Der Wirtschaftsflüchtling verhungert bloß.
Dem „wahren“ Flüchtling wird der Kopf abgeschnitten.
Chronologie eines Begriffs, der die í„rmsten von den Armen trennt. Teile und herrsche.
Teilen und herrschen
Es war in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, da schrieb ich Texte für das Schweizer Fernsehen. Die Sendung hieß „Die Nachtigall“ und lief, wie es sich für eine Satiresendung gehört, kurz vor oder noch besser nach Mitternacht.
Damals wurde gerade der Begriff des Wirtschaftsflüchtlings (wieder) modern. Er diente und dient dazu, Menschen zu teilen: In die „wirklichen“ Flüchtlinge, die damals sogar die Schweiz aufnahm, weil sie irgendwie die Menschenrechte einhalten musste, und in jene „unwirklichen“, die in fernen Ländern bloß verhungerten.
Letztere hatten kein Recht auf ein Leben in der wohlhabenden Schweiz.
Die Unterscheidung zwischen Menschen, die vor Dürre und Elend flüchten und jenen, die vor Bomben flüchten, war ein beliebtes Mittel, möglichst viele fernzuhalten. Allerdings war der Begriff „Wirtschaftsflüchtling“ noch nicht politisch anerkannt. Kritische Menschen gaben zu bedenken, dass beide Tode unangenehm sind.
Heute geht das Wort allen wie Butter von der Zunge. Vergessen die Zeit, da zum Beispiel die Tiroler in ihrer Heimat Geld bekamen, um als Wirtschaftsflüchtlinge in Brasilien zu landen.
Etwa 30.000 Tiroler emigrierten zwischen 1865 und 1939 dorthin. Und gründeten Dreizehnlinden, subventioniert durch das österreichische Landwirtschaftsministerium.
„Am 29. März 1933 wurde dazu die ‘Österreichische Auslandssiedlungsgesellschaft’ mit Sitz in Wien und Zweigstelle in Innsbruck gegründet, mit dem Ziel in Übersee geschlossene österreichische Siedlungen zu errichten.”
Dort frönen sie noch heute ihrer Landessprache, die daheim niemand mehr versteht, weil inzwischen ziemlich viele Jahre vergangen sind.
Österreichische Werte!
So wenig Drang zur Anpassung (vulgo Integration) scheint in Brasilien niemanden gestört zu haben. Seltsamerweise ist das im aufgeklärten (?) Europa kaum der Fall.
Genauer gesagt: Die Minderheit der Gegner von Toleranz, gar Nächstenliebe schreien lauter als die Mehrheit der Anhänger einer demokratischen und friedlichen Lebensweise.
Es ist Zeit, dass auch die Mehrheit laut wird. Die möchte nämlich keine Diktatur der Minderheit über die Mehrheit.
Und auch keine Pseudo-Nächstenliebe, wie sie der extrem wendige und sogar des Englischen kundige Präsidentschaftskandidat Khol definiert:
„Die Nächstenliebe kann aber nicht nur eine Fernstenliebe sein. Charity begins at home – wir müssen zuerst auf unsere Leut‘ schauen.“
Das gefiel dem obersten katholischen Geistlichen, Kardinal Schönborn, gar nicht. Er widersprach dem sich selbst christlich nennenden Seniorenpräsidenten, der Bundespräsident werden will.
„Zur Nächstenliebe, für Jesus das „šhöchste, erste und wichtigste Gebot‘, habe dieser auf die Frage, wer der „šNächste‘ sei, „šfreilich eine andere Antwort gegeben‘: Es gehe um den, „šder gerade in Not ist‘. Nächstenliebe praktiziere daher, „šwer nicht wegschaut, wenn andere Hilfe brauchen – egal, wie nahe oder fern sie mir stehen‘.“
Der so Gerügte fühlte sich auf der Stelle missverstanden und drückte sich nun noch deutlicher aus:
„Politisch Verfolgte, die z.B. nicht über sichere Drittstaaten kommen, also aus Slowenien oder Kroatien oder Italien, sondern mit dem Flieger aus der Türkei oder Libyen, haben immer Anspruch ohne jede Begrenzung.“
Keine Obergrenzen für politisch Verfolgte also, sie müssen halt mit dem Flugzeug einreisen. Ob er sich’s mit dieser Aussage verbessert hat, ist zu bezweifeln.
PS: Die Führerin der AfD, der Alternative für Deutschland, hat übrigens gestern verdeutlicht, was die Folge einer Obergrenze für Flüchtlinge bedeutet.
„Im Extremfall müssten Polizisten an der Grenze „auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz.“
Immerhin, die Frau sagt deutlich, was aus der Festlegung einer Obergrenze für Flüchtlinge konkret folgt.
Ich hoffe, Bundespräsidentschaftsanwärter Khol hat den Mut, das ebenfalls so deutlich auszusprechen.