Neulich las ich den Bericht über einen Mann, der endlich seine Wurzeln gefunden hatte.
Das fand ich toll. Aber, dachte ich, wo sind meine? Habe ich überhaupt welche?
Und wenn ich keine habe: Wer bin ich dann?
Ich begab mich also auf Wurzelsuche.
Identität und Wurzeln
Bis vor wenigen Jahren waren mir Begriffe wie Identität und Wurzeln, abgesehen von meinem botanischen Wissen, weitgehend unbekannt. Bäume, also unbewegliche Pflanzen, hatten Wurzeln, ebenso wie Löwenzahn oder Rosmarin. (Die Beispiele fallen mir bloß ein, weil ich in den Garten blicke.)
Aber Menschen?
Ich habe jedenfalls keine Wurzeln, ich bewege mich täglich von einem Ort zum anderen, manchmal nur vom Schlafzimmer in die Küche und dann zum Esstisch, aber das ist nur für meine Ärztin ein Problem.
Ich habe jedenfalls keine Zeit zum Wurzelschlagen.
Bin ich also ein Heimatloser? Ein Mann ohne Heimat? Ohne Vaterland? Gar ohne … Identität?
Mit einem Mal wurde mir klar: Ich bin ein Verlorener! Ohne Wurzeln, ohne Identität: Was sollte aus mir werden?
Das musste ich ändern!
Nach sechs Jahren intensiven Lateinunterrichts, vorgetragen von einem verwirrten Professor, war mir klar, dass Identität das immer Gleiche bedeutet. Wer sich ident ist, bleibt sein Leben lang der immer gleiche, meistens langweilige Mensch.
Ein ewiger Einheitsgatsch sozusagen.
Wenn ich mir jemals eine Identität erarbeiten konnte, bedeutete das, dass ich danach der immer Gleiche bliebe!
Immer ident.
Immer langweilig.
Eine schreckliche Vorstellung!
Nein, also dieser Idee konnte ich nicht folgen, ich beschloss, lieber keine Identität zu haben als irgendeine.
Aber die Wurzeln!
Die waren doch wichtig, wenn ich das ständige Suchen allerorten danach richtig interpretiere.
Also meine Wurzeln. Wo soll ich anfangen?
Ich wuchs in einem Arbeiterbezirk namens Simmering auf. Sind dort meine Wurzeln?
Ich rufe einen Freund aus Kindestagen an und frage ihn:
Was sind deine Wurzeln?
Schweigen am anderen Telefon.
Dann: „Host kane Probleme grod?“
Kurzum, von dem Mann konnte ich keine Hilfe erwarten. Also weitersuchen.
Ich habe von einer Frau gehört, die ihre Wurzeln bei ihren Ahnen suchte. Sie drang immer weiter vor in die Geschichte Europas, ja der Welt. Am Ende war sie überzeugt, dass ihre Wurzeln bei Eva und Adam lagen.
Aber was fing sie mit dieser Erkenntnis an?
Half es ihr in ihrem Leben?
Machte es sie glücklich?
Ich weiß es nicht.
Meine Ahnensuche begann gleich ums Eck, in der Tschechoslowakei. Das war ein Staat, den es einst im Norden von Österreich gab. Von dort waren meine Großeltern nach Wien gezogen, er Schuster, sie Hilfsarbeiterin in einer Fabrik, die in Favoriten lag.
Jeden Tag marschierte sie zwei Stunden von Simmering nach Favoriten und abends wieder zurück. Sie sprach Tschechisch und Deutsch, leider brachte sie mir nur ein einziges tschechisches Wort bei: Pomali.
Obwohl: ein schönes Wort, das heute einen schlechten Ruf hat.
Sind das meine Wurzeln?
Meine ALF findet: Ja!
Ich mache alles pomali, also langsam.
Damit liege ich auch voll im Trend der Zeit! Pomali heißt englisch slow und davon gibt es jede Menge.
Slow food, also pomali essen, slow brewing, pomales Bier, slow radio, pomali zuhören, wie immer das gehen soll, slow steaming, slow tourism undsoweiter, alles ganz pomali.
Zu slow loving fand ich auf Google leider keine Ergebnisse, obwohl ich diese Art der Freizeitbeschäftigung ebenfalls als sehr angenehm finden würde.
Egal, ich habe zumindest Teile meiner Wurzeln gefunden!
Ein erleuchtendes Wochenende, Pfingsten, wünscht euch
Ihr/euer Erich Ledersberger