„Politisches Beben.“ „Erdrutschartige Verluste.“ „Wundenlecken nach Wahlen.“ „Schwere Niederlage.“
Oder auch: „Ohrfeige für die Regierung.“ „Historisches Wahldebakel.“
Den österreichischen Zeitungen fielen zu den Wahlen in der Steiermark und im Burgenland nur die üblichen Gemeinplätze ein. Damit sind sie ein Spiegelbild der Politiker, denn die verfallen „in Demut“ (ÖVP-Steindl und FPÖ-Tschürtz) und andere Plattheiten, die niemand mehr hören mag.
So unangenehm/peinlich/bestürzend/widerlich das Wahlergebnis sein mag: Ist die FPÖ tatsächlich der Sündenbock? [Oder der einzig legitime Sieger, wie es die FPÖ ausdrückt.]
Reinhard Göweil listet in der Wiener Zeitung auf, wie SPÖVP-Regierung und Landesfürsten sich redlich bemühten, der FPÖ Stimmen zuzuführen.
Das vom Ausmaß her gesehen lächerliche Problem der Flüchtlinge wurde zu einer riesigen Gefahr für die „österreichische Rasse“ emporlizitiert. Die FPÖ fühlt sich „in der Heimat fremd“, was an sich ja sympathisch klingt, wären da nicht viele, die diese unsinnige Aussage auf sich selbst beziehen und nicht auf die FPÖ.
Flüchtlinge als heiße Kartoffeln
Die Peinlichen unter den österreichischen Politikern überbieten sich derzeit. Da richtet Genosse Kaiser (SPÖ Kärnten, Verwalter der FPÖ-Schulden dort) dem Genossen Klug (SPÖ-Verteidigungsminister) aus, dass in einer Kärntner Kaserne keinesfalls Flüchtlinge untergebracht werden können.
Der ÖVP-Bürgermeister von Bad Gastein sieht das am Beispiel eines Hotels ebenfalls so, auch wenn ÖVP-Landeshauptmann Haslauer das Angebot eines Hoteliers (übrigens ein Politiker der neuen Partei Neos) annehmen möchte: Sepp Schellhorn bietet die derzeit leer stehenden Betriebswohnungen seines Hotels an.
Njet, sagt der Bürgermeister dazu.
Und die ÖVP-Innenministerin muss die „Flut“ der Flüchtlinge in Zeltlagern unterbringen, obwohl das Ministerium seit langer Zeit ahnt, dass Kriege auch Flüchtlinge hervorbringen und sogar dem Außenministerium schon bekannt ist, dass in Syrien ein brutaler Krieg herrscht.
Alles Steilvorlagen für die popolistige FPÖ.
Warum nicht FPÖ?
Karim El-Gawhary hat auf die Frage eines ORF-Journalisten, warum junge Menschen zum so genannten „Islamischen Staat“ gehen, ungefähr geantwortet:
„Wenn ich einen Muslim frage, warum er nicht in í„gypten sich demokratisch wehrt, lacht er mich aus. Schließlich sind gerade viele Muslime in einem zweifelhaften Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt worden.“
Nein, in Österreich werden keine Menschen zum Tod verurteilt.
Aber wie sieht die Welt aus der Sicht jener aus, die in den Medien selten gesehen und gehört werden?
Was bietet die Politik jenen, die zur Kategorie der „Wohlstandsverlierer“ — so wird das beschönigend genannt — gehören?
Ich bin in Wien/Simmering aufgewachsen, einem Arbeiterbezirk, früher einem Hort der Sozialdemokratie. Die Genossinnen und Genossen in der Partei waren ihrer Wählerstimmen so sicher, dass dieser Bezirk sträflich vernachlässigt und zu einem baulichen und sozialen Jammertal wurde.
Daran hat sich wenig geändert, der Zentralfriedhof ist noch immer der schönste Teil meiner Heimat. í„hnlich verfuhr die Sozialdemokratie mit Bezirken wie Favoriten oder Hernals.
Das großartige Erbe der Zwischenkriegszeit, als „das Rote Wien“ weltweite Anerkennung für seine Gemeindebauten, seine Bildungs- und Gesundheitspolitik bekam, wurde verspielt.
1930 konnte ein Wiener Bürgermeister noch sagen:
„Längs dieser Straße sind heute prächtige Bauten entstanden, die in ihrer Zweckmäßigkeit und Schönheit die Anerkennung der Welt gefunden haben. So können die Margaretner ihren Gürtel eine zweit Ringstraße nennen. Hier ist eine Ringstraße des Volkes entstanden, des Volkes, das wir emporführen wollen zum Verständnis und zum Genuss des Schönen.“ [Karl Seitz, Wiener Bürgermeister]
Heute lässt Wiens Regierung zu, dass im Prater, gleich neben der Trabrennbahn, Büro- und Wohnungstürme entstehen. Quadratmeterpreis: € 5.000,00 aufwärts.
Der Bau von Gemeindewohnungen wurde eingestellt, verantwortlich dafür war jener Mann, der heute Bundeskanzler ist.
Gibt es eine grüne Alternative?
