SPÖ-PARTEITAG

Eine Partei zerstört sich selbst
Werte Frau Rendi-Wagner!
Wenn schon kaum jemand aus Ihrer Partei Ihre Arbeit honoriert, dann möchte ich das tun.
Als ehemaliges Mitglied der SPÖ, dessen Vater und Großvater in der Partei gearbeitet und an diese Partei als Atheisten geglaubt haben wie an den Herrgott, steht mir das zu.

 

Lasst alle Hoffnung fahren

Dieser Leitspruch steht über dem Eingang zur Hölle. Dante Alighieri schrieb diesen Satz in seiner ‚Göttlichen Komödie‘. Göttlich ist an dem Geschehen in der SPÖ nichts, auch Komödie passt nicht so recht ins Bild. Tragödie schon eher. Und die Hoffnung ist ein Wort für Träumer.

Der Niedergang der SPÖ dauert bereits Jahrzehnte. Vorsitzende wie Vranitzky – aus sozialistisch wurde sozialdemokratisch – , Klima – nach seinem Abgang Leiter des VW-Konzerns in Argentinien  –, Faymann – er schaffte den Gemeindebau in Wien ab – , dann Gusenbauer – heute bei verschiedenen Unternehmen tätig, die Anzahl ist etwas unübersichtlich, siehe Wikipedia  – bis Christian Kern, dem ÖBB-Manager, der kurz die SPÖ leitete, bis er Sie, Frau Rendi-Wagner, zu seiner Nachfolgerin kürte.

Was Empfehlungen in der heutigen sozialdemokratischen Partei bedeuten, mussten Sie spätestens in diesem Jahr feststellen: Christian Kern fand den ständigen Parteispalter Doskozil – oder sollte ich ihn besser als den Judas aus dem Burgenland bezeichnen? – als den „besseren“ Parteiführer.
Selten hat die sozialdemokratische Partei einen übleren Messerstich von hinten gesehen.

Liebe Frau Rendi-Wagner!

Ich weiß nicht, welcher liebe Gott oder Teufel Sie geritten hat, um dieses Amt anzunehmen. Kannten Sie diese Partei nicht oder glaubten Sie tatsächlich daran, sie ändern zu können?

Ich glaube das längst nicht mehr.

Sie übernahmen die Partei in einem Augenblick, da alle von ihr die Finger ließen. Verantwortung übernehmen für eine Leiche? Gott oder wer auch immer bewahre.

Sie taten es. Warum eigentlich? Diese Frage möchte ich Ihnen gerne stellen. Ich glaube, ich komme nicht dazu, wir werden uns kaum treffen. Und dennoch!

Ich finde Ihren Mut bewundernswert. Während die Männer kneiften, packten Sie an.

Wenn Sie mich gefragt hätten, ich hätte abgeraten. Meine Erfahrungen mit „der“ Partei sind beschämend. In den 1970er Jahre war ich ihr beigetreten, angetan von der Öffnung dieses konservativen Landes in Richtung Welt. Es war Kreisky, der mich begeisterte. Weitgehend. Seine AKW-Politik gefiel mir nicht. Aber seine Schülerfreifahrt und die Gratis-Schulbücher: Das waren Meilensteine in Richtung Demokratie.

Weniger erfreulich waren diverse Veranstaltungen der Partei. Dort versammelten sich viele Menschen, denen Politik egal war und das eigene Fortkommen wichtig. Man schob sich Projekte und Jobs zu, betrieb Freunderlwirtschaft, heute vornehm „Networking“ genannt. Das prägte und prägt mein Bild dieser „meiner“ Partei in den Jahren nach Kreisky.

Als ich Josef Czap, den Andreas Khol der SPÖ, vor einer Woche im ORF über Ihren Abgang mit krächzender Stimme reden hörte (offenbar eine Art Sympathiekundgebung für den künftigen Obmann), fand ich in ihm genau jenen Menschentyp wieder: charakterlich widerlich, aber wortgewandt.

Favoriten

Ich wohne seit kurzem in Ihrem Heimatbezirk, in Favoriten.
Gleich daneben, in Simmering, bin ich aufgewachsen und habe am gleichen Gymnasium maturiert wie Christian Kern.

Als sie als erste Frau an die Spitze der Partei gewählt wurden, hatte ich Hoffnung: Vielleicht schafft sie das Unmögliche. Aus der Partei der Duckmäuser und Postenschacher wieder eine selbstbewusste und politische Partei zu machen.

Ich wurde bald eines Schlechteren belehrt.

Ich habe Sie vor Jahren als kluge und kompetente Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit erlebt. Ich sah Ihnen die Begeisterung für das Thema an, sie argumentierten logisch und einfühlsam. Ich weiß nicht, was Ihren Beratern eingefallen ist, um diese Eigenschaften auszuradieren, neudeutsch: zu canceln.

Es folgten Auftritte, die irgendwie seelenlos waren. Wären Sie doch so gewesen wie in einem Ihrer letzten ZiB2 Interviews mit Armin Wolf. Das war spannend, mitreißend, emotional und sachlich zugleich. Für eine Umkehr war es zu spät.

Ihr Abgang war übrigens so, wie Sie wohl sind: vornehm und loyal. Also so, wie es sich theoretisch für eine Sozialdemokratin gehört. Die Praxis bleibt weiter in den Händen von Männern und hat mit diesen Eigenschaften leider wenig zu tun.

Apropos Männer: Mein Freund Edwin hat mich auf etwas aufmerksam gemacht. „Ist es nicht seltsam“, sagte er, „dass zur gleichen Zeit eine ehemalige Ministerin der ÖVP verurteilt wird und ihre Kollegen die blökenden Unschuldslämmer spielen? Passt das nicht irgendwie zum Rücktritt von Rendi-Wagner? Ich will die beiden Frauen nicht miteinander vergleichen. Aber komisch ist das schon.“

In diesem Sinn:
Was immer Sie in Zukunft machen, meine guten Wünsche begleiten Sie!
Ihr
Erich Ledersberger