Archiv des Autors: Erich Ledersberger

Die westliche Wertegemeinschaft

Persische Studentinnen vor der Zeit der Mullahs

Persische Studentinnen vor der Zeit der Mullahs

In der ZEIT erschien am 23. Juni 2025 ein wunderbar sachlicher Artikel von Bernd Ulrich zum Iran und unserer „westlichen Wertegemeinschaft“.
https://tinyurl.com/2uz6un5m 

Hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Argumente und Erinnerungen.

 

 

Kurze Geschichte des Iran seit 1945

1945 vereinbarten der Herrscher von Saudi-Arabien und der damalige US-amerikanische Präsident Roosevelt ein Geschäft. Der Lügenbaron von heute, Donald #Trump, würde es einen Deal nennen.

Es ging um Öl und der sehr arme Wüstenstaat wurde über Nacht sehr reich. Davon profitierte die Oberschicht und führte fortan ein ganz und gar nicht islamisches Leben. Dem „Volk“ fiel das auf und der Hass auf die Oberschicht gipfelte 1979 in einem Sturm auf Mekka. (Zur Information: Mekka liegt in Saudi-Arabien.)

Aber zurück an den Anfang der Iran-Geschichte.

1953 wählte das persische Volk Mossadegh zum Präsidenten. Demokratisch und ganz im Sinn der „westlichen Wertegemeinschaft“. Also nicht ganz. Denn dieser Präsident wollte die Ölfelder dem persischen Volk zurückgeben, die westlichen Nationen also enteignen!

So war das mit der „westlichen Wertegemeinschaft“ nicht gemeint. Die #USA und #Großbritannien nannten das Projekt zum Sturz der persischen Regierung „Ajax“. (Der griechische Held wurde gegen Ende des Krieges um Troja wahnsinnig.)
Die „westliche Wertegemeinschaft“ setzte Schah Mohammad Reza Pahlavi als einen Nachfolger ein. Der verkaufte das persische Öl günstig an den Westen, bloß das „Volk“ mochte ihn nicht. Er war zu wenig religiös und zu sehr westlich orientiert. Außerdem hatte er eine Geheimpolizei namens Savak, die alle Menschen terrorisierte, folterte und ermordete, die gegen den Schah waren. (Sie wurde später wohl Mitglied der Religionspolizei oder des Wächterrats.)

1979 schien es kurze Zeit so, als könnte Persien eine Republik werden. Die Demokraten meinten, dass sich die Islamisten nach dem Umsturz in ihre Gotteshäuser zurückziehen würden. Das war ein Irrtum. Sie waren Lügner und so wurde aus Persien die Islamische Republik Iran. (Iran heißt übrigens Land der Arier, aber das nur so nebenbei.)

Die „westliche Wertegesellschaft“ war entsetzt und die USA hofften, dass Saddam Hussein dem iranischen Führer ein Ende setzen würde.

1980 unterstützten sie ihn bei seinem Krieg gegen den Iran in der Hoffnung, das iranische Regime zu stürzen. Leider wehrten sich die Iraner acht Jahre lang. Eine Million Menschen starben und der Irak war bankrott.

1990 überfiel der Irak das reiche Kuwait. Das war wieder nicht im Sinn der „westlichen Wertegemeinschaft“, die USA marschierten ein und trennten im Namen des „Völkerrechts“ die Feinde. Saddam ließen sie (noch) leben.

2001 geschah das Unmögliche: Im Namen des Islam entführte Flugzeuge zerstörten den Twin Tower. Es war das erste Mal, dass die #USA so etwas Ähnliches wie Krieg im eigenen Land spürten. Die Wut war so groß, dass zwei Jahre später #Großbritannien und die #USA den ehemaligen Verbündeten #Irak überfielen. Dort sollten sich ungeheure Mengen an Massenvernichtungsmitteln befinden, was sich später als Irrtum (neuerdings Fake) herausstellte. Außerdem stammten die Attentäter von 2001 aus #Saudi-Arabien, nicht aus dem #Irak. Der Erfolg des Überfalls im Namen der „westlichen Wertegemeinschaft“: Der #Iran ging gestärkt aus dem Konflikt hervor und konnte weiter seine Bevölkerung tyrannisieren.

