Österreich und seine Wurst

Auf dass es euch wohl und ergehe.

Nein, es geht nicht um Conchita Wurst. Es geht ums Wurst-Sein. Also darum, was alles vielen Österreichern wurscht ist.

Etwa die Trennung von Staat und Religion. Die steht zwar in unserer Verfassung, aber das bedeutet nicht gar so viel.
Aber welche Folgen hat es, wenn jemand diese Trennung ernst nimmt?

Hans Rauscher wittert im Standard einen (für ihn wohl überflüssigen) „Kulturkampf“, wenn Eltern sich darüber beschweren, dass der Musikunterricht in einer niederösterreichischen Volksschule zu einem beachtlichen Teil für das Singen von Liedern für die katholische Erstkommunion verwendet wurde. Der Journalist findet das im Standard „verbissen“, also irgendwie unangenehm.

Man darf nicht alles so wörtlich nehmen! Oder sollte man das im Interesse der Demokratie doch tun?

Vielleicht hat Hans Rauscher den Artikel seiner Kollegin (ebenfalls im Standard) nicht genau gelesen.  Dort wird davon berichtet, dass „ganze Stunden für das Erlernen der Kirchenlieder verwendet wurden. … der konfessionslosen Tochter und einem muslimischen Mitschüler wurden Arbeitsblätter gegeben.“

Stillbeschäftigung nennt sich diese Art der Unterrichtsweglegung für Anders- und gar Ungläubige.

Darf’s ein bisserl mehr sein?

„Nicht mehr nur im Musikunterricht wurden die Lieder für die Erstkommunion Mitte Mai geprobt, sondern auch im Rechenunterricht.“ Das Zitat stammt ebenfalls aus dem Artikel von Rosa Winkler-Hermaden. Offensichtlich hat man an dieser Schule den Begriff fächerübergreifend sehr kreativ interpretiert.

Der tatsächliche Skandal – der in Österreich wie gewohnt nicht einmal ignoriert wird – folgte auf die elterliche Beschwerde: Ein verdienter Beamte des Landesschulrat Niederösterreich (laut Website Wirklicher Hofrat, Landesschulratsdirektorstellvertreter, Doktor und kurz vor der Pensionierung) hatte den Eltern Recht gegeben.

Die Folge war nicht eine Rüge für die Schule, sondern eine Zwangsversetzung des Beamten Dr. Freudensprung, veranlasst vom Landesschulratspräsidenten Hermann Helm mit gnädiger Unterstützung seiner Majestät, des Landeshauptmannes von Niederösterreich.
Der zwangsversetzte Hofrat ist kein Anarchist, sondern laut Presseaussendung langjähriger Leiter der Rechtsabteilung (!).

Universitätsprofessor Heinz Mayer nennt das einen „ganz krassen Fall von brutaler Machtausübung“.

Für Hans Rauscher ist der Beamte wohl ein überflüssiger Kulturkämpfer, was der „Wirkliche Hofrat“ (ja, das ist tatsächlich ein österreichischer Titel für höhere Beamte) wohl nicht sein kann. Hofrat wird man in Niederösterreich sicher nicht, wenn man nebenberuflich „Kulturkämpfer“ ist, aber sei’s drum!

Wer ein guter Beamter ist, bestimme ich, mag sich der Landeshauptmann in guter ÖVP-Tradition gedacht haben. Und versetzte den Mann.

Hob nach diesem undemokratischen Schauspiel im Internet ein Scheißsturm, also ein shitstorm an und traten Landeshauptmann samt Landesschulratspräsident zurück?

Selbstverständlich nicht!

Österreich war so erregt über den Sieg von Conchita Wurst beim Song Contest, dass Fragen der Demokratie wieder einmal wurscht waren.
Dieses Land liebt Sieger einfach!

Sie werden am Heldenplatz gefeiert, ob sie Karl Schranz oder sonstwie heißen.

Was übrigens nichts gegen Conchita Wurst sagt, ihr/ihm wird es insgeheim ohnehin peinlich sein, dass der schon genannte Landeshauptmann aus Niederösterreich alle seine katholisch-christlichen Dogmen rechts liegen lässt und das kleine Bundesland als Austragungsort für den nächsten Eurovisions Song Contest anbietet.

Die Landeshauptstadt Sankt Pölten als Welthauptstadt von Kultur und Toleranz — dieses Land übertrifft sich immer wieder selbst als Kuriosum!

PS: A propos kurios — so sieht in diesem Land auch die Medienkultur aus. Die Zeitung, die den Namen des Landes trägt, berichtet von einem neuen Antrag für das UNESCO-Kulturerbe.

UNESCO-Weltkulturerbe

Ich habe nicht geahnt, dass die Vorschläge Passionsspiele Erl, Wiener Dudler oder Blochziehen in Fiss noch überboten werden können.

Die Satire kann sich der Wirklichkeit in letzter Zeit nur mehr annähern! Siehe auch hier.