Archiv des Autors: Erich Ledersberger

Die Welt verändern – aber wie?

In meiner Jugend erfüllte mich ein Wunsch: Die Welt verändern, so, wie Jesus das wollte. Ich war gläubig, zumindest, was die christliche Botschaft der Nächstenliebe anlangte, dieses ‚Liebt die Menschen, wie ihr euch selbst liebt‘.

Das war später auch die Botschaft des Kommunismus‘. Beide Religionen scheiterten.

 

 

Was tun?

Die Botschaft des freien, selbstbestimmten Menschen begeisterte mich. Ich las mich durch die deutsche Gegenwartsliteratur. Heinrich Böll (‘Ansichten eines Clowns‘, ‚Gruppenbild mit Dame‘, ‚Katharina Blum‘, seine Kurzerzählungen und viele Bücher mehr), Wolfgang Borchert (‚Draußen vor der Tür‘) und Günther Grass (‚Die Blechtrommel‘, ‚Die Plebejer proben den Aufstand‘, ‚Katz und Maus‘). Die Bibliothekarin in Wien Simmering – niemals vergesse ich ihren Ekel über ein zurückgegebenes Buch, das mit einer Büroklammer versehen war – wunderte sich über meine literarischen Vorlieben.
„Lesen Sie nichts anderes als diesen (sie schluckte widerwillig) Günther Grass?“

Irgendwie tat sie mir Leid. Aber ich wollte trotzdem Günther Grass lesen.
Ich lebte in einer Zeit, als Bücher wertvoll waren. Und viele Autoren verfemt. Bert Brecht war in Wien inoffiziell verboten, Günther Grass ein Kauz. Und Bücher teuer. Selbst meine Eltern – der Vater gut verdienend, aber nicht wohlhabend – konnten sich die vielen Bücher, die ihr Sohn gerne lesen wollte, nicht leisten. Zum Glück gab es Bibliotheken, Orte, an denen man sich Bücher leihen konnte, um sie drei Wochen später zurückzugeben.

Ich antwortete der Bibliothekarin nicht und orderte das nächste Buch von Günther Grass.
Meine Verbundenheit mit ihnen, Böll und Grass, Borchert war schon tot, war so groß, dass ich sie irgendwann kennenlernen wollte. Sie starben, ohne von meiner Existenz zu wissen. Ich weinte und versprach, das nächste Mal schneller als der Tod zu sein. Es gelang nie.
Diese Bücher waren meine Geburtshelfer für ein moralisch gutes Leben.

Später kam Sigmund Freud dazu. Er befreite mich von meinen unbewussten sexuellen Fesseln. Onanie war also doch keine Sünde und verursachte keinen Rückenmarkschwund, Schuldgefühle waren ebenso anerzogen wie Ekelgefühle. Ich atmete auf.

In einem bestimmten Alter dominieren sexuelle Gefühle den Menschen. Mit Mitte 20 wäre ich am liebsten nach Indien gefahren, zu Baghwan, dem Mann, der in seinem Ashram die freie Liebe propagierte. Leider war diese Freiheit mit der Anbetung durch seine Gefolgschaft verbunden. Männlein und Weiblein himmelten den Mann an, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, 365 Rolls Royce zu besitzen. Junge Frauen küssten des Meisters Füße,

Mein Wunsch nach Sexualität war nicht so groß, dass ich diese autoritäre, nahezu faschistoide Haltung akzeptieren konnte. Also blieb ich in Europa. Übrigens fand die sexuelle Freiheit später beim Meister ein jähes Ende. Aus Angst vor AIDS verbot der Meister Küsse und Berührungen. Sie waren von Stund an nur mit Handschuhen erlaubt, Küsse obsolet.

Was mich an den kuriosen Lehren fasziniert: Scheinbar intelligente und kluge Menschen glaubten ihnen. Die Sängerin Nena findet angeblich noch heute den Unsinn super.

Baghwan und die Maoisten

Mit diese Art von Weltverbesserung konnte ich bereits damals nichts anfangen. Aber da gab es noch andere. Die waren vielversprechender, wenn auch sexuell nicht so aufregend.

An der Uni lernte ich linke Bewegungen kennen. Die Sozialdemokratie kannte ich von meinem Vater, der abends als Vertrauensmann durch die Wohnungen der Genossen pilgerte. Es war eine bemühte, sozial engagierte und gleichzeitig sehr biedere Partei. Das Wirtschaftssytem des Landes, den Kapitalismus, rührte die Partei nicht an.

