Viele Besucherinnen und Besucher im Café Dezentral am Ilgplatz.
Alwin Schönberger, Alfred Bäck und Michael musizierten, ich las Interviews mit Herrn Hawliczek, der Politik und die österreichische Seele analysierte.
Und nun die erste Seite der nächsten Geschichte aus „Als mein Ich verschwand“.
Anfang und Ende
Ein einziges Mal musste sie ihn wieder spüren. Und die Gefühle, mit denen ihre Ehe begonnen hatte, damals.
Es war acht Uhr morgens. Sie hatte geduscht und ihre Nägel blau lackiert. Auch die an den Füßen. Er schlief noch. Eigentlich schlief er ständig. Wie konnte ein alter Mann so viel schlafen? Weil er immer viel geschlafen hatte? Es hieß, im Alter brauchte man weniger Schlaf. Ein Irrtum, wie sie neulich gelesen hatte. Die Schlafforschung – sie war erstaunt gewesen, was es nicht alles gab in der Wissenschaft – hatte herausgefunden, dass alte Menschen ihr Schlafbedürfnis bloß auf mehrere Schlafphasen verteilten. Die Summe blieb gleich. Bei ihrem Mann war die Schlafsumme immer groß gewesen. Bei ihr nicht.
Sie zog das blaue Negligé an, das zur Farbe des Nagellacks passte und betrachtete sich im Spiegel. Im arabischen Raum hätte sie noch immer Erfolg, befand sie. Irgendwie gefiel sie sich. Ihre Brüste waren voll, wenn auch der Erdanziehung weniger gewachsen als vor einigen Jahren. Jahrzehnten, um es genau zu nehmen. Aber so genau wollte sie es nicht nehmen. Nicht heute. Sie färbte ihre Lippen mit einem dunklen Rot, machte einen Schmollmund.
So konnte es jedenfalls nicht weitergehen. Ihr Mann verschlief das Leben. Das gemeinsame und vor allem ihres. Als würde er die Grabesstille schon vorwegnehmen wollen, eine Art prophylaktische Einübung in den Tod. Der interessierte sie nicht. Tot bin ich lange genug, dachte sie. Und werde es nicht mal bemerken. Jetzt findet das Leben statt, der Tod ist das Nichts, das kann ich später genießen.