Für gebildete Bürgerinnen und Bürger vielleicht, für die Arbeiterinnen und Arbeiter — sie werden ergänzt durch die „in prekären Verhältnissen Lebenden“ — sicher nicht.
Die neue Fußgängerzone Mariahilfer Straße ist wunderbar, aber das interessiert viele Menschen in Simmering überhaupt nicht.
Auch das Argument, dass die durchschnittlichen Kosten für einen Kilometer Autobahn etwa 17 Millionen Euro betragen und die Gesamtkosten der Fußgängerzone Mariahilf etwa 25 Millionen Euro beeindruckt sie nicht.
Sie hätten gerne einen einigermaßen sicheren Arbeitsplatz, ein Einkommen, das das Auskommen garantiert und eine Wohnung, die sich auch Junge leisten können.
Das waren einmal klassische sozialdemokratische Themen, die von den derzeit handelnden Personen vergessen wurden.
Aber auch die Grünen widmen sich lieber politisch bequemeren Themen wie politisch korrekte Sprache oder Quotenregelungen, wobei darunter nicht an die quotenmäßige Besetzung von Supermarktkassen durch Männer gedacht wird, sondern an Positionen, die in Arbeiterbezirken ohnehin kaum jemand erreicht.
Grün wählen als Arbeiterin oder Arbeiter? Als in prekären Verhältnissen Lebende?
Warum?
Wir sind dagegen!
Wo niemand für einen ist, wählt man jene, die immerhin gegen alle [Politiker] sind: die FPÖ. Die Partei zeigt immerhin Verständnis für jene, die auf der Verliererseite stehen.
- Dass die Thesen der FPÖ meschugge sind [und das ist freundlich ausgedrückt], spielt keine Rolle. Klarerweise gefährden Flüchtlinge, die ohnehin nicht arbeiten dürfen, keine Arbeitsplätze.
- Klarerweise wird Österreichs Wirtschaft nicht dadurch wachsen, dass es aus der EU austritt.
- Klarerweise kann kein Herz „ROT-WEISS-ROT schlagen“ — so nennt sich das Parteiprogramm der FPÖ.
- Klarerweise ist Österreich ein Einwanderungsland, auch wenn die FPÖ in ihrem Programm das Gegenteil behauptet — ein Ausflug in Adressbücher beweist das eindeutig.
Und über die Wirtschaftskompetenz der FPÖ braucht spätestens seit den Ereignissen rund um die HypoAdria nicht nachgedacht zu werden.
Bloß: Was haben die Arbeitstätigen, also jene, die arbeiten, von den jetzigen Regierungen zu erwarten?
Im Bereich „Wohnen“ schaffen sie nicht einmal das, was in Deutschland eine schwarz-rote Regierung erreichte, etwa die Reduzierung der Maklergebühren. Nach wie vor bezahlen in Österreich Käufer und Verkäufer jeweils 3 % plus 20% Umsatzsteuer des Kaufpreises.
Wer eine Wohnung um € 300.000,00 kauft, bezahlt satte € 3.600,00 Maklergebühr. Dieselbe Summe wird beim Verkäufer fällig, ergibt € 6.000,00 für die Vermittlung einer Wohnung. (Die darin enthaltene Umsatzsteuer geht an den Staat.)
Auf die Erbschaftssteuer möchten in Deutschland weder SPD noch CDU verzichten, in Österreich gilt sie nahezu als Enteignung, als wären Erben Leitsungsträger per Geburt.
Während die Steuer auf Finanzerträge 25 % beträgt, bezahlen arbeitende Menschen ab einem Monatseinkommen von € 1.000,00 36,5 % Steuer, wenn es mehr als satte € 2.000,00 sind, werden von dem darüber hinausgehenden Betrag 43 % Steuer fällig.
Wer sind die Leistungsträger in Österreich? Offensichtlich die Erben und Finanzjongleure: Sie zahlen weniger Steuer als Arbeiter.
Die Aufgeregten
Die FPÖ hat zwar kein politisches Rezept gegen solche Ungerechtigkeiten, aber sie regt sich gerne auf. Unsichere Zeiten produzieren Hysterie, wer am lautesten schreit hat recht. Und auf diesem Gebiet hat die FPÖ einen Obmann, dessen Aufgeregtheit und Atemlosigkeit kaum zu übertreffen sind.
Wenn dieser Mann im Wettkampf mit Politikern steht,
- die zurücktreten, wenn sie unter 30 % Stimmen bekommen — um danach weiterzumachen;
- die beschließen, nicht mit der FPÖ zu koalieren — um es danach dennoch zu tun, weil der Landeshauptmann beim Beschluss gerade am Klo oder sonstwo war;
- die seit Jahrzehnten von Bildungsreform sprechen — um statt der Gesamtschule eine weitere Schulform, die NMS, einzuführen;
- die alle Jahre wieder von einer neuen Regierungsform reden — um danach wie gehabt weiterzuwurschteln …
dann ist es nicht verwunderlich, wenn die von dieser „Politik“ am meisten Betroffenen mit Wahlenthaltung reagieren.
Oder mit einem Kreuzerl bei der FPÖ.