Österreich ist bekanntlich ein Land, das stolz ist auf seine Kunst und Kultur. Zumindest, wenn man die Tourismuswerbung ernst nimmt.
Dort wimmelt es von Lipizzanern und Sängerknaben, von Museen und Konzerten, von Literatur und Komponisten.
Im Alltag allerdings spielt eine andere Kultur die Hauptrolle, jene des „Sich-Aufpudelns“. Unter dem Motto „Ich errege mich, also bin ich“ gibt es kaum ein Thema, das nicht sofort auf die Ebene des Keppelns und Keifens reduziert wird.
Amtsblatt dieser öffentlichen Erregungen ist jene Zeitung, die alle lesen. Sie nennt sich Kronenzeitung und weist schon im Namen darauf hin, dass ihre Leser eine Krone haben: Sie sind Könige der eigenen Aufregung.
Zeitungen wie diese gibt es in allen Ländern, aber in keinem Land haben sie eine Quasi-Monopolstellung wie hierzulande. Ökonomisch gesehen eine hervorragende Leistung ihrer Eigentümer, demokratiepolitisch gesehen eine Katastrophe.
Aber Demokratie ist ohnehin ein Begriff, den viele Österreicher misstrauisch beäugen. Jener Mann, der vor einiger Zeit sich vom Himmel auf die Erde stürzte, ist auch Österreicher und bekennt:
„Du kannst in einer Demokratie nichts bewegen. Wir würden eine gemäßigte Diktatur brauchen, wo es ein paar Leute aus der Privatwirtschaft gibt, die sich wirklich auskennen.“
Red Bull statt gewählter Abgeordneter, Stronach als Bundespräsident auf Lebenszeit?
Damit spricht der Mann dem Kroneleser aus der Seele. Demokratie ist kompliziert, kostet Zeit und erfordert Aktivität. Und das widerspricht der hiesigen Kultur. Einfacher ist es, sich aufzuregen. Das zeugt von einem Gefühlsleben, von Spontanität, von Kreativität. Und erleichtert ungemein!
Wozu über die Schicksale von Flüchtlingen nachdenken, wenn man sich über sie aufregen kann?
Wozu über Ernährungsprobleme in der Welt diskutieren, wo doch alles im Supermarkt gekauft werden kann?
Wozu über Bildung reden, wenn doch alle Lehrer entweder unendlich faul sind oder unendlich fleißig, je nach Standpunkt?
Bildungsreform? Wos brauch i des?
Vorherrschendes „Aufpudelthema“ ist derzeit das Lehrerdienstrecht. Es geht um Kollektivverträge, nicht etwa darum, wie zukünftige Lehrer ausgebildet werden, wie Schulen gebaut werden sollen oder gar um pädagogische Inhalte, also um die dringend nötige Änderung des gesamten Systems.
Österreich leistet sich zum Beispiel 14 pädagogische Hochschulen; acht Landesschulräte; einen Stadtschulrat. Und dazu viele Inspektoren, von Landesschulinspektoren über Fachinspektoren bis zu den Bezirksschulinspektoren.
Die Landesschulinspektoren werden weitgehend vom Landesschulrat genannt (mit Hilfe des so genannten Kollegiums, von dem niemand genau weiß, warum und wozu es existiert) und dann an das Ministerium weitergegeben. Dort stimmt man den Vorschlägen meistens zu, schließlich weiß man ohnehin nicht, wie es zu der Nominierung gekommen ist.
Kennen Sie sich noch aus? Dann sind Sie wahrscheinlich Gewerkschaftsfunktionär, die meisten anderen werden diese Frage verneinen. Das österreichische Bildungssystem: eine Spielwiese für Bürokraten, ein Minenfeld für an Bildung interessierte Menschen.
Wenn alles unübersichtlich geworden ist, schlägt die Stunde der Aufgeregten. Wenn sich niemand auskennt, sind alle zuständig. Da fordert etwa der Herausgeber eines Wochenmagazins, dass „Volkswirtschaft und Verfassungsrecht ab der Volksschule“ gut wären. Warum nicht? Schach finde ich übrigens auch gut. Und Klavierunterricht. Und Sport. Und Chinesisch. Und wenn ich noch eine halbe Stunde nachdenke, fallen mir sicher noch weitere, wichtige Dinge ein, die in der Volksschule zu erledigen sind.
Und was mache ich jetzt mit dem Spruch: „Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei“?
Oder ist dieser Beruf tatsächlich niemandem zu empfehlen, weil er so arbeitsintensiv ist wie der Beruf eines Managers, nur weit schlechter bezahlt?
Wo beginnen?
Die Bildung in Österreich ist von Baustellen gesäumt wie die Prater Hauptallee von Kastanienbäumen. Und die Experten, so vorhanden, kommen kaum zu Wort. Die banale Erkenntnis, dass jedes Land Lehrer braucht, die für ihren Beruf und ihr Fach „brennen“, ist leider kein Thema. Welche österreichische Hochschule oder Universität kann schon aus zehn Bewerbern nach Gesprächen und Tests einen auswählen?
Finnland kann das, weil Lehrer dort von der Gesellschaft hoch geschätzt werden. (Und weniger Gehalt bekommen als bei uns, woraus zu lernen ist: Geld ist tatsächlich nicht alles.)
Deutschland und Österreich wählen kaum aus. Aufnahmeprüfungen an österreichischen Pädagogischen Hochschulen sind eher kurios und werden von jenen Personen vorgenommen, die dort unterrichten. Wenn 14 solcher Pädagogischen Hochschulen um „ihre“ künftigen Studierenden wetteifern, hat das Folgen: Wer wird sich etwa den eigenen Arbeitsplatz zerstören? Werden tatsächlich die Besten ausgewählt?
Und wie sieht es denn in der Wirklichkeit aus mit einem Arbeitsplatz in der Schule? Ich war lange Lehrer und weiß: Ohne ein Arbeitszimmer daheim konnte ich diesen Beruf nicht ausüben. Mein Zimmer ist vollgestopft mit Ordnern, Büchern, Zeitschriften, einem PC und anderen Utensilien. Steuerlich absetzen kann ich dieses Zimmer allerdings nicht, obwohl es ausschließlich beruflich genutzt wird. Andere haben ein Gästezimmer, ich benötige es für meine Vorbereitungen, weil in der Schule kein Platz vorhanden ist.
Kennt jemand andere Arbeitnehmer, die solche Bedingungen vorfinden?
Aber das ist nur EIN Detail im Rahmen einer Bildungsdebatte, in der es um Vorurteile geht und nicht um Inhalte. Es gibt noch viele andere, etwa die Besetzung von Direktorenposten.
Warum waren die meisten Direktoren vorher Personalvertreter?
Was sagt das über unser Bildungssystem aus?
Wie kommt es, dass Gewerkschaftsfunktionäre jenen Beruf vertreten, den sie schon lange Zeit nicht ausüben?
Viele Fragen, die auf eine Antwort warten. Sehr kompliziert — und daher ist es einfacher, sich „aufzupudeln“. Auf diese Weise umgehen wir weiter das Problem der Inhalte.