Ich studierte auf Anraten der staatlichen Berufsberatung Betriebswirtschaft und fand mich bei Karl Marx wieder. In den Lehrbüchern der ‚Hochschule für Welthandel‘, heute Wirtschaftsuniversität, schwätzten ‚Wissenschaftler‘ von Produktionsfaktoren. An letzter Stelle kam der Mensch.
Das empörte mich.

Und daran wollte die Partei meines Vaters nichts ändern? Bevor wir darüber streiten konnten, starb er. Irgendwie auch empörend.
An der Uni gab es neben den braven Jungsozialisten, die eine Parteikarriere anstrebten, auch Maoisten und Trotzkisten. Sie waren mir sympathisch, denn eine Karriere konnten sie nicht anstreben. Die Maoisten vielleicht in China, die Trotzkisten nirgendwo. Sie gefielen mir am besten.
Ihre Argumente leuchteten mir ein. Aber warum hörte sie niemand? Diese Frage beschäftigt mich noch immer.

Der Mangel der Vernunft

Ein halbes Jahrhundert später hat sich an vielen Stellen nichts geändert. Manches ist schlimmer geworden, manches besser. Aber nach wie vor wird die Realität verleugnet. Und die Vernunft. Die Kriege auf Erden beweisen es.

 

Zusatz:
„Wie lange müssen wir nun warten, bis auch die Anderen Pazifisten werden? Es ist nicht zu sagen, aber vielleicht ist es keine utopische Hoffnung, daß der Einfluss dieser beiden Momente, der kulturellen Einstellung und der berechtigten Angst vor den Wirkungen eines Zukunftskrieges, dem Kriegführen in absehbarer Zeit ein Ende setzen wird. Auf welchen Wegen oder Umwegen, können wir nicht erraten. Unterdes dürfen wir uns sagen: Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg.
Ich grüße Sie herzlich und bitte Sie um Verzeihung, wenn meine Ausführungen Sie enttäuscht haben
Ihr
Sigm. Freud“

Aus dem Briefwechsel zwischen Sigmund Freud und Albert Einstein zum Thema ‚Warum Krieg?‘. Die Briefe wurden 1932 geschrieben, sechs Jahre später begann der Zweite Weltkrieg.

 

Zeit ist Geld! Oder so

Schnell! Vorne wartet Geld!

Schnell! Vorne wartet Geld!

Wie versprochen: KEINE POLITIK! Nur mehr Neues aus dem wirklichen Leben.
Neulich erinnerte ich mich an meine Jugend. Die ist lange her, aber an einzelne Szenen kann ich mich gut erinnern. Etwa an den Gang zum Frisör.
Alle drei Wochen fuhr ich mit meinem Vater zu ihm in den 2. Wiener Gemeindebezirk.

 

 

 

Böcklinstraße

Es war in den späten 1950er Jahren. Mein Vater war ein solidarischer Sozialdemokrat, wie ihn Genosse Babler sich wünschen wird, der „seinen“ Bezirk, die Gemeindewohnungen im 3. Bezirk, abends betreute und sich die Sorgen der Bewohnerinnen anhörte, während meine Mutter und ich auf ihn warteten.

Manchmal gab es daheim Ärger wegen seiner sozialen und politischen Taten, aber er glich dieses Manko durch tolles Kochen aus. Seine Suppen waren so köstlich wie sein selbst gemachtes Fleischaspik. Dem Fleischhauer traute er nicht, der mischte bloß alles rein, was übrigbleibt. Seine Sülze, wie man in Wien sagt, mochte sogar ich, dem üblicherweise bloß Wiener Schnitzel ohne Flachsen schmeckten.

Seine Zuwendung zu mir, dem widerspenstigen Sohn, der nicht einsah, dass ihm die Menschen draußen wichtiger waren als die Familie, begegnete er mit väterlicher Würde: Er beachtete meine Einwände kaum. Obwohl: Ihm war wohl beides wichtig, das Große draußen in der Welt und das Kleine in der Familie. Wie auch immer, jede dritte Woche fuhr ich mit ihm in den 2. Bezirk. Der war ziemlich weit entfernt vom 11. Bezirk, Simmering, in dem wir wohnten. Das machte ihm nichts, der Mann war schlicht „sein“ Frisör, mit dem er wichtige politische Themen besprechen konnte und noch vieles mehr.

