Bildungspolitik in Österreich findet seit Jahrzehnten nicht statt. Festgemauert in Parteipolitik bleibt man im vorigen Jahrhundert.
BHS-Bachelor?
Jahrelang beklagten alle möglichen Experten den Akademikermangel in Österreich. Nun wurde das Problem gelöst:
Ab 2015 werden Absolventinnen und Absolventen von Berufsbildenden Höheren Schulen als irgendwie Akademikerinnen und Akademiker eingestuft. Selbstverständlich nicht, was die Bezahlung, sondern nur, was die Statistik angeht.
Mit einem Mal, ohne irgendwas zu ändern, hat Österreich damit seine Akademikerquote von 27 % auf nahezu 40 % gesteigert.
Und das geht so:
Berufsbildende Höhere Schulen (= BHS), etwa Humanberufliche Schulen, Höhere Technische Schulen, Handelsakademien oder Tourismusschulen dauern in der Oberstufe fünf Jahre bis zur Matura (= Abitur in Deutschland) statt der vier Jahre in einer Allgemeinbildenden Höheren Schule (= AHS).
Die BHS kombinieren den Zugang zu Universitäten (Matura, Abitur) mit einer Berufsausbildung (Kaufmann, Techniker, Buchhalter etc.). Logischerweise werden — die Zeit ist ein knappes Gut — manche Fächer, meistens die so genannten „allgemeinbildenden Fächer“, drastisch reduziert.
Da diese Schularten außerhalb der Zwetschkenrepublik weitgehend unbekannt sind, gelang es den Beamten des hiesigen Wissenschaftsministerium der EU diese als „tertiäre Bildungseinrichtung“ zu verkaufen.
Noch müssen die Abgänger bestenfalls mit dem Berufstitel „Ingenieur“ vorlieb nehmen, aber vielleicht gelingt es dem Wissenschaftsministerium der Republik, für sie in Zukunft den „Bachelor BHS“ einzuführen? Im titelverliebten Österreich sicher ein peppiger Slogan für die nächsten Wahlen!
Wir sind die Besten!
Tatsächlich werden in Zukunft 19jährige Österreicher ab 2015 in den Statistiken als Quasi-Uni-Absolventen geführt werden, wenn sie eine BHS absolviert haben. Zu Recht, schließlich seien sie oft besser als Uni-Absolventen, wie ein Twitterant meldet:
„HTL-Absolventen kann man in der Realität oftmals über „Akademiker“ aus anderen Ländern/Uni-Systemen stellen…haben mehr drauf“
Man beachte die Anführungszeichen bei Akademiker — und den Fokus auf HTL, also technische Schulen. Tourismus, Bekleidung oder Kindergartenpädagogik, ebenfalls BHS, bleiben außen vor.
Die Selbstüberschätzung bleibt ein Grundproblem österreichischer Mentalität: Man ist sich selbst nicht nur der Nächste, sondern auch der Beste.
So gut die Ausbildung in den berufsbildenden höheren Schulen auch ist, mit einer tertiären Ausbildung (Universität, Fachhochschule) ist sie nicht zu vergleichen. Dennoch werden ab 2015 Schülerinnen und Schüler in den vierten und fünften Jahrgängen der BHS, also Jugendliche mit 18 oder 19 Jahren, diesem Bereich hinzugefügt.
Gefördert wird diese Überschätzung von Fähigkeiten durch Aussagen popolistiger Politiker, die nicht müde werden, Wissenschaftler, also Universitätsabgänger, als weltfremde Gestalten zu denunzieren.
Vor einigen Jahren hat Österreichs damalige Unterrichtsministerin gemeint, dass in Europa Kindergartenpädagoginnen nahezu überall auf der westlichen Welt eine universitäre Ausbildung erhalten, aber:
„Wollen wir das?“, fragte sie selbstkritisch. Will Österreich das?
Eher nicht, zumindest nicht die Politik. Die ÖVP ist ohnehin gegen alles, was den status quo aus dem vorigen Jahrhundert anlangt, die SPÖ seit Jahrzehnten zu feige, das Thema permanent zu diskutieren.
Die derzeitige Familien- und Jugendministerin findet, dass wir keine „akademischen Tischler brauchen“ und daher auch keine Studienrichtung für Kindergartenpädagogik an Universitäten. Die SPÖ zieht den Schwanz ein und genehmigt brav ein „neues“ Gesetz, in dem junge Frauen (und wenige Männer) nach Abschluss einer fünfjährigen Oberstufe auf Kinder losgelassen werden. Anderswo benötigt man für diesen schwierigen und wichtigen Beruf auch universitäres Wissen.
Vorteile von Nicht-Bildung
Nur ein wenig überspitzt ausgedrückt heißt das: Zu viel Bildung schadet der Gesellschaft. Weil dann immer mehr Menschen kritische Fragen stellen? Irgendwer muss schließlich die Arbeit machen und daher sind selbst die ohnehin allzu braven Universitätsabgänger bereits eine Gefahr für Wirtschaftswachstum und permanenten Konsum.
So ähnlich sieht es auch der Schweizer Bundesrat Schneider-Ammann, der eine interessante These aufstellt: Je „mehr Maturanden, desto höher die Jugendarbeitslosigkeit“.
Der Mann hat auch ein klares Bild von menschlicher Gesellschaft:
„Jede Gesellschaft ist eine Art Pyramide mit den Intellektuellsten und Bildungsfähigsten an der Spitze und einem breiten Sockel an Menschen mit vorwiegend handwerklichen Stärken.“
Ich fasse zusammen:
Irgendwer muss die Arbeit machen — und diese Menschen brauchen weniger Bildung als die anderen, die auf der Pyramide ganz oben stehen.
Dieses Modell könnte man diskutieren — wenn Ansehen und Gehälter zwischen Oben und Unten einigermaßen gleichmäßig verteilt wären. Was bekanntlich nicht der Fall ist. Aber über solche „Kleinigkeiten“ redet man in Kakanien (die Schweiz möchte auch dazugehören) lieber nicht.
Und wenn alle meinen, Österreich brauche mehr Akademikerinnen und Akademiker, dann sollen sie das haben. Wir sind das Land der Unterwürfigen und machen, was man uns befiehlt:
Wir erklären die Absolventinnen und Absolventen von BHS einfach zu kleinen Bachelors.
Problem gelöst. Leider gibt es noch ein anderes.
Im nächsten Teil der Reihe Bildungsprobleme folgt nächste Woche:
die Pädagogische Hochschule – Universität oder Volkshochschule?