachen nur deutsch mit mir. Schade, ich würde gerne eine zweite Sprache können. So bleibt nur die Tatsache, dass ich ein Wiener mit Migrationshintergrund bin, der nicht einmal mehr die Sprache seiner Heimat kennt.

Aber schetzkojedno, also alles egal. Zumindest dieses behmische Wort kenne ich noch von meiner Großmutter.

 

Alles muss raus!

Den Laaerberg kenne ich aus jener Zeit, in der Hormone die jungen Menschen belasten. Die Sexualität dringt aus allen Poren, aber niemand will sie.

Was tun? Laufen!

Um sechs Uhr klingelte Burli – eigentlich Wolfgang, aber das war damals ein häufiger Name und deshalb wurde er, der nicht so klein war, aus unerfindlichen Gründen so genannt – am Haustor.

Sportlich gekleidet rannten wir den Laaerberg hinauf. Oben stärkten wir durch Liegestütze unsere Armmuskeln, was unser Ansehen bei den Mädels steigern sollte. Es half nichts und so liefen wir wieder hinunter, Richtung Simmeringer Haide. Um acht Uhr trafen wir uns wieder in der Schule und dämmerten den restlichen Vormittag vor uns hin.

Es war eine seltsame Zeit.

Hoch hinauf!

Flieg, Maikäfer, flieg!

Der kleine Phönix

Beinahe wäre der Prater der kleinen Leute untergegangen. Kurz vor Kriegsende zerstörten Bomben alles, bis auf zwei Karussells.

1986 kaufte die Stadt Wien das Gelände und sicherte damit den Weiterbestand. Deshalb konnten wir auch den Umzug aus dem Mittelalter sehen. Genauer dem, was wir uns unter Mittelalter vorstellen.

Mittelalter am Laaerberg

Mittelalter am Laaerberg

 

 

 

 

 

 

Mancher aus der damaligen Zeit wundert sich, welchen Fortschritt die Menschheit genommen hat.

Erstaunter Spaßmacher

Erstaunter Spaßmacher

 

 

 

 

 

 

Andere haben bereits auf neue Techniken umgestellt.

Selbst ist der Mensch

Selbst ist der Mensch

Wieder andere haben Probleme mit der Rechtschreibung.

WIEN! Nicht WEEN!!

WIEN! Nicht WEEN!!

 

 

 

 

 

 

Macht nichts, hier ist es einfach schön.
Ruhig.
Gemütlich.
Menschlich.

Die Raupe des Böhmischen Praters

Die Raupe des Böhmischen Praters

 

 

 

 

 

 

Und so sieht sie aus, die Raupe:

Die Raupe Nimmersatt

Die Raupe Nimmersatt

 

 

 

 

 

 

Beim Stern

Wir gehen den Berg hinunter, die Bitterlichstraße entlang. Einst fuhr ich hier mit dem Fahrrad hinunter. 60 kmh zeigte der Tacho.

Es war aufregend, heute sagt man wohl Adrenalin-Kick dazu. Anscheinend werden normale Ereignisse gerne in biologische Wörter rationalisiert.

Jedenfalls funktionierten am Ende der Straße, dort, wo sie eine heftige Linkskurve macht, die Bremsen tadellos. Andernfalls könnte ich diese Geschichte nicht erzählen.

Ich zeige meinen Mit-Flaneuren noch Hasenleiten, jenes Gebiet, das ich in der guten, alten Zeit nicht betreten sollte, weil dort viele dunkle Gestalten umhergingen.

Heute sind die Gefahren geringer geworden, aber die Furcht der Einwohner größer.
Gute Voraussetzungen für die Wiedergeburt eines neuen großen Mannes, der alles regelt.

Aber so weit ist es noch nicht.
Wir besuchen das Gasthaus Stern und erfreuen uns an einer Küche, die in Simmering zu meiner Zeit nicht vorhanden war.

Fisch mit Spargelrisotto

Fisch mit Spargelrisotto

 

 

 

 

 

 

Darum nehme ich noch eine kleine Nachspeise.

Creme Brulee - oder so

 

 

 

 

 

Einen schönen Sonntag und eine gute Woche
wünscht euch allen wie immer:
Erich Ledersberger

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