Auch mir gefiel die Fahrt in den Prater. Ich saß neben meinem Vater, dem Chauffeur, ohne Gurt und Kopfstütze. Solche Sicherheiten gab es damals nicht, wir lebten in gefährlichen Zeiten, ohne es zu ahnen.

Am Zielort angekommen, stiegen wir aus, ich schritt an der Seite meines Vaters, allein, ohne die sich ständig sorgende Mutter und nahezu frei, zum Frisör. Dort angekommen fanden wir den Meister der Haare in seinem Stuhl sitzend vor, eine Zeitung in den Händen und auf Kunden wartend. Manchmal waren sogar welche da, dann setzten wir uns auf einen der Stühle, redeten miteinander oder lasen in der Zeitung oder dem Buch, das ich für solche Fälle mitnahm. Es waren schöne Stunden dort, in der Nähe des Praters und des Riesenrades.

Gleich oder später kamen wir an die Reihe. Mein Vater als erster, danach ich. Das Schnippschnapp der Schere gefiel mir, am liebsten hatte ich den Abschluss, dann, wenn der Frisör zum Messer griff. Irgendwie machte es mir Angst, andererseits freute ich mich auf das Kratzen im Nacken. Angst hatte ich, wenn ich daran dachte, was diese scharfe Schneide anrichten konnte. Freude, wenn das Messer an meinem Nacken entlangglitt, die letzten Haarspitzen entfernt wurden. Dazu der Alkohol, der kalt auf meine Haut spritzte.

Es waren gemütliche Vormittage, die wir hier verbrachten, ohne Eile, ohne Hektik. Ich denke gerne an diese Zeit zurück.

Wenn meine Frau heute zum Frisör geht, muss sie sich anmelden. Neulich bekam sie einen Termin in fünf Wochen. Nur die Wartezeiten für Ärzte sind noch länger. Wenn ich als Kind krank war, rief mein Vater den Arzt an und der kam. Manchmal einige Stunden später, manchmal am nächsten Tag. Oder wir gingen in die Ordination und warteten geduldig, bis wir drankamen. Es gab meines Wissens nach drei praktische Ärzte für Simmering, einem Stadtteil mit etwa 100.000 Einwohnern, heute gibt es dort 46 Medizinerinnen und Mediziner. Ohne Anmeldung geht auch dort nichts mehr.

Soll das heißen, dass wir alle kränker geworden sind, aber gepflegter?

Selbst der Besuch eines Restaurants gelingt heute nicht mehr ohne Reservierung, sogar einfache Dorfgasthäuser bestehen bisweilen darauf. Ein Tisch, der freigehalten, aber dann nicht besetzt wird, ist die reine Katastrophe, wie ein Wirt klagte. Der koste ihn mehrere Tausend Euro Umsatz, stöhnte er in die Kamera. Er überlege, Reservierungen nur mehr gegen Entgelt anzubieten. Eine Berliner Frisörin ist da schon einen Schritt weiter. Sie vergibt Termine nur noch gegen Vorauszahlung.

„Zeit ist Geld“ empfahl Benjamin Franklin bereits 1748 in seinem Ratgeber jungen Kaufleuten. Der Satz ist natürlich Unsinn, sonst könnten Millionäre sich Unmengen Zeit kaufen. Aber er symbolisiert die Hektik des Kapitalismus. Alles soll schnell gehen, wie bei McDonald‘s. Reingehen, kaufen, rausgehen und dann der und die Nächste.
Aber flott!

Darum werden Züge und Autos immer schneller, müssen Esstische rasch geräumt werden und jeder Frisörstuhl effektiv besessen werden.

War früher alles besser? Sicher nicht.
Aber das Tempo war jedenfalls angenehmer.

Schöne Tage euch allen
Ihr/euer
Erich Ledersberger

G‘scheitsein nervt

Nervender Gscheitling

Nervender Gscheitling

Ich habe den täglichen Brief von Armin Thurnher abonniert.
Jeden Morgen bekomme ich nun eine Nachricht von ihm. Keine Ahnung, wie der Mann das macht. Ich habe mal eine wöchentliche Kolumne geschrieben. Das war harte Arbeit. Aber täglich? Das kann kein Vergnügen sein!

