Liebe Illuminata, liebe Illuminatae, liebe Illuminati, liebe Illuminates!
Es freut mich, euch heute eine neue Entdeckung unseres Instituts präsentieren zu können. Wir haben, nur wenige Millionen Lichtjahre entfernt, einen unscheinbaren Planeten entdeckt. Die Bewohner nennen ihr Inselchen „Erde“ und hielten es lange Zeit für das Zentrum des Alls.
Es ist ein merkwürdiger Planet, ausgestattet mit allen Schätzen, die den Bewohnern (und —innen, wie sie mancherorts nicht müde werden zu betonen) ein glückliches Leben ermöglichten. Nicht ermöglichen, denn leider bleibt es beim Konjunktiv, der Möglichkeitsform. Ihre Wirklichkeitsform, den sie Indikativ nennen, ist ein fortwährendes Leiden.
Stellvertretend für das winzige Kügelchen dort haben wir ein noch winzigeres Völkchen beobachtet, das sich einer merkwürdigen Sprache bedient. Sie nennen sie „Deutsch“ und machen viel Aufhebens um sie. Es gibt unter ihnen sogar einige, die sich Zeit ihres Lebens mit dieser Sprache beschäftigen und emsig Seite um Seite beschreiben, bis vor kurzem auf haltbarem Papier, neuerdings „digital“.
Warum sie das tun, entzieht sich unserer Kenntnis. Manche von ihnen behaupten, dass sie mit ihren Sätzen neue Erkenntnisse gewinnen, die sie mit anderen teilen. Allerdings fallen diese Erkenntnisse auf wenig fruchtbaren Boden.
Der erste Glaubenssatz
Ein Glaubenssatz dort — wir kommen zu weiteren im Laufe unserer Ethno-Reihe — lautet nämlich: Der Krieg ist der Vater aller Dinge. Nicht etwa das Gehirn! Ein wunderlicher Schluss und weil sie immer mehr Dinge wollen, führen sie, in ihrem Denksystem völlig logisch, beständig Kriege, mal hier, mal dort.
Selbst das Spielen, dem sie sich bisweilen hingeben, hat den Charakter eines Krieges. Deutlich wird das beim sogenannten Boxen, bei dem zwei von ihnen in einem kleinen Rechteck stehen. Sie schlagen sodann heftig und lange aufeinander ein, bis einer — oder neuerdings auch eine — zu Boden geht und zehn Sekunden lang nicht aufstehen kann. Seit etwa 100 Jahren haben sie die Dauer des Kampfes auf 15 Runden von jeweils drei Minuten beschränkt. Sollten dann beide noch einigermaßen aufrecht stehen, zählen sie Punkte von so genannten Schiedsrichtern zusammen, die verzweifelt versuchen, einen Gewinner zu ermitteln. Ein Unentschieden halten sie kaum aus.
Bei einem anderen Spiel laufen 20 Menschen auf einem etwas größeren Rechteck einem Ball hinterher, während zwei von ihnen vor einem Kasten stehen und unbedingt verhindern wollen, dass er bei ihnen vorbeiflitzt, obwohl ohnehin ein Netz verhindert, dass er zu weit weg fliegt. Interessanterweise werden sie dabei von Tausenden beobachtet, die johlen oder pfeifen oder sonstige Laute von sich geben.
Lärm scheint ihnen überhaupt eine Art Energiespender zu sein, denn an nahezu allen Orten, selbst an jenem, das sie das „stille Örtchen“ nennen, kommen aus „Laut“-Sprechern Töne.
Es gibt auch ruhige Sportarten, etwa das Schach. Die Menschen halten das für ein höchst kompliziertes Spiel, dabei hat das Brett, auf dem sich einige wenige Figuren befinden, nur 64 Felder. Mit großem Ernst sitzen einander zwei Menschen gegenüber und überlegen Minuten, Stunden, mitunter Tage, wann sie welche Figur wohin schieben sollen. „Natürlich“ — in ihrem Sinn — geht es auch hier um Sieg und Krieg. Wer gewonnen hat, darf nämlich „Schach matt“ sagen, was ungefähr „Tod dem König“ bedeutet.
Es gab hin und wieder Proteste gegen den Glaubenssatz vom „Krieg als Vater aller Dinge“, manche wollten sogar „Frieden auf Erden“, sie nannten sich Pazifisten. Zum jetzigen Zeitpunkt wird das Wort meistens als Herabwürdigung gebraucht, ähnlich dem Begriff des „Gutmenschen“. Es scheint, als wäre der „Bösmensch“ die für sie einzig denkbare Zukunftsperspektive.
Auf der winzigen Halbinsel Europa, auf dem unter vielen anderen Sprachen das von uns erwähnte Deutsch gesprochen wird, wurde von Oppositionellen einst sogar das Zeitalter der Vernunft ausgerufen. Der Begriff ähnelt unserem, allerdings nur oberflächlich. Einer ihrer Vertreter wird mit dem Satz zitiert:
„Die Stimme der Vernunft ist leise, aber sie wird siegen.“
Der Mann war Optimist, so nennen sie dort ein Lebewesen, das an das Gute glaubt, auch wenn kein Beleg für diesen Glauben vorhanden ist.
