„Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir“, meinte Seneca vor ungefähr 2.000 Jahren. In meiner Schule stand dieses Zitat in die Mauer gemeißelt. Allerdings in der für die Schule bekömmlicheren Form, nämlich verdreht. Angeblich lernten wir fürs Leben und nicht für die Schule. Nur wenige glaubten das.
Seneca bezweifelte damals den Sinn der Philosophenschulen, Kurt Tucholsky fasst das im vorigen Jahrhundert so zusammen: „Alles, was wir wissen, wissen wir nicht wegen, sondern trotz der Schule.“
Die Frage nach dem Sinn von Unterricht ist nicht neu und jedenfalls bis heute nicht gelöst. Dass Bildung wichtig ist, steht außer Frage. Unklar ist, was Bildung eigentlich ist. Das, was in den Lehrplänen steht?
Thomas Städtler fordert in seinem Buch „Die Bildungshochstapler“, dass die Lehrpläne um 90 Prozent gekürzt werden müssen. Nur eine Provokation? So wie sein Satz „der Mensch lernt ein Leben lang, mit Ausnahme der Schuljahre“? Oder doch mehr?
Gerhard Roth, Hirnforscher an der Universität Bremen, sieht das Problem ähnlich. Bildung hat mit Wissen zu tun, das bleibt. Also „nachhaltig“ ist, wie das mit einem Modewort bezeichnet wird. Das mag für eine Mathematikerin die Infinitesimalrechnung, für einen Germanisten Johann Wolfgang Goethe oder für eine Musikerin Werner Pirchner sein. Aber nicht alle werden Mathematiker, Germanistinnen oder Musiker.
Wäre es nicht toll, wenn alle Schulabsolventen und -innen die Prozentrechnung anwenden, einen kurzen Text ohne grobe Rechtschreibfehler schreiben und die ersten vier Takte des Donauwalzers singen könnten?
Das ist natürlich etwas vereinfachend ausgedrückt. Im Prinzip geht es darum, dass Grundlagen gelehrt und gelernt werden müssen. Und das geschieht vor allem durch Wiederholung. Es hat keinen Sinn, wenn das Interesse an Inhalten verloren geht, weil die Betroffenen, die Schülerinnen und Schüler, längst den Anschluss verloren haben.
Wer den Dreisatz nicht beherrscht — und den brauchen wir tatsächlich im wirklichen Leben —, wird die höhere Mathematik nicht verstehen. Und leider können diesen Dreisatz nicht viele. Stattdessen praktizieren die meisten die Kunst des „Bulimie-Lernens“: Sie lernen für den nächsten Test, die nächste Schularbeit, um das Gelernte danach so schnell wie möglich zu vergessen.
Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung schlägt als Gegenmittel vor, „nicht nach jedem Vierteljahr das zu prüfen, was gerade in diesem Vierteljahr drankam, sondern einfach Prüfungen zu machen, in denen alles vorkommen kann, auch Dinge, über die man noch nicht gesprochen hat.“
Vor allem sollte ein enges Kernwissen, ein Fundamentalwissen gelehrt werden, das auch fünf Jahre nach der Matura zur Verfügung steht. Über den Inhalt dieses Kernwissens sollte diskutiert werden, nicht über ein möglichst voluminöses Füllhorn, dessen Inhalt über die Schüler/innen geschüttet wird.
Lehrerinnen und Lehrer sollen diesen „Kerninhalt“ vermitteln und können danach darüber hinausgehen. Kreativ, nach ihren eigenen Interessen. Und die vermitteln Menschen bekanntlich besser als bis ins Detail vorgeschriebene Lehrpläne. Die werden sonst schnell zu „Leerplänen“.
Frei nach Karl Farkas: Schau’n Sie sich das an — die unten angeführten Artikel der „Zeit“ sind eine tolle Diskussionsgrundlage!
Das Buch
Städtler, Thomas, Die Bildungs-Hochstapler, 2011, Spektrum Akademischer Verlag, ISBN 978-3-8274-2150-0
Weitere Informationen
http://www.zeit.de/2011/33/Lehrplaene-Bildung-Schule – Das will ich nicht wissen, abgerufen am 27. 9. 2011
http://www.zeit.de/2011/33/Schulfaecher-Lehrplan – Vergiss es! Aber was? Abgerufen am 27. 9. 2011