2011 – die #USA können aus ihren Fehlern nicht lernen – wurde in Libyen Gaddafi gestürzt. Das Land ist heute geteilt und „ein Umschlagplatz für Terrorismus und Schlepper“, wie Bernd #Ulrich schreibt.

2025 gibt der wunderbare #Trump, der größte Feldherr und Herrscher aller Zeiten, bekannt, dass der #Iran geschlagen ist und keine Atombombe mehr bauen kann. Drei Tage später befürchtet ein Geheimdienst der #USA, dass der #Iran um ein paar Monate in seinen Atombombenplänen zurückgeworfen wurde. Klingt nicht nach einem entscheidenden Sieg. #Trump ist, wie gewohnt, empört. Auf seiner Plattform „Prawda“ (social prawda, auch social truth genannt) bleibt er bei seiner eigenen Wahrheit: „Die Nuklearanlagen sind zerstört.“

Die „westliche Wertegemeinschaft“ trifft sich derweil in den Niederlanden, umgibt den Münchhausen aus den #USA mit einer Schleimspur und hofft, dass er darauf irgendwann ausrutscht.

Die „westlichen Werte“ stelle ich mir irgendwie anders vor.

Brüllen ist unser Sport!

Wir brüllen alles nieder!

Brüllen macht Spaß!

Seit einigen Jahren mache ich mir Sorgen.

Ja, auch um die Weltlage, um meine Finanzen, um meine Beziehungen – aber mehr noch mache ich mir derzeit Sorgen um den Sport!

Sind wir „noch immer die alten Affen“,
wie Erich Kästner vermutete?
Ich glaube: JA!

 

Ich brülle, also bin ich

Wer Thomas Müller nach einem Tor oder Sascha Zwerev nach einem gewonnen Spiel umherrennen sieht, wird die Frage möglicherweise mit Ja beantworten. Die Moderatoren sind dennoch begeistert und nennen das wohl eine „echte Emotion“. Mir kommt es eher wie eine Niederlage der Vernunft vor.

Ich erinnere mich an meine Jugend. Wenn damals jemand siegte, freute sie oder er sich. Ruhig, in sich gekehrt oder, wenn schon emotional, dann doch ziemlich leise. Björn Borg griff sich nach seinem Sieg in Wibledon mit beiden Händen an die Stirn, das Zornbinkerl Mc Enroe hob beide Arme und auch Boris Becker freute sich bloß, als er Wimbledon gewann.
Ich kann mich an keinen Sportler erinnern, der mit aufgerissenem Mund – beinahe hätte ich Maul geschrieben – umherrannte und brüllte.

Offenbar eine Erinnerung aus der Steinzeit des Sports.

Andererseits: Zu meinem Erstaunen jubelte der Sieger der Australian Open, Yannick Sinner, auf eine Art, die mich an früher erinnerte. Er lächelte statt zu brüllen! Eine singuläre Erscheinung oder ein Hinweis auf eine baldige Zivilisierung der Menschheit?

Sein Gegenüber, den Deutschen Zwerev, hatte ich einige Male siegen gesehen. Er brüllte daraufhin so, als ob er einen Löwen in die Flucht schlagen wollte.
Ist das normal?, fragte ich mich und antwortete: Nein.
Leider beobachte ich seit geraumer Zeit Sportler und ihre Begleiter, die Trainer, Therapeuten und was sie so in ihrem Schlepptau haben und stelle fest:
ALLE BRÜLLEN!
Im Fußball laufen aufgeregte Trainer am Spielrand hin und her, schreien wie Paviane, denen ein Tiger auf den Fersen ist und halten das für Taktik.

Also die meisten von ihnen.

Ist das der sogenannte Zeitgeist?
Noch gibt es Wettbewerbe, in denen nicht rumgebrüllt wird als stehe der Weltuntergang bevor. Beim Schachspiel fehlen solche Gemütsbewegungen noch, ebenso beim Golfen, wobei bei letzterer Art des gemütlichen Gehens bisweilen schon die Faust geballt wird.