 

 

G‘scheitsein nervt

Ich gestehe: Seine Texte sind brillant, angenehm zu lesen und gescheit.

Aber: Auf Dauer nervt G‘scheitsein ungeheuerlich. Ständig beschreibt der Mann die Gegenwart mit ihren schrecklichen Geschehnissen. Österreich ist eine Boulevardrepublik, das perverseste Gericht der Welt heißt Schnitzel, dazu Berichte über Covid und andere Grauslichkeiten.

Stimmt ja alles, was er schreibt: Das von Kickl propagierte Entwurmungsmittel für Pferde hilft nicht gegen Covid, Impfstoffe sind sicher, Edtstadler beleidigt unsere Intelligenz und das Ende der Wiener Zeitung ist ein Skandal von Grün-Schwarz.

Aber muss ich das jeden Tag lesen?
Stellen wir uns einen Bauarbeiter vor, der dieser Tage bei 35 bis 45 Grad Celsius auf der Autobahn oder bei einem Neubau schuftet. Daheim angekommen startet er eine Nachrichtensendung und bekommt mitgeteilt, dass der Juli der heißeste Monat seit Menschengedenken ist.

Das weiß er bereits! Ein Wunder also, dass er seinen Fernseher nicht auf der Stelle zertrümmert. Glücklicherweise kann er per Fernbedienung umschalten und sich auf RTL etwa „Big Bounce – Die Trampolin Show“ ansehen.
Das entspannt und lenkt ab von den Katastrophen der Gegenwart.

Unser bester Kanzler aller Zeiten, der Nehammer, hat das so beschrieben:
„So, wie da der Untergang skizziert wird und behauptet wird, dafür gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis.“ Und außerdem ist es ganz, ganz schlecht, immer nur Angst zu machen.

Stimmt! Dem Bauarbeiter reicht es, wenn an seinem Arbeitsplatz Temperaturen wie am Äquator herrschen. Und ich verstehe ihn!
Wenn die Welt auch kaputtgeht, muss ich darüber ständig informiert werden?

Lasst uns doch in Ruhe mit den ständig schlechten Nachrichten, erzählt uns irgendein Märchen.
Etwa, dass ohnehin alles bestens ist und wir bloß ein bisschen Richtung Norden auswandern müssen. Dort blühen die Weinreben und sogar der robuste Roggen gedeiht dort bestens.
Wir werden weiterleben, bei Wein und Roggenbrot.

Schon ein gewisser Herr Rowohlt hat seinen Autor, Kurt Tucholsky, aufgefordert, mehr Positives zu schreiben. Der plagte sich redlich und schied während der Herrschaft der Nazis freiwillig aus dem Leben. Auch Frau Kassandra, die, wie die meisten Wissenschafter heute, bereits damals die Zukunft vorhersagte und in ihr meistens nur Schlechtes sah, scheiterte. Eine Ehefrau, die ihren Mann ermordete, tötete sie, weil sie auch dieses Ereignis vorhergesagt hatte.

G’scheitsein ist letztlich tödlich, so lautet die Botschaft.

Darum werde ich versuchen, in Zukunft nicht mehr über österreichische Politik zu schreiben. Nur mehr über die schönen Dinge in der Welt.

Grillparzer und die Wiener Zeitung

Wiener Zeitung

Wiener Zeitung: Adieu

Am 30. Juni 2023 wollte ich ein Exemplar der „Wiener Zeitung“ kaufen. Alles ausverkauft! Leider etwas zu spät fürs Überleben der ältesten Tageszeitung der Welt.

In der Nazizeit verboten, danach wieder auferstanden, der Todesstoß wurde ihr von einer schwarz-grünen Regierung versetzt.

 

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Wir sind anders!

Urkunde der Privatuniversität Kakanien

Urkunde der Privatuniversität Kakanien

Als Ergänzung zu meiner Kolumne „Tirol ist anders“ ein paar Vorkommnisse der letzten Tage der österreichischen Menschheit.

In einer kleinen Sache muss ich zwar noch auf Tirol zurückkommen, aber dann wird es internatonal:

Kärnten
Mittelmeer
Ukraine
Russland

Alles erklärt von einem Uni(n)formierten der Republik Österreich!

 

 

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