Schweden möchte weniger digitale Medien im Unterricht verwenden und mehr Bücher!
Diese Nordländer. Keine Ahnung von Bildung und Bürokratie, aber immer alles besser wissen.
Dabei wissen bekanntlich wir alles besser. Digitalisierung ist super! Alles wird gut!
Aus der Praxis
Denken wir an früher so komplizierte Dinge wie Kurzparkzonen. Wer sein oder ihr Auto dort einst abstellen wollte, musste in Wien mühsam einen Zettel ausfüllen und ihn hinter der Windschutzscheibe gut sichtbar anbringen.
Dagegen heute! Schnell eine App aus dem Internet runtergeladen und etliche Datenschutzbestimmungen angekreuzt, zum Lesen ist keine Zeit, wird schon passen. Schon muss ich mich nur noch anmelden.
Ah, ich soll zuerst eine Zahl eingeben, die mir per Mail geschickt wird. Dauert nur wenige Minuten oder bis zu einer halben Stunde, wenn das Internet gerade Mittagspause macht. Schnell den Account öffnen, tatsächlich, Mail ist schon nach 15 Minuten angekommen und das Passwort, also die mitgeschickte Zahl, eingeben. Die lautet…
Moment. Wie lautet die? Fünf Buchstaben vermischt mit Zahlen lautet sie. Das Kurzzeitgedächtnis ist ein Hund, vor allem in meinem Alter nach Absolvierung einer Chemo. Ich tippe eine Zahl ein.
Falsches Passwort. Okay.
Also nochmals.
Höchste Konzentration jetzt. Das neue Passwort kommt ganz schnell. Leider findet mein Handy die Antwort wieder falsch. Ach so, ich habe das Passwort des alten Mails eingegeben. Kein Problem, ich fordere ein neues Passwort an. Dieses Mal notiere ich es und tatsächlich: Es ist geschafft. Ich bin drin, wie vor wenigen Jahrzehnten Boris Becker sagte, als er seinen Internet-Anschluss bekam.
Jetzt nur noch Name, Adresse, Telefonnummer, Mailadresse und Ort, an dem ich in Zukunft kurzparken möchte, eingeben und schon bin ich Besitzer meiner Handy-App. Hm. Falls ich in Wien parken möchte, soll ich ein Guthaben erwerben. Das geht schon wieder ganz einfach, ich muss bloß meine Kreditkarte eingeben. Wenig später bekomme ich ein Mail, in dem ich bestätigen soll, dass ich Inhaber der Kreditkarte bin. Ich schwöre bei Gott und allen Heiligen, dass dem so ist. Das hilft.
Diese Woche möchte ich allerdings in Innsbruck parken. Ebenfalls kein Problem, ich muss nur in den persönlichen Eigenschaften den Ort ändern. Das gelingt mir, schließlich bin ich ein kundiger Benützer der neuen digitalen Geschenke der Industrie. Allerdings steht der neue Ort noch nicht auf meinem Handy. Ich mache mir also ein Abendbrot und nach einem Neustart passt alles.
Dummerweise kann ich in Innsbruck kein Guthaben eröffnen, sondern der Betrag wird mir von meiner Handyrechnung abgebucht. Nicht nur der, dazu kommt eine Servicegebühr – den Namen kenne ich von meiner Handyrechnung – von etwa 20 Prozent.
Parken per Handy ist in Innsbruck nicht nur einfach, sondern auch teurer als mit einem Zettel.
Ich werde noch darauf hingewiesen, dass ich beim digitalen Parken in Innsbruck unbedingt einen analogen Zettel in mein Auto legen muss, der darauf hinweist, dass ich ein Handy fürs Parken verwende. Andernfalls gelte meine Bezahlung nicht. Damit die Sache nicht zu einfach wird, gibt es hierorts andere Anbieter, die wiederum andere Zettel verlangen.
Was passiert, wenn ich in anderen Städten der Republik unterwegs bin, weiß ich nicht, ich habe bereits jetzt eine Stunde für die Vereinfachung durch Digitalisierung aufgebracht.
Aber das ist nicht alles, auch die Bildung wird durch Digitalisierung immer einfacher und besser. Sogar lesen und schreiben sollen unsere Kinder dadurch können, vor allem dank Microsoft und Apple.
