Gespräch über den Pessimismus

Neulich redete ich mit meinem Freund Walter. Inter-faces. Also Aug in Aug. Wir sind etwas altmodisch und schalten unsere Handys aus, wenn wir unter uns sind. So kann uns niemand stören.

Es war nach einem Kabarettabend von mäßiger Lustigkeit und wie das so ist, wenn einen nichts ablenkt, kamen wir bald zu grundsätzlichen Themen. Vielleicht sollte ich schreiben: Wir widmeten uns essentiellen Themen? Damit es vornehm klingt? In Wahrheit fragten wir uns, was der Sinn des Lebens ist. Und wie wir ihn erreichen können.

Walter ist Unternehmer. Und sozial eingestellt. Ja, das gibt es. Auch ein wenig altmodisch. Konservativ, könnte man sagen. Walter kümmert sich um seine Lehrlinge, ihn entsetzt die Ahnungslosigkeit, mit der sie ihn konfrontieren, wenn sie keine Prozentrechnung lösen können. Und er fragt sich, wohin es führen wird, wenn lesen und schreiben keine Kulturtechniken mehr sind, sondern exklusive Fähigkeiten.

Walter ist Pessimist. Und ich bin in seinen Augen ein Optimist. Also ein Phantast. So sagt er das nicht, aber ich glaube, er meint es so.

„Wie soll unser Wohlstand erhalten bleiben, wenn wir weiter so wirtschaften? Abwirtschaften, besser gesagt. Die Jugendlichen können nichts dafür, wenn Bildung nichts wert ist. Aber was macht die Politik? Sie schaut zu. Wenn das so weitergeht, geht nichts mehr weiter. Wie willst du das ändern?“

Es ist schwer, auf solche Fragen zu antworten. Ich kann ja nichts ändern, wenn man von dem kleinen Bereich meiner Arbeit absieht. Ich habe keine Macht. Ich glaube bloß an die Vernunft der Menschen.

„Wo siehst du die?“, fragt Walter. „Wo siegt denn die Vernunft? Bei uns? Im Irak? In Afghanistan? In Israel?“

Da komme ich mir ziemlich dämlich vor. Glücklicherweise fällt mir Obama ein. Ein gutes Argument.

„Immerhin, in den USA wurde ein Präsident gewählt, der eine andere Politik verfolgt.“

Walter nickt. Irgendwie ist er froh, dass es hin und wieder einen Lichtblick gibt, der ihm entfallen ist.

„Und bei uns?“

Ich denke krampfhaft nach. Und schüttle den Kopf. Nein, bei uns ist das Licht am Ende des Tunnels höchstens der entgegenkommende Zug.

„Und woher nimmst du den Glauben, dass alles gut werden kann? Du hast doch eine rosarote Brille auf!“

Habe ich das? Nein. Ich glaube bloß an die Möglichkeitsform. Das Paradies ist möglich. Aber nicht wirklich. Und ob es wirklich wird, ist für mich nicht zu beantworten, weil ich dazu nicht alt genug werden kann. Erleben werde ich es sicher nicht.

„Ich kann mich an ein Buch von Camus erinnern, „Die Pest“. Nicht genau, aber immerhin an ein Gespräch, das der Journalist — ich glaube, es war ein Journalist — mit dem Arzt führt. Die Stadt ist von der Pest eingeschlossen. Menschen sterben am laufenden Band. Der Journalist will von dem Arzt wissen, warum er immer noch hier ist und glaubt, dass er die Krankheit besiegen könne. Am Ende siege bekanntlich immer der Tod. Und der Arzt antwortet: Ich weiß. Aber das hindert mich nicht daran, ihn zu bekämpfen.“

Vielleicht steht das etwas anders dort, ich habe es jedenfalls so verstanden.

Es gibt Menschen, die kennen nur die Wirklichkeitsform. Und solche, die kennen nur die Möglichkeitsform.

Ich möchte gerne dazwischen sein: In der Wirklichkeit leben und nicht vergessen, was alles möglich ist. Besser gesagt: möglich sein könnte. Ohne Träume ist der Alltag ein Albtraum. Und ohne den Blick auf die Wirklichkeit des größeren Teils der Welt, also Asien, Afrika und Südamerika, bleibt unsere Wirklichkeit unwirklich.

Walter nickt und lächelt milde.

„Du bist also ein getarnter Pessimist. Na dann: lass uns darauf noch ein Glas Rotwein heben, bevor es zu spät ist.“

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