Die Faust ist seit einiger Zeit ja das Sinnbild des Siegers.
Ohne Faust geht etwa beim Tennis gar nichts.
Sportreporter warten sehnsüchtig auf dieses Zeichen. Wenn es nicht kommt, fürchten sie bereits die Niederlage und stöhnen erleichtert auf, wenn der Spieler es zeigt.
Also sie, die Faust.
Nicht die von Goethe, der ja ein Mann war.
Sondern die echte, die männliche Faust.

Es ist nämlich so, dass die Faust anscheinend ein Erkennungsmerkmal des Mannes ist. Frauen zeigen ihre Fäuste viel seltener. Auch im Sport.

Sinner, die derzeitige Nummer Eins im Tennis, scheint in diesem Bereich verweichlicht: Er zeigt keine Faust.

Mir gefällt das.
Ich halte das Rumgebrülle und Faustzeigen nämlich für ein Symbol.
Für ein Symbol des Krieges.
Und nicht für ein Symbol des Sports.

In diesem Sinn:
einen schönen Spätfrühling
Ihr/euer
Erich Ledersberger

Also gut: Donald Trump

Politikexperte Prof Erich Ledersberger analysiert die Welt

Politikexperte Prof Erich Ledersberger analysiert die Welt

Wochenlang gab ich mich den optimistischen Nachrichten von Paul hin, der einen immer größer werdenden Vorsprung von Harris vor Trump sah.

Am Morgen des 6. November 2024 bekam ich einen Tritt in den Magen.
Donald Duck is back!

 

Europa rätselt

Eine große Hilflosigkeit folgte auf den Sieg von Donald Trump in den USA. Der Mann lügt, was das Zeug hält, ist gerichtlich verurteilt, also ein Krimineller und wurde trotzdem demokratisch gewählt.
Was stimmt nicht an der Demokratie?
Oder ihren Wählern?
Auch den Wählerinnen übrigens, denn Donald Trump hat auch bei den Frauen gewonnen.
Warum?
Das ist eine gute Frage und wir haben keine Antworten.

In der tollen Wissen-Sendung Nano zählt ein ziemlich verzweifelter Journalist einige von den trausenden Lügen © Trump auf und befragte die Politologin Julia Simon dazu. Ob Wählerinnen und Wähler durch Falschinformationen manipuliert werden, ob man diese Menschen aus ihren Blasen (natürlich Bubbles, schließlich sind wir anglophil) herausholen kann, im Sinne von „make facts great again“ (ohweh, die Deutschen).

Frau Prof. Simon meinte, Lügen müsse man entgegentreten, der professionelle Journalismus sei gefragt, er müsse die Lügen benennen und den Unterschied von Information und Desinformation aufzeigen.
Alles lieb und gut gemeint, dennoch klingt das alles hilflos.

Dann kam dieser Satz, der mich als Politikexperten aufhorchen ließ:
„Alle Demokratien sollen doch erhalten bleiben!“, entsetzte sich der brave Journalist.

Achja?
Wollen wir das?
Oder will das zumindest die Mehrheit der Bevölkerung?

Das ist zu bezweifeln. In Österreich wählten 30 Prozent Wählerinnen und Wähler eine Partei, die hier Orbansche, also diktatorische Verhältnisse aufbauen will.

Im Osten Deutschlands wählen ähnliche Menschen die putinfreundliche AfD, eine so autoritäre Partei, dass selbst Frankreichs Rechte nichts mit ihr zu tun haben will. (Wohl aber die FPÖ.)

In Italien zeigt eine rechte Partei ein freundliches Gesicht mit einer attraktiven Frau. So tolerant sind die Postfaschisten!

Auslaufmodell Demokratie?

Zurück zur Ausgangsfrage:
Wollen wir eine Demokratie? Oder lieber nicht?

