Als Kolumnist wird das Leben von Tat zu Tag schwieriger. Kaum habe ich die Nachricht verdaut, dass der ÖVP-Spitzenkandidat zur vergangenen EU-Wahl sich nebenberuflich als Lobbyist betätigt und dafür Schwarzgeld kassieren will, da gilt schon die Unschuldsvermutung, weil sein Anwalt gegen das Urteil berufen hat. Herr Strasser wurde nach eigener Ansicht von feindlichen Agenten verfolgt und wollte sie überführen. Ein Ex-Minister als Undercover-Ermittler!
In Kärnten tritt der Chef der Kärntner Freiheitlichen, Uwe Scheuch, zurück, weil er einem „Investor“ gegen Bezahlung die Staatsbürgerschaft vermitteln will („part of the game“) und dafür verurteilt wird. Der Mann ist sich keiner Schuld bewusst und übergibt sein Amt an Bruder Kurt Scheuch. Der nennt einen Richter, der seinen Bruder verurteilte, eine „Kröte“ und „wild gewordenen Rambo-Richter“.
Dafür wird er nicht verurteilt, weil es zu einer „Diversion“ kommt. Das heißt im konkreten Fall, Kurt Scheuch entschuldigt sich öffentlich bei dem Richter und bezahlt ein Bußgeld von 6.600 Euro. Damit endet das Gerichtsverfahren, Kurt Scheuch ist nicht vorbestraft und bleibt, alles ist möglich, Parteichef der Freiheitlichen.
Tröstlich immerhin, dass die Gerichte dem schamlosen Treiben nicht mehr weitgehend tatenlos zusehen. Und so wurde der Hotelier Penz, ehemaliger FPÖ-Kandidat für den Innsbrucker Gemeinderat, wegen Verhetzung verurteilt. Für ihn gilt selbstverständlich auch die Unschuldsvermutung, weil er gegen das Urteil berufen hat. Er wusste von dem Plakat mit dem Text „Heimatliebe statt Marokkanerdiebe“ nichts und meinte in einem Ö1-Interview, dass hier „Politjustiz“ betrieben werde. Chuzpe? Realitätsverlust? Strategie? Niemand weiß nichts Genaues.
… und gedeiht
Politische Harmonie herrscht hingegen bei der täglichen Sportstunde: Weil Österreich keine Medaille bei den Olympischen Sommerspielen gewann, verfielen ALLE Parteien auf die sagenhafte Idee, dass eine tägliche Sportstunde Österreichs Jugendliche zu mehr Gold verführen würde. Für dieses Vorhaben fehlt es an Turnhallen, Lehrer/innen und Geld, aber das macht nichts! Täglich Sport ist nicht Mord, wie ein berühmter Engländer gesagt haben soll, sondern so popolistig, dass niemand widersprechen darf.
Aufregung verursachte eine überflüssige Volksbefragung zum Thema „Berufsheer oder Wehrpflicht“, die zu einer Volksabstimmung hochstilisiert wurde: Die Koalition vereinbarte nämlich, dass das Ergebnis „in Stein gemeißelt“ werde, um den legendären Satz unseres Verteidigungsministers anzuwenden. Worüber da genau abgestimmt wurde, wissen die Götter — wenn überhaupt. In den Kampagnen ging es nicht ums Bundesheer, sondern um die „Rettung, die im Fall eines Berufsheeres 40 Minuten später kommt“ (Zitat der Innenministerin).
Die ÖVP befand, dass die ehemaligen Drückeberger (= Zivildiener) heute das Maß aller Rettungseinsätze sind. Daher verschickten manche Bürgermeister auf Amtspapier die Aufforderung, für die Wehrpflicht zu stimmen. Die betrifft zwar nur Männer, aber so genau wollte man die Gleichberechtigung auch in diesem Fall nicht nehmen.
Der SPÖ wiederum fiel der Stein, auf dem die Wehrpflicht gemeißelt war, runter und plötzlich sollten alle Mitglieder für ein Berufsheer sein. Kein Wunder, dass einem Teil ihrer Wähler/innen bei diesem Schwenk schwindlig wurde und manche — etwa 30% — für die Wehrpflicht stimmten. Selbst bei den Grünen waren etwa 25% dafür, wenn der Wählerstromanalyse zu trauen ist.
Wie auch immer: Verteidigungsminister Darabos findet alles super und bleibt in Amt und Würde, schließlich kann er jetzt mit ÖVP-Unterstützung das durchsetzen, was er bis vor einem Jahr immer schon wollte: die allgemeine Wehrpflicht. Österreichische Politik, die niemand mehr versteht — es ist Zeit für einen Wechsel, also change!
Tatschdaun in Hötting
A propos change, also „Tsche-intsch“!
Die Bildungsreform nimmt enorm an Fahrt auf! Die aus Steuergeld finanzierte „amtliche Mitteilungszeitung Innsbruck informiert“ berichtete darüber höchst engagiert. Es ist nämlich so, dass Österreich seit einiger Zeit kaum mehr Hauptschulen hat, sondern „Neue Mittelschulen“, kurz NMS genannt. Dort findet moderner Unterricht statt, zum Beispiel in der NMS Hötting West.
Früher bloß eine ganz normale Schule, entwickelte sich die Institution zur „ersten Football Akademie Österreichs“, sozusagen einer echten „Ekedemi“. Die Schülerinnen und Schüler bekommen eine exzellente Sportausbildung in den Bereichen „Flägg Fuhtboll, Tschierlieding und Teckl Fuhtboll“.
Schon das eine sensationelle Steigerung des Bildungsniveaus, aber damit nicht genug: Die Schule bekommt eine eigene pädagogische „Kopore-it Eidentiti“ mit eigenen Schuljacken und wird von einem „Kotsching-Tiem“ begleitet. Sogar ein „Hedkotsch“ und eine „Tschierlieding Tre-inerin“ werden zur Verfügung gestellt!
Das ist echt „kuhl“, noch dazu gibt es eine eigene „Websait“, auch „Houmpe-itsch“ genannt: www.football-akademie.at/
Dort erfahren Ahnungslose auch, was unter „Tschierlieding“, „Flägg Futboll“ oder „Teckl Fuhtboll“ verstanden wird. Letztere Tätigkeit ist ein Vollkontaktsport, bei dem es um „Raumgewinn“ geht. Also um etwas, das im späteren Leben ganz, ganz wichtig ist.
Achja: „Tatschdaun“ schreiben die Engländer auch anders, nämlich „Touchdown“, und das bedeutet „einen Gewinn von sechs Punkten, indem der Ball in die gegnerische Endzone getragen oder dort gefangen wird.“
Womit klar sein dürfte, wohin die österreichische Bildungsreform geht. Als nächster Schritt („step bai step“) ist angedacht, im Sinne der Emanzipation „Tschierliding“ ausschließlich für Knaben und „Teckl Fuhtboll“ ausschließlich für Mädels anzubieten.
Hinweis: Die Schreibweise zum Thema „Tatschdaun“ orientiert sich an der neuen Rechtschreibung, wie sie auf Kakanien http://kakanien.com/?p=2256 genauer beschrieben wird.