Bildung digital?
Ich war eine Zeitlang Mitglied einer Arbeitsgruppe, die sich mit neuen österreichischen Lehrplänen befasste und auch damit, wie toll digitale Medien dafür geeignet seien. Es ging, was in Österreich häufig der Fall ist, um einen Ausblick in eine Zukunft, die wenig bis nichts mit der Realität zu tun hatte.
Als Einstieg meldete ich mich für eine Veranstaltung zum Thema digitale Medien in Graz an. Ein engagierter Sektionsrat referierte begeistert über die blendenden Aussichten für die Schulen durch die „neuen“, also digitalen Medien. Als der Sektionschef den Raum verdunkeln wollte, bemerkte er, dass die Jalousien sich nicht bewegten. Außerdem wurde es immer kühler, es war Winter und die Kosten für eine angenehme Raumtemperatur nicht finanzierbar. Da wurde sogar der engagierte Sektionschef nachdenklich und meinte:
„Vielleicht hätten wir doch mehr in funktionierende Räume statt in funktionierende EDV investieren sollen.“ Wobei der Hinweis von „funktionierender EDV“ ein Euphemismus war.
In der Arbeitsgruppe für die neuen Lehrpläne ging es auch darum, wer in Zukunft Schülerinnen und Schüler im Bereich EDV unterrichten sollte. Technokraten, die vor allem Programmieren unterrichten würden oder Lehrpersonen (so lautet die unverfängliche und geschlechtsneutrale Bezeichnung neuerdings), die noch irgendwie einen oder gar mehrere Gedanken an den Sinn von Bildung verschwendeten. Die Gruppe der Neutralen, denen alles wurscht ist, war nicht eingeladen, zumindest das ein Glück für das gruppendynamische Miteinander.
Der Kampf Technikgläubige gegen Anhänger der Pädagogik ging in die erste Runde. Ich war als Verfechter pädagogischer Inhalte einberufen worden und hatte einen gewichtigen Gegenspieler. Rudi – der echte Name ist der Redaktion bekannt – war ein Mann des Konzerns Microsoft. Mit allen Mitteln versuchte er, dessen Programme einigermaßen unauffällig in die Schulen zu implementieren. Er sprach von grandiosen und vielfältigen Vorzügen für die Bildung durch Digitalisierung. Man müsste sich bloß in die wohlmeinenden Hände des Konzerns begeben und schon würde Österreich durch Bildung erblühen.
Jeder Schülerin und jedem Schüler ein Microsoft-Tablet und schon wäre alles paletti.
Wir saßen uns also freundlich lächelnd gegenüber, jeder wusste vom anderen, was er wollte. Ich wollte, dass Schluss ist mit diesem Glauben an die Technik, er wollte, dass seine Microsoft-Aktien weiter steigen.
Übrigens oder BTW: Ich verwendete und verwende Computer gerne. Das Internet gibt mir Möglichkeiten zur Recherche, die ich niemals zuvor hatte. Ich erstellte Lern-Videos für den Unterricht, damit die Schülerinnen alleine arbeiten und mich fragen konnten, wenn etwas unklar war. Und das war oft der Fall. Ich hatte mich nicht überflüssig gemacht, wie manche Kollegen befürchteten. Zwischendurch kam ich mir merkwürdig unnütz vor. Die Schüler arbeiteten so intensiv, dass ich staunte. Manche waren schnell, manche langsam, dann half die Nachbarin oder, wenn gar nichts mehr ging, eben ich. Es war ein toller Unterricht.
Die EDV ist tatsächlich in manchen Bereichen ein unglaublicher Gewinn für Erkenntnis.
Sie ist, auf der anderen Seite, eine entsetzliche Niederlage für die Vernunft.
Das Internet wird bekanntlich nicht für Erkenntnisgewinn und humanistische Ideale verwendet, sondern vor allem für den Besuch von Pornoseiten und unsozialen Medien. Die vernichten die Aufklärung und bringen uns zurück in jene Zeiten, als der Mensch des Menschen Wolfs war.
So gesehen sind digitale Medien kein Fortschritt, sondern Rückfall in längst vergangene Zeiten. Kinder werden, so die Befürchtung, zu „postmodernen Einzellern“.
Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik, weist in der NZZ auf weitere Irrtümer hin, etwa dass der Lernerfolg durch Tablets und Co gesteigert wird.
„Leider ist das Gegenteil der Fall: Seit über zehn Jahren gehen gerade in Deutschland die Lernleistungen zurück, die Quoten derjenigen steigen, die nicht einmal die Mindeststandards beim Lesen, Rechnen und Schreiben erreichen, soziale Auffälligkeiten nehmen zu und auch psychosomatische Erkrankungen wie Essstörungen und Online-Spielsucht. Und dennoch geht die Bildungspolitik den Weg, der in diese Bildungskrise geführt hat.“
Auch die Idee der Nachhaltigkeit wird vom Einsatz der Neuen Medien gründlich konterkariert. Das Internet verbraucht andauernd Energie in unglaublichen Mengen. Bereits 2014 waren es 4,6 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs, das Internet belegte damals den sechsten Platz hinter Staaten wie China und USA. Man kann davon ausgehen, dass der Energieverbrauch seither nicht geringer geworden ist. Tablets, Whiteboards, Beamer und Laptops tragen das Ihre zum Klimawandel bei.
Auch die individuellen Krankheiten sind nicht zu verachten: „Zwar verstehen sich Kinder heute auf digitale Medien, aber nicht mehr auf ihren Körper.“
Die Liste an Störungen lässt sich erweitern, ich möchte stattdessen von einem klugen Menschen schreiben, der als EDV-Experte knapp am Nobelpreis vorbeischrammte, Joseph Weizenbaum. Er wäre 2023 hundert Jahre alt geworden und der Umgang mit Computern brachte ihn schon Mitte der 1960er Jahre zur Verzweiflung. Damals erfand er am MIT etwas, das heute als erster Chatbot gehandelt wird: Menschen geben etwas ein, die Maschine antwortet ihnen.
Eliza war ein Programm, in dem Fragen eingegeben wurden und ein digitaler Psychotherapeut antwortete. Meistens wiederholte er die Frage in einer etwas anderen Form, wenn er ratlos war, fragte er: Können Sie mir mehr darüber erzählen? Es war eine Parodie auf einen Dialog zwischen Psychiater und Klient.
Weizenbaum fasste das Programm als intellektuelle Spielerei auf, aber die Psychotherapeuten waren begeistert. Sie wollten es für ihre Praxis nutzen. Weizenbaums Verzweiflung darüber war so groß, dass er ein ganzes Jahr mit einem Wohnmobil durch die USA fuhr, um sich vom Schock über den Geisteszustand studierter Psychologen zu erholen.
Und heute sprechen erwachsene Menschen von künstlicher INTELLIGENZ! Wahrscheinlich müsste Weizenbaum angesichts dieses Ausdrucks ein Jahrzehnt mit dem Wohnmobil um die Welt fahren und danach ein Segelboot besteigen.
Für die Pädagogik hatte er einfache Ratschläge, etwa diesen: Es fördert nicht das Verständnis, wenn Jugendliche Programme ausführen. Viel sinnvoller ist es, wenn sie einen Computer zusammenbauen. Sie lernen dabei, wie ein Computer funktioniert, nämlich nach genau nachzuvollziehenden Befehlen von Menschen. Der Besucher einer Website, der raffinierte Fragen stellte, konnte die dortige KI eines Lieferservices immerhin dazu bringen, dass sie endlich die Wahrheit sagte, nämlich dass dieser Lieferservice der schlechteste der Welt ist.
Dass Maschinen intelligent sind oder gar kreativ, diesem Unsinn konnte Weizenbaum nichts abgewinnen. Kurz vor seinem Tod meinte er:
„Es ist eine Katastrophe, dass die meisten meiner Kollegen glauben, wir könnten einen künstlichen Menschen herstellen. Und dieser unglaubliche Blödsinn hat auch mit Größenwahn zu tun. Es kann sein, hätte ich damals gewusst, was ich heute weiß, dass ich gesagt hätte: Ach in dieser Branche möchte ich gar nicht sein.“
Das wäre schade gewesen. Immerhin wiesen er und weisen andere darauf hin, dass der Glaube, Computer, Tablets und Co förderten das Lernen, ein Irrglaube ist.