Demokratie ist nämlich eine anstrengende Form des Zusammenlebens. Menschen müssen sich informieren, beispielsweise über Parteiprogramme. Die sind keine Trivialliteratur, vor allem, wenn man fragt, wer all diese Versprechungen finanzieren soll. Ein paar Beispiele gefällig?

Die Neos setzen auf Steuerreduzierungen für Unternehmen und glauben, dass das darauffolgende Wirtschaftswachstum die weniger gewordenen Steuereinnahmen durch höhere Gewinne ausgleicht. Wirtschaftsfachleute glauben das nicht. Ist aber egal.

Die ÖVP hat in etwa das gleiche vor.

Die FPÖ imitiert Trump:
„Österreich zuerst“ (= MAGA) lautet der erste Satz des sogenannten Parteiprogramms. Dann folgen Begriffe wie Freiheit (in einer Festung Österreich), Marktwirtschaft, deutsche Sprach- und Kulturgemeinschaft und die Familie als Hort der Gesellschaft. (Die meisten Gewalttaten geschehen übrigens im Familienbereich, ein höchst gefährlicher Ort also! Der katholische Familienverband schreibt, dass 75% aller Österreicherinnen bis zum Alter von 16 Jahren körperliche und psychische Gewalt erleben.)

Nur die SPÖ tanzt aus der Reihe und will die reichsten Österreicher und -innen ein wenig besteuern, um Institutionen wie Schule, Gesundheitswesen etc. zu retten.
Das will auch eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, etwa 60%, aber die Demokratie hat eben dort ihre Grenzen, wo es um das Geld der Reichsten geht. Welcher Journalist fragt schon nach solchen Umfragen?

Ui! Was habe ich da grad geschrieben?
Demokratie hat Grenzen?
Die Stimme „des Volkes“ gilt nur innerhalb bestimmter Grenzen?
Also ist Demokratie gar nicht so demokratisch wie sie vorgibt?

Das ist möglicherweise eine Antwort auf die Frage, ob Demokratie überhaupt gewünscht ist.
Demokratie in der heutigen Form ist wohl ein Irrläufer der Geschichte und ein Wegbereiter für einen neuen Faschismus.

Demokratie in einer neuen Form ist leider noch nicht sichtbar.
Das vorläufige Zwischenergebnis sind ‚Führer‘ wie Trump, Orban, Erdogan, Khamenei, Putin, Meloni und etwa der kleine Kickl dazu.
Überwiegend Männer übrigens.
Zerstörer (und auch einige -innen) menschlicher, gar humanistischer Gesellschaften.

Das Ende der Welt ist (noch) nicht nahe.
Aber gefährlich wird die Zukunft jedenfalls.

Der Kunstbetrieb

Der Künstler malt, der Kunde freut sich über kommende Renditen

Der Künstler malt, der Kunde freut sich über kommende Renditen

Ein Betrieb ist ein Unternehmen, das auf Gewinn orientiert ist.
Kunst ist … tja, schwierige Frage. Sicher ist, Kunst ist erst mal nicht profitabel. Schiele, van Gogh etc. machten nicht sich, sondern bloß Galerien reich.

Es kann daher keinen Kunst-Betrieb geben. Und wie ist das mit dem Literatur-Betrieb?

 

 

Davon bitte mehr!

Eine Bekannte von mir arbeitete als Malerin. Es waren schöne und manchmal verstörende Bilder, die sie malte und irgendwie, dachte sie, wäre es fein, von ihrer Arbeit auch leben zu können.

Sie ging also von Galerie zu Galerie. Manche Galeristen hatten keine Zeit, andere lächelten nur und endlich fand sie einen, der ihre Bilder zumindest ansah. Er blätterte ihre Mappe durch – es war eine sehr umfangreiche Mappe – nickte bisweilen, lächelte anerkennend, unsere Künstlerin war bereits über solche dezenten Formen der Anerkennung nahezu glücklich. Dann nahm der Mann ein Blatt aus ihrer Sammlung und sagte:

„Davon müssen sie mehr machen. Dann nehme ich sie.“

Sie sah ihn entsetzt an, nahm ihre Mappe, verabschiedete sich – sie war ein höflicher Mensch – und ging aus der Galerie. So sah er also aus, der Kunst-Betrieb. Immer das Gleiche machen, nur nicht kreativ sein.

