Nein, ich schreibe heute nicht über die politischen Unterschiede, etwa dass bei einer Demo gegen die AfD hier mehrere Tausend Menschen demonstrierten.
Auch in Wien protestierten ja etwa 300 Menschen gegen eine Regierungsbeteiligung der FPÖ.
Heute nur atmosphärische Unterschiede.
Wer ist schöner?
Keine Frage, Berlin gewinnt sicher keinen Schönheitspreis. Da hat Wien die Nase vorn. Und irgendwie scheint die deutsche Hauptstadt an einem solchen Preis auch nicht interessiert zu sein. Als ich 2013 hier war, konnte ich eine beachtliche Baustelle „Unter den Linden“ betrachten.
Und siehe da, einige Jahre später: Es gibt sie noch immer!
Warum auch nicht, schließlich wartet der neue Berliner Flughafen seit Jahren auf seine Eröffnung. Ich durfte noch den alten bewundern und freute mich auf den Luxus des Schwechater Flughafens.
Wien
Überhaupt funktionieren in meiner Geburtsstätte viele Dinge, um die uns andere beneiden. Bloß die hier Lebenden scheinen davon nicht begeistert. Wie ist die Unzufriedenheit der Wienerinnen und Wiener zu erklären?
Sachliche Gründe können es nicht sein. Vielleicht hat es mit jener grundsätzlichen Einstellung zu tun, die Kurt Sowinetz so zusammenfasste: „Olle Menschen san ma zwida. … Dabei bin i ma söwa zwida. Dabei mog i mi söwa net.“
Dagegen helfen weder tolle Öffis noch funktionierende Müllabfuhr und weitgehend sicheres Zusammenleben, nicht einmal jede Menge Heuriger in grüner Umgebung.
Berlin
In der deutschen Hauptstadt hingegen scheint es einen inneren Widerstand gegen den Unbill diverser Baustellen und andere Unwägbarkeiten des Lebens zu geben. Man findet vieles katastrophal, lässt sich aber nicht unterkriegen.
Hier wird gemeckert statt gejammert. Und während die Wienerinnen und Wiener verdrossen in der modernen Straßenbahn sitzen, kleben die Berlinerinnen und Berliner in engen Bussen aneinander und reden darüber.
Übrigens mit einem erstaunlichen Sprachtempo, das mitunter kaum verständlich ist. Macht aber nichts, denn auf die Bitte, doch langsamer zu sprechen, reagieren sie in Berlin freundlich:
„Ach, een Ösi. Wat machste du denn hier?“
Und interessieren sich danach über meine Motive, ihre Stadt zu besuchen.
Das kann einem in Wien nicht passieren!
Hier denkt man sich höchstens „Schon wieder ein Piefke“ und wendet sich mit Entsetzen ab.
Wortwitz
Immerhin, auf diesem Gebiet gibt es viele Gemeinsamkeiten, etwa bei Differenzen in der Straßenbahn, die hier übrigens ebenfalls Tram genannt wird oder im Bus. In Berlin kommt man gleich zur Sache.
Während der Fahrt vom Flughafen im überfüllten Bus, der seltsamerweise keine Ablage für Koffer hat, will eine mehr als mollige Frau nach hinten gehen. Zwischen ihr und dem angepeilten Ziel stehen etwa fünf große Koffer und eine elegante Frau Mitte 50.
„Können Sie mal weitergehen?“ Sie fragt es in einem Ton, der in Wien bereits als körperlicher Angriff gelten würde.
Die Angesprochene deutet auf die fünf Koffer.
„Können Sie mir sagen, wie ich das machen soll?“
Die Mollige geht auf das Argument nicht ein und wuchtet sich über Koffer, Menschen und einen Hund in den rückwärtigen Teil des Busses.
Die elegante Dame schüttelt den Kopf.
„Als ob der Bus etwas dafür kann, dass sie es eilig hat.“
In Wien finden solche Dialoge traditionell etwas anders statt. Man geht nicht so gerne auf Inhalte ein, sondern findet Umwege. Wie etwa folgendes Gespräch in der Straßenbahn veranschaulicht.
Viele Menschen sitzen und stehen dicht aneinander. Eine Stimme ist zu hören.
„Wer steht do auf mein Fuaß?“
Aus der anonymen Masse folgt die Antwort.
„Nutzt da wos, waun i da mein Noman sog?“
In beiden Fällen ist damit das Problem zwar nicht gelöst, aber eine gewisse Erleichterung macht sich breit. Man hat gesagt, was einem am Herzen liegt.
Kontaktaufnahme
Hier fällt ein Vergleich schwer, denn in Wien herrscht ein generelles Misstrauen gegenüber dem Anderen. Gespräche mit fremden Menschen werden nur im Notfall oder beim Heurigen begonnen.
In Berlin hingegen führt bereits das Fotografieren eines Hauseinganges zu intensivem Kontakt.
Als ich ein altes Schild fotografiere, erklärt mir ein älterer Bewohner des Hauses, der auf einem Fahrrad sitzt, was es damit auf sich hat. Es folgt eine Schilderung der historischen Ereignisse und ich erfahre, dass nicht nur das Haus, sondern auch der gesamte Innenhof unterkellert ist.
Übrigens sollte ich unbedingt die Gebäude dahinter fotografieren und auf die zugemauerten Fenster achten. Dahinter seien nämlich die Aufzüge, die nachträglich gebaut wurden.
„Da, nehmen Sie meinen Schlüssel. Sonst kommen Sie nicht hinein.“
Er händigt mir einen dicken Schlüsselbund aus. Der Hof ist tatsächlich beeindruckend, wie viele der Berliner Hinterhöfe.
Angst, dass ich ihm seine Wohnung ausraube, wie es einem Wiener wohl zuallererst in den Sinn kommen würde, hatte er offenbar nicht.