Zu Fuß planlos durch eine fremde Stadt gehen, das stimmt fröhlich. Also mache ich mich auf, Berlin zu „ergehen“. Vom Deutschen Theater gehe ich zur Invalidenstraße und wundere mich über eine seltsame Skulptur im Invalidenpark. Ist das eine Satire? Was stellt dieses rechtwinklige Dreieck dar, an dessen einer Seite senkrecht Wasser runterfällt? Müde plätschernd, als wisse es um seine Hässlichkeit? Ich finde keinen Hinweis und gehe weiter, zum Spandauer Schifffahrtskanal.
Beim Museum für Gegenwartskunst betreibt Sarah Wiener seit 2003 ein Restaurant. Die Köchin ist nicht nur Tochter des Wieners Oswald Wiener und der Malerin Lore Heuermann, sondern selbst kreativ – und geschäftstüchtig. Ihre Website treibt es wirklich bunt, was nicht negativ gemeint ist!
In ihrem Restaurant beim Hamburger Hafen können bis zu 1.200 Gäste bewirtet werden. Das sind mir zu viele, also gehe ich weiter zum Invalidenfriedhof, wundere mich über die Restbestände der Berliner Mauer, die diese Stadt einst trennte.
Irgendwie lande ich schließlich auf der Chauseestraße, dort, wo Wolf Biermann so lange auf der Gitarre spielte, bis daraus eine Schallplatte wurde. „Chauseestraße 131“ hieß sie. Derzeit wird das gesamt Haus renoviert und wartet auf investitionsfreudige Eigentümer. Das nimmt alles keinen sozialistischen Gang, lieber Wolf. Kein Wunder, dass du nach Hamburg ausgewandert bist, dort gibt’s keinen Rückfall in den Kapitalismus, weil der dort nie abgeschafft worden ist.
Aber bevor ich bei der Nummer 131 lande, stehe ich vor einem Tor mit vielen Plakaten: „Freedom Park“ steht da und weil unsereins schlampig ist, lese ich nicht weiter, sondern gehe in das weitläufige Gelände.
Weit hinten stehen große, bunte, bemalte Steine, deren Stil an jenen Teil der Berliner Mauer erinnert, der von berühmten Künstlern bemalt wurde und eine touristische Sehenswürdigkeit geworden ist. Hier sind keine Touristen zu sehen, kein einziger Mensch außer mir ist hier. Stimmt nicht, da kommt noch jemand aus der Halle, die hinter den bemalten Steinen ist. Freundlich kommt er auf mich zu, ich habe das Gefühl, einem netten Security-Menschen gegenüber zu stehen. Einem friedlichen immerhin, denn er hat keine Waffe. Zumindest sehe ich keine.
„Darf ich mich umschauen?“, frage ich entwaffnend – man weiß ja nie – freundlich.
„Sie dürfen bis zu diesem weißen Strich gehen“, antwortet der Mann ebenso freundlich.
Der weiße Strich befindet sich etwa 20 Zentimeter von meinen Füßen entfernt. Ich gehe auf volles Risiko und stelle meinen rechten Fuß keck auf den Strich.
„Und dahinter ist Feindesland? Wie bei der Mauer damals?“
Der Mann lächelt und nickt.
„Und was macht ihr dahinter? In der großen Halle?“
So viel Ahnungslosigkeit kann auch nur ein Besucher haben. Er schüttelt den Kopf.
„Na was werden wir schon machen? Kunst natürlich.“
Das hätte ich mir wirklich denken können.
Ob ich sie mir ansehen könnte, möchte ich wissen.
„Klar, wir haben eine Internetseite.“
Super. Ich nehme meinen Fuß von der weißen Linie und gehe hinaus, auf die Chauseestraße. Gegenüber bauen sie ein neues Haus für den BND, den Bundesnachrichtendienst. Ob das Zufall ist? Oder beobachten sie einander? Der Geheimdienst die Kunst und die Kunst den Geheimdienst?
Keine Ahnung. Als ich daheim die Internetseite öffnen will, bekomme ich die Nachricht: „Forbidden — you don’t have permission to access.“
Sozusagen die weiße Linie, die ich nicht übertreten durfte. Diesmal virtuell.
Vielleicht habe ich auch die Adresse falsch verstanden. Oder die machen gar keine Kunst. Kann ich mir aber nicht vorstellen.
Der „Freedom Park“ ist übrigens in Kreuzberg. Aber dort mögen sie keine Touristen. Dann fahre ich eben zum Müggelsee. Dort haben sie keine weißen Linien. Noch.