So sind wir nicht – korrupt. Oder doch?

Unser Ex- und Alt-Kanzler

Unser Ex- und Alt-Kanzler

Natürlich könnte ich, wie jeder  ehrliche Bürgery, mich über die derzeitige politische Situation in Österreich erregen.

Die Skandale, die laut ÖVP keine sind, sondern ausschließlich Einzelfälle, haben jene Zahl überschritten, die längerfristig im Gedächtnis der Wählerinnen und Wähler bleiben.

 

 

Ein paar Stichworte

Erregung etwa über einen Präsidenten in Mussolini-Haltung, der sich weigert, zurückzutreten, obwohl gegen ihn ermittelt wird; über einen Fraktionschef, der kurzhaarig die ÖVP zu einem nachhaltigen Unschuldslamm erklärt; über einen ÖVP-Abgeordneten, der 1,5 Millionen Euro Staatshilfe, also Steuergeld, erhält, obwohl sein Unternehmen im ersten Corona-Jahr den Gewinn um 380.000 Euro steigern konnte ; über einen Immobilienspekulanten mit abgebrochener Schulausbildung, der 10,2 Millionen Euro Steuergeld von uns bekommt, ein Mann, der sich gleichzeitig Dividenden von 100 Millionen Euro ausbezahlt hat – die Liste ist so lang, dass ich sie nun beende.
Ich möchte versuchen, diesen Verhaltensweisen genauer auf die Spur zu kommen.

 

Wien 1987, unten

Fangen wir mit subjektiven Erlebnissen an.
Als ich Mitte der 80er Jahre von Deutschland nach Wien zurückkehrte, mietete ich eine Wohnung. Ich war unvermutet Alleinerzieher geworden, es musste also schnell gehen. Die Miete überschritt den gesetzlichen Rahmen, aber ich hatte keine Wahl.

Ich arbeitete damals als freiberuflicher Schriftsteller und benötigte dringend ein Telefon. Das war damals in Wien nahezu ein Luxus. Es war jene Zeit, in der es noch sogenannte Viertel-Telefone gab. Vier Kunden teilten sich eine Telefonleitung. Wenn einer telefonierte, konnten drei andere nicht telefonieren.
Außerdem benötigte es einige Zeit, bis man selbst einen Viertelanschluss von der Post bekam, man ging im Durchschnitt von ein paar Monaten aus.

Die Maklerin, die mir die Wohnung vermittelte, sagte mir:
‚Wenn Sie dringend ein Telefon brauchen, müssen Sie zu ihrem Betreuer gehen. Oder zu ihrer Betreuerin. Je nach Geschlecht bringen Sie eine Schachtel milde Sorte oder eine große Bonboniere mit.‘
Ich war sprachlos.
‚Das kann ich nicht‘, antwortete ich. Der Gedanke, mit einer Bonbonniere oder einer Stange Milde Sorte jemanden zu bestechen, war absurd. Beides kostete ein paar Schillinge, ein lächerlicher Betrag. Und der sollte helfen?
Sie sagte:
‚Wollen sie ein Telefon oder nicht?‘

Ich dachte einige Tage nach und entschloss mich dann, in die Postzentrale zu gehen. Mein Betreuer, stand auf einem Taferl zu lesen, war ein Mann. Ich begann zu schwitzen. Sollte ich tatsächlich? Und wie macht man das? Lege ich die Schachtel Zigaretten auf den Schreibtisch? Schicke ich sie per Post? Schiebe ich sie ihm verstohlen unter dem Schreibtisch durch?
‚Gehen Sie einfach hinein und geben Sie ihm die Stange Zigaretten‘, hatte meine Maklerin gesagt.
Irgendwie schaffe ich es tatsächlich und legte die Milde Sorte schlicht auf den Schreibtisch. Mein Betreuer nahm sie entgegen, öffnete eine Schublade und schob die Stange hinein.
Es entstand nicht der Hauch einer Peinlichkeit.

Eine Woche später kam ein Mann von der Post und ich hatte einen ganzen Telefonanschluss, keinen Viertelanschluss. Der Mann schraubte an diversen Kästchen und fragte mich erstaunt:
‚Haben Sie Protektion?‘
Ich verneinte überzeugend. Eine Stange Zigaretten konnte keine Protektion sein.

Diese Zeiten sind vorbei. Zumindest auf den unteren Ebenen. Damals ging selbst die Ausstellung eines Zulassungsscheines für das Auto schneller, wenn man in sein Ansuchen einen 20 Schilling Schein steckte. Diese Einkommensquellen ist heute versiegt.

Unten.

 

Wien 2022, oben

Ob ein grinsender Nationalratspräsident, der von nichts weiß und sich unschuldig wähnt oder ein ehemaliger Kanzler, der mindestens genauso unschuldig ist wie sein ehemaliger Finanzminister: Die Republik Österreich zeigt sich als als Bananenrepublik, angesichts seiner Größe besser als Zwetschkenrepublik.

Darüber kann man sich entsetzen, durchaus zu Recht, viel entscheidender ist die Frage, wie kommen solche intriganten Menschen in solche Positionen?

Nehmen