Magdalena, die sich nach eigenen Angaben auf innere Werte konzentrierte, überraschte Egon/Christian: Sie sah jünger und besser aus als auf dem einzigen Bild, das sie im Internet veröffentlicht hatte.
Ihre witzigen Mails hatten ihn dazu angeregt, ein Treffen zu vereinbaren, nun wurde er auch ästhetisch angenehm überrascht.
Er bedankte sich für das Geschenk, das sie mitgebracht hatte: Es waren drei Steine, die alle negative Energie im Raum aufsaugen und die er an Vollmondnächten einfach ins Freie legen sollte. Dann würde ein Energieaustausch erfolgen, das Negative entweichen und das Positive der Atmosphäre in die Steine schlüpfen. Die entstehende Energie würde ihn dann zu den wunderbarsten Leistungen anregen. Dabei lächelte sie vielsagend.
Er wurde vor Aufregung so nervös, dass ihm sein Vorspeisenteller in der Küche runterfiel. Immerhin konnte er nun Magdalena in aller Ruhe beim Essen zusehen.
Das störte sie nicht. Sie hatte offenbar seit Tagen nichts gegessen, denn sie verlangte gleich nach Gebäck. Er hatte für das Gulasch selbstgemachte Semmeln vorbereitet, wie er beiläufig erwähnte. Magdalena nickte und berichtete von ihrer Getreidemühle und dass sie Brot vom Bäcker nicht mehr essen könne, seit sie das Brotbacken entdeckt habe. Sie redete behände drauflos und fragte Egon/Christian zwischendurch über sein Leben aus.
Das hatte er nicht so gern und verlagerte daher das Gespräch in die Küche, um das Gulasch aufzuwärmen. Sie beobachtete ihn ungeniert und als er ihr ein Glas Prosecco einschenkte und sie umarmen wollte, wies sie ihn freundlich ab. Am spannendsten, befand sie, sei doch der Anfang. Die Vorspeise. Er nickte betreten.
Wieder zurück im Wohnzimmer aß sie vornehm, aber zügig einen Teller leer und freute sich über einen zweiten. Auch das Bier schmeckte ihr, sie fand sogar lobende Worte für das Essen. Allerdings hätte sie etwas mehr Paprika verwendet, aber das sei Geschmackssache. Egon/Christian überlegte gerade, welche Musik er spielen sollte, da wünschte sie sich bereits etwas Klassisches.
„Aber nicht den Bolero!“ Sie lächelte schelmisch. „Und auf keinen Fall Richard Wagner.“
Er blätterte durch seine CD-Sammlung und entschied sich für Mozart, gespielt von Timna Brauer und Elias Meiri. Magdalena schien zufrieden, ein kleiner Rülpser entkam ihr.
„Pardon.“ Sie musste lachen.
„Passiert mir selten. Hast du einen Grappa?“
Egon/Christian eilte in die Küche und kam sich vor wie in einer Doppelrolle als Kellner und Koch.
Das Dessert! Was wollte er gleich machen?
Im Wohnzimmer, als Magdalena ihm zuprostete und den Schnaps mit einem Schluck durch die Kehle rieseln ließ, fiel es ihm wieder ein: einen Cocktail. Ob sie einen wollte?
„Ich liebe Cocktails! Caipirinha, Mai Thai, Mojito, Tequila Colada, Sweet Memories, Pikaki – mir ist jeder recht.“
Sie schien einen Lehrgang für Cocktails absolviert zu haben.
„Ich habe einen Bird of Paradise vorbereitet.“
„Auch gut. Hast du noch was Süßes dazu?“
Dieses Treffen entwickelte sich irgendwie anders als das erste. Irgendwo hatte er noch Zotter-Schokolade als eiserne Reserve. Hoffentlich hatte seine Tochter sie nicht gegessen. Egon/Christian schüttelte den Cocktail mit aller Energie, die er noch hatte und holte die Gläser aus dem Tiefkühler.
Magdalena erwartete ihn bereits und trank, besser gesagt: stürzte den Cocktail hinunter, als wäre sie soeben einer Wüste entronnen. Egon/Christian dachte verzweifelt darüber nach, was er ihr noch anbieten könnte. Glücklicherweise schien sie einigermaßen zufrieden.
„Möchtest du noch ein Glas Wein? Ich habe einen wunderschönen Riesling im Keller.“
Magdalena nickte erfreut und übergab ihm ihr Cocktailglas, während sie mit ihrer anderen Hand die Schokolade aus ihrer Hülle befreite.
Im Keller atmete Egon/Christian tief durch. Diese Frau vertrug zweifellos große Mengen an Alkohol. Er arbeitete sich die vier Stockwerke zu seiner Wohnung hoch. Magdalena lag auf der Couch, weitgehend unbekleidet. So war sie noch hübscher.
„Noch ein Glas Wein, dann darfst du mich genießen.“
Sie räkelte sich wohlig. Er tat, wie ihm geheißen, prostete ihr zwischendurch zu. Er schlüpfte aus der Hose, zog die Socken aus – immer schon ein für ihn sehr peinlicher Vorgang – und entledigte sich seiner restlichen Kleidung. Magdalena lehnte sich vornehm zurück. Irgendwie geriet seine Erregung ins Stocken.
Magdalena sah ihn erwartungsvoll an.
„Alles in Ordnung?“
Egon/Christian nickte und begann sie zu liebkosen. Küsste sie auf den Hals. Sie kicherte. Ihre erotischen Zonen mussten sich an anderen Orten befinden.
Er wandte sich ihren Brüsten zu, ihrem kleinen Bauch, dem Nabel, den Oberschenkeln. Allmählich erwachten seine Lebensgeister. Magdalenas Atem ging gleichmäßig und tief. Als er sich von ihren Knien wieder hinaufarbeitete, bemerkte er, dass ihr Atem sehr tief ging. Und sehr regelmäßig. Ein leises Geräusch kam dazu, es erinnerte ihn an sein Schnarchen, von dem er ab und zu erwacht war. Die Erinnerung entpuppte sich als reales Geschehen: Magdalena hatte die Augen geschlossen, ihr Kopf war auf die Seite gefallen. Sie schlief einen seligen Schlaf.
Ausschnitt aus dem Buch:
„Ich bin so viele“ von Erich Ledersberger
ISBN-13: 9783735793805
Erhältlich in jeder gutwilligen Buchhandlung und beim Autor und im Internet.
Dort auch als E-Book:
https://www.bod.de/buchshop/catalogsearch/result/?q=Ich+bin+so+viele