Meine Mutter ist ein Rechteck

Wer ist da?Das wird sich manches Kleinkind denken, sobald es eine Ahnung von Geometrie entwickelt. Hochbegabte werden sie für einen Quader halten.

Andere glauben, dass Mamas beste Freundin feines Plastik trägt. Wer weiß schon, was Kinder so denken.

 

Mama, siehst du mich?

Seit einigen Jahren betrachte ich Kinderspielplätze weitgehend unbelastet. Also ohne meine Tochter, die mittlerweile ihren 30. Geburtstag absolviert hat. In diesem Alter wird sie mir den Ausdruck „unbelastet“ verzeihen, während ihrer Pubertät wäre ich mit diesem Satz wohl in ein Fettnäpfchen getreten.

Als sie noch ein Kleinkind war, betrachtete ich Kinderspielplätze aus einer anderen Perspektive. Ich war ein männlicher Alleinerzieher — damals ungefähr so selten wie heute, wenn ich meinen Augen trauen darf — und hielt Ausschau nach einigermaßen netten Spielplätzen. Im 7. Bezirk von Wien war das damals eine echte Herausforderung.

Es war jene Zeit, in der das Wort „Handy“ noch nicht existierte, es war also ein heute nicht mehr vorstellbarer Zustand der Welt. Mütter sprachen mit ihren Kindern, bisweilen sogar mit ihren weiblichen Kolleginnen.

Ich — männlich! Kleines Kind dabei!! — galt als ein seltsames Wesen, das misstrauisch beäugt wurde, jedenfalls weitgehend isoliert am Rande der Müttergesellschaft Platz nehmen durfte. Ich erinnere mich noch gut an jene Situation, als ich im Kaufhaus Gerngroß meine Tochter wickelte.
Notgedrungen auf der Damentoilette, Herren fanden in ihrem Bereich keinen Wickeltisch vor. Das Entsetzen der eintretenden Frauen wurde glücklicherweise durch das freundliche Lächeln meines Kindes weitgehend aufgehoben.

Es waren spannende Zeiten.

 

Ich telefoniere, also bin ich

Auf den Spielplätzen finde ich noch immer zahlreiche Mütter und wenige Väter. Was sie jedenfalls dabei haben ist ihr Handy. In das starren die Erziehungsberechtigten und schupfen mit der freien Hand ihre Kleinen, die ebenso starr auf der Schaukel sitzen und geradeaus starren.

Eine Gesellschaft der vor sich hin Starrenden, zu sehen auf jedem Spielplatz.

Was denken ihre Kinder, diese kleinen Menschen, frage ich mich, wenn sie von einer menschlichen Figur, die in der Hand ein rechteckiges Ding hält und lächelnd in dieses tippt oder spricht, geschupft werden?

Fragen sie sich, warum dieses Gerät so viel Zuwendung von ihrem Elternteil erhält?

Oder wissen sie gar nicht mehr, wer denn nun ihr Elternteil ist: der tippende „Mensch“ oder das Gerät, in das er tippt?

Kinder glauben ja bis zu einem gewissen Alter, der Mittelpunkt der Welt zu sein. Wenn ein Handy ihnen diesen Platz streitig macht, dann lässt das nur eine Schlussfolgerung zu: Das muss ein noch wichtigeres Leben als ich sein! Es kann sich nur um meine Mutter/meinen Vater handeln!

Aber das ist ein Irrtum.

Es gibt übrigens noch eine Steigerung der Elternteile, die nicht mit ihren Kindern kommunizieren, sondern mit ihrem Handy:

Die mit dem Kinderwagen laufen

Der technische Fortschritt ermöglicht es nicht nur, mit einem Handy zu sprechen und ein Kind zu schaukeln, nein, frau und mann können dabei gleichzeitig laufen!

Dazu gibt es neue Kinderwagen, die Fitness mit Kinderbetreuung kombinieren.

Geländegängige Dreiradler mit dem Nachwuchs drin werden von schlanken Elternpersonen mit mindestens 10 km/h durch die Gegend geschoben.

Bisweilen brüllen die Kleinen wie am Spieß, wenn sie in den Kinderwagen durch die Welt fliegen, wie ich neulich in der Wiener Hauptallee feststellen musste. Die Mama reagierte nicht und lief, was die Beine hergaben. Ich nehme an, sie trainierte ihr Kind für die schlechten Zeiten, die da kommen.

Beeindruckend war für mich, dass die Frau Mama während des Laufens auch noch telefonierte! Ein Multi-Task-Unternehmen der Sonderklasse.

Was empfindet das kleine Menschlein, dachte ich, während ihm die Haare ins Gesicht wehen, weil eine hinter ihm laufende Person es anschiebt. Fühlt es sich wie ein Porsche mit Heckantrieb?
Hält es die Welt für ein schwankendes Ding?

Ich weiß es nicht. Aber glücklich oder gar zufrieden kommen mir die beteiligten Kinder und Erwachsenen nicht vor.

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.