Der zweite Glaubenssatz
Ein weiterer ihrer sonderbaren Glaubenssätze lautet: Wachstum ist gut. Allerdings nicht immer, beispielsweise versuchen sie Tumore mit allen Mitteln am Wachstum zu hindern. Wir haben sogar Menschen beobachtet, die Bäume am Wachsen hindern, indem sie ihre Blätter mit einer Schere verkleinern, so lange, bis die Bäume klein bleiben. Sie nennen das Ergebnis „Bonsai“ und sind mächtig stolz darauf, wenn jene Pflanzen klein bleiben, die ohne sie in den Himmel wachsen würden.
Andererseits bauen sie Häuser, die derzeit bis zu einem Kilometer in die Luft ragen. Auch hier geht es in erster Linie darum, das höchste Haus, den längsten Tunnel oder den schnellsten Zug zu haben.
Das alles soll das „Wirtschaftswachstum“ beschleunigen, ohne das die Menschen allem Anschein nach nicht glücklich sein können. Es gibt zwar keinen Hinweis darauf, dass dieses „Wirtschaftswachstum“ ihr Glück wachsen lässt, aber das lässt sie in ihrem Streben nicht Halt machen.
Wir haben Gespräche archiviert, in denen scheinbar vernünftige Menschen davon alles Wohl der Bevölkerung ableiten — und kaum jemand widerspricht ihnen!
In einer Schulklasse konnten wir eine Jugendliche filmen, die ihren Lehrer fragte, wie das denn gehen soll, immer nur wachsen. Irgendwann, meinte das naive Mädchen, seien doch alle Rohstoffe aufgebraucht!
Der Lehrer stimmte zu. Nach unserer Einschätzung handelt es sich dabei um die Meinung einer Minderheit. Die Mehrheit bleibt bei ihrem Glauben an Wachstum, ebenso unerschütterlich wie viele von ihnen an einen Geist außerhalb ihrer Wahrnehmung glauben.
Aber zum Thema „Religion“ kommen wir später, heute widmen wir uns noch einem anderen Phänomen, nämlich der Unterscheidung in unterschiedliche „Geschlechter“, denen auf Erden viel überflüssige Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Die Geschlechter
Die Menschen unterteilen sich überwiegend in sogenannte Männer und Frauen, es fehlen ihnen unsere weiter führenden Variationen. Zumindest weitgehend, denn seit kurzem dringt auch in der Menschen merkwürdig verkürztes Bewusstsein, dass mitten unter ihnen Wesen leben, die biologisch eindeutig weder dem einen, noch dem anderen zuzuordnen sind.
Weil sie allerdings der Biologie — so nennen sie dort das Verharren in ihrer Meinung nach unveränderliche, per Geburt definierte Bedingungen — mehr Bedeutung zumessen als dem eigenen Denken, überrascht sie das nur wenig. (Das sexuelle Geschlecht wird auf Erden sogar dazu verwendet, unterschiedliche Verhaltensweisen zu erklären!)
Sie versuchen also, aus der Geburt heraus (wo kam wer wann mit welchem Geschlecht, welcher Hautfarbe oder sogar welcher Religion zur Welt!) Charaktereigenschaften abzuleiten, ein bemerkenswerter Holzweg, den sie seit Jahrhunderten ohne Reflexion beschreiten.
Gedanklich auf die Unterteilung zwischen Frau und Mann fixiert, müssen sie sich noch immer paaren, um die Erde zu bevölkern. Besser gesagt: zu übervölkern. Denn obwohl dort allgemein bekannt ist, dass die Erde nicht mehr als eine bestimmte Anzahl von Menschen ernähren kann, tun ihre Bewohner so, als ob das für sie nicht gälte: Sie vermehren sich auf „Teufel“ komm raus, womit wir einen Begriff erwähnt haben, der dort eine große Rolle spielt, beinahe so groß wie jene des „Gottes“, den es in unterschiedlichsten Auswüchsen und Ausformungen gibt. Dazu später mehr.
Zur „Hochzeit“, wie sie die offizielle Vollziehung der physischen Paarung nennen, veranstalten sie ein Fest. Der körperliche Austausch unterschiedlicher Säfte zur Produktion von Nachwuchs ist meistens bereits vollzogen oder steht kurz bevor. Nun versprechen sie einander ewige Treue und anderes, was sie, abgesehen von Einzelfällen, nicht einhalten. Das wissen sie oder ahnen es zumindest, es hindert sie aber keineswegs an einer Fortsetzung dieses Rituals.
Es scheint den Menschen allgemein enorm wichtig zu sein, der Vernunft nicht zugängliche Dinge zu vollziehen und zu produzieren. Sie bauen auch Kirchen und Paläste, wetteifern um Symbole, riskieren Kopf und Kragen, ja ihr eigenes Leben, um … tja, was eigentlich?
Das ist die interessante Frage, die wir uns gestellt haben. Eine Antwort haben wir bisher nicht gefunden. Das soll uns nicht entmutigen, jedes Rätsel hat eine Lösung.
Mehr dazu bei unserem nächsten Treffen. Zusammenfassend können wir beim derzeitigen Stand der Dinge davon ausgehen, dass wir in Kürze, in etwa 200 bis 300 Jahren, den Untergang der Erde beobachten werden können.
Es sei denn, diese kleinen, in Spurelementen gar nicht so dummen Menschen, entschließen sich zur Vernunft. Nichts deutet darauf hin, aber Überraschungen sind auch auf diesem kleinen Sternchen möglich.
Mehr davon beim nächsten Teil unserer Serie:
„Unbekannte Welten — fern dem All“