Was sie heute macht, weiß ich nicht. Ich habe ihren Namen jedenfalls auf keiner der großartigen Plakate gesehen, die für berühmte, meistens verstorbene Maler werben.

Und die Literatur?

Ziemlich ähnliche Situation. Ein Kollege schrieb ein sehr schönes Kinderbuch für Erwachsene und auch umgekehrt, ein Erwachsenenbuch für Kinder. Er fand viele Fürsprecher, aber keinen Verlag.

Meine Geschichte dazu geht so: Jene, die mein Manuskript ‚Heute gibt’s Tomatensuppe‘ gelesen hatten, fanden es spannend, schön zu lesen und überhaupt. Verlage hingegen waren skeptisch bis beleidigt, vor allem dann, wenn ich wissen wollte, warum genau sie das Buch nicht verlegen möchten. Eine offenbar ungehörige Frage.

Von einer Agentur erhielt ich immerhin ein tolles Lob, das mir den Literatur-Betrieb erklärte:
„Sie sind ein ausgezeichneter Erzähler, es macht Spaß, Ihren Text zu lesen. Trotzdem muss ich Ihnen leider absagen, da die Verlage im Moment leider keine Memoires mehr einkaufen, zumindest, wenn man nicht sechsstellige Followerzahlen auf Instagram hat oder sonst irgendwie berühmt ist.
Da bleiben gerade viele gute Autoren auf der Strecke.“

Ich weiß nun zwar immerhin, dass mein Buch ‚Heute gibt‘s Tomatensuppe‘ kein Roman, sondern ein Memoir ist, der Rest klingt so ähnlich wie das Urteil des Galeristen.

Merke:
„Ihr müsst einfach marktkonform denken, malen und schreiben.“ Ein Betriebswirt sein.

Künstlerinnen und Künstler wollen meist genau das nicht. Darum passen sie weder in den Kunst- noch in den Literatur-Betrieb.

Eine Freundin war Lektorin in einem ziemlich berühmten Jugendbuchverlag in Berlin. Wie das mit dem Kapitalismus so ist, irgendwann wurde der große Verlag von einem noch größeren übernommen, er heißt so ähnlich wie Zufall. Kaum übernommen, kamen schon die wichtigsten Anweisungen für künftige Autorinnen und Autoren. Der Anforderungskatalog beinhaltete Vorgaben wie „happy end“ und „kein Faschismus“ etc.
Meine Bekannte meinte, dann könne sie alle ihre Autorinnen und Autoren gleich kündigen. Sie tat es dann selbst und arbeitet seither als freie Lektorin.

Mein Buch wird daher – immerhin gibt es seit einigen Jahren diese nahezu demokratische Möglichkeit – bei BoD erscheinen. Ich arbeite seit Jahren mit BoD zusammen und bin immer wieder erfreut über das gute Ergebnis.

Präsentation von ‚Morgen gibt’s Tomatensuppe‘ ist im Herbst 2024 in der schönsten Buchhandlung aller Zeiten, der Wagnerschen Buchhandlung in Innsbruck.

Dass alles vergeht
ist vielleicht nicht das Schlimmste.
Aber warum ich?

Haiku aus dem Buch Fünf.Sieben.Fünf.

https://buchshop.bod.de/fuenf-sieben-fuenf-erich-ledersberger-97837448

Meine Wurzeln

Findet eure Wurzeln! Ich habe sie im Rucksack

Findet eure Wurzeln! Ich habe sie im Rucksack

Neulich las ich den Bericht über einen Mann, der endlich seine Wurzeln gefunden hatte.

Das fand ich toll. Aber, dachte ich, wo sind meine? Habe ich überhaupt welche?
Und wenn ich keine habe: Wer bin ich dann?

Ich begab mich also auf Wurzelsuche.

 

Identität und Wurzeln

Bis vor wenigen Jahren waren mir Begriffe wie Identität und Wurzeln, abgesehen von meinem botanischen Wissen, weitgehend unbekannt. Bäume, also unbewegliche Pflanzen, hatten Wurzeln, ebenso wie Löwenzahn oder Rosmarin. (Die Beispiele fallen mir bloß ein, weil ich in den Garten blicke.)
Aber Menschen?

Ich habe jedenfalls keine Wurzeln, ich bewege mich täglich von einem Ort zum anderen, manchmal nur vom Schlafzimmer in die Küche und dann zum Esstisch, aber das ist nur für meine Ärztin ein Problem.
Ich habe jedenfalls keine Zeit zum Wurzelschlagen.

Bin ich also ein Heimatloser? Ein Mann ohne Heimat? Ohne Vaterland? Gar ohne … Identität?

Mit einem Mal wurde mir klar: Ich bin ein Verlorener! Ohne Wurzeln, ohne Identität: Was sollte aus mir werden?

Das musste ich ändern!

Nach sechs Jahren intensiven Lateinunterrichts, vorgetragen von einem verwirrten Professor, war mir klar, dass Identität das immer Gleiche bedeutet. Wer sich ident ist, bleibt sein Leben lang der immer gleiche, meistens langweilige Mensch.

Ein ewiger Einheitsgatsch sozusagen.

Wenn ich mir jemals eine Identität erarbeiten konnte, bedeutete das, dass ich danach der immer Gleiche bliebe!
Immer ident.
Immer langweilig.

Eine schreckliche Vorstellung!

Nein, also dieser Idee konnte ich nicht folgen, ich beschloss, lieber keine Identität zu haben als irgendeine.
Aber die Wurzeln!
Die waren doch wichtig, wenn ich das ständige Suchen allerorten danach richtig interpretiere.

Also meine Wurzeln. Wo soll ich anfangen?
Ich wuchs in einem Arbeiterbezirk namens Simmering auf. Sind dort meine Wurzeln?

Ich rufe einen Freund aus Kindestagen an und frage ihn:
Was sind deine Wurzeln?
Schweigen am anderen Telefon.
Dann: „Host kane Probleme grod?“
Kurzum, von dem Mann konnte ich keine Hilfe erwarten. Also weitersuchen.

Ich habe von einer Frau gehört, die ihre Wurzeln bei ihren Ahnen suchte. Sie drang immer weiter vor in die Geschichte Europas, ja der Welt. Am Ende war sie überzeugt, dass ihre Wurzeln bei Eva und Adam lagen.
Aber was fing sie mit dieser Erkenntnis an?
Half es ihr in ihrem Leben?
Machte es sie glücklich?
Ich weiß es nicht.

Meine Ahnensuche begann gleich ums Eck, in der Tschechoslowakei. Das war ein Staat, den es einst im Norden von Österreich gab. Von dort waren meine Großeltern nach Wien gezogen, er Schuster, sie Hilfsarbeiterin in einer Fabrik, die in Favoriten lag.

Jeden Tag marschierte sie zwei Stunden von Simmering nach Favoriten und abends wieder zurück. Sie sprach Tschechisch und Deutsch, leider brachte sie mir nur ein einziges tschechisches Wort bei: Pomali.

Obwohl: ein schönes Wort, das heute einen schlechten Ruf hat.

Sind das meine Wurzeln?

Meine ALF findet: Ja!

Ich mache alles pomali, also langsam.

Damit liege ich auch voll im Trend der Zeit! Pomali heißt englisch slow und davon gibt es jede Menge.
Slow food, also pomali essen, slow brewingpomales Bier, slow radiopomali zuhören, wie immer das gehen soll, slow steaming, slow tourism undsoweiter, alles ganz pomali.

Zu slow loving fand ich auf Google leider keine Ergebnisse, obwohl ich diese Art der Freizeitbeschäftigung ebenfalls als sehr angenehm finden würde.

Egal, ich habe zumindest Teile meiner Wurzeln gefunden!

Ein erleuchtendes Wochenende, Pfingsten, wünscht euch
Ihr/euer Erich Ledersberger