Die Brüllaffen sind da!

Ich brülle, also bin ich!

Ich brülle, also bin ich!

Gerne erinnere ich mich an Leopold Stastny, den wunderbaren Teamchef des österreichischen Fußballteams.

Stoisch gab er Antworten wie „Taktik war richtig, nur Gegner hat anders gespielt“ oder: „Waren wir bessere Mannschaft, aber Gegner hat mehr Tore geschossen“.

 

Sport der Gefühle

An Stastny musste ich denken und dann an Josef Haslingers Buch aus der Waldheim-Ära, „Politik der Gefühle“. Der Rationalismus hatte ausgedient und wurde durch Gefühle ersetzt. Sie sind etwas Schönes, aber im Bereich von Politik und Wissenschaft eine Katastrophe. Heute muss, so verbreiten es sogenannte Politikberater, ständig an Gefühle appelliert und Emotionen geschürt werden.
Was für die Politik richtig ist, muss es auch für den Sport sein.

Wer jemals einen Thomas Müller über ein Tor brüllend jubeln sah oder einen Zwerev nach einem gewonnenen Satz, der ahnt: Wir unterscheiden uns von unseren nahen Verwandten kaum.

Allerdings vermute ich, dass dieses äffische Verhalten in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Leopold Stastny schreiend die Outlinie entlang rannte und diese seltsamen Ruderbewegungen mit den Armen vollführte. Auch eine Bierdusche hätte der vornehme Mann sich verbeten.

Interessant auch, dass Frauen von den Brüllattacken weniger betroffen scheinen. Abgesehen von der Tennisspielerin Monica Seles, die das Schreien beim Balltreffen international bekannt machte. Wenn ich mich richtig erinnere, protestierte Navratilova 1992 noch gegen das Gestöhne auf der Gegenseite. Seles nahm sich das gefühlvoll zu Herzen und unterlag später, mit weniger Gestöhn, Steffi Graf.

Heute stöhnen viele Damen, am lautesten Maria Sharapova, die geräuschmäßig angeblich an eine Kreissäge rankommt.
Ich möchte hier gar nicht über die sexuelle Bedeutung solcher Töne berichten, obwohl das sicher interessant wäre, mir geht es um die Bedeutung der Gefühle.

Arthur Janov, Sohn eines LKW-Fahrers, hat den Urschrei für eine Befreiung der Psyche gehalten. „Der Schmerz aus frühester Kindheit“ wird in die Welt gebrüllt und der Mensch befreit sich vom Elend seiner Kindheit.

Wenn aber die ganze Welt schreit, sind dann alle Menschen befreit? Thomas Müller, Alexander Zwerev und wie sie alle heißen, die brüllen, als hätte ein wildes Tier sie gebissen?
Und wenn ja: Warum brüllen sie immer weiter?

Die Welt ist lauter geworden, leider nicht im alten Sinn des Wortes, also rein, glänzend, hell, ungetrübt, aufrichtig, sondern als Steigerungsstufe von laut. Warum der Mensch zum Lautsein neigt, ist rätselhaft. Ich erinnere mich an einen Artikel, der von Menschen in Südamerika berichtete, die Gegenden mögen, in denen es besonders laut ist. Die Grundstückspreise dort lagen angeblich weit über dem Durchschnitt.

Krach als Preistreiber?

Schnelle Antworten habe ich im Internet zu dem Thema „Warum wir laut sind“ nicht gefunden, vielleicht eine Fragestellung für eine Habilitation?

Ich für meinen Teil mochte große Lautstärke nie. Ich erinnere mich an ein Konzert, vermutlich von Blood, Sweat & Tears, in der Wiener Stadthalle. Genau weiß ich es nicht mehr, ich war wohl so um die 20 und wollte auch einmal ein Konzert einer wilden Gruppe besuchen. Die Band hatte einen LKW voller Verstärker und Lautsprecherboxen ausgeladen und ich ergatterte einen Platz irgendwo hinten.
Dann ging es los.

Nach einer halben Stunde verließ ich die Halle. Draußen war es merkwürdig still, bis allmählich mein Hörvermögen wieder zurückkehrte.
Nie wieder kaufte ich Karten für eine Band, die einen LKW Verstärker für ihre Musik brauchte.

Viele mögen‘s laut

Vielleicht liegt des Rätsels Lösung ja in der Kleinkinderpsychologie. Eine Logopädin erklärt, dass der Einsatz der eigenen Stimme für Kleinkinder wichtig ist.
Da sie keine andere Möglichkeit zur Kommunikation haben, brüllen sie eben. Schreien ist für sie die einzige Ausdrucksform. Im Laufe der Jahre lernen sie, ihre Stimme zu variieren, zu modulieren.

Offensichtlich – besser offenhörlich – lernen das nicht alle. Sie werden Sportler, seltener Sportlerinnen. Vermutlich bekamen sie in ihrer Kindheit zu wenig Aufmerksamkeit. Männer scheinen auch auf diesem Gebiet benachteiligt, denn das Brüllen in der Öffentlichkeit ist ihnen ein großes Anliegen. Frauen eifern ihnen nach, aber sie haben noch nicht das Niveau des zweiten Geschlechts erreicht. Thomas Müller wird lautstärkenmäßig nur von seinem Landsmann Zwerev übertroffen.

Es scheint übrigens auch einen Unterschied zwischen Nationen und Klimagebieten zu geben. Während US-Amerikaner bei jeder sich ergebenden Gelegenheit brüllen – selbst Pommes frittes von Mc Donalds entlocken ihnen Freudenschreie – agieren Skandinavier zurückhaltend.

Wer den Tennisspieler Ruud, Norwegen, nach seinem Sieg im Halbfinale über Zwerev gesehen hat, verstand die Welt der Brüller nicht. Der Norweger freute sich schlicht und einfach und brüllte NICHT!
Ein seltsamer Mensch – oder bloß ein erwachsener?

In diesem Sinn:
bleibt nachdenklich
Ihr/euer
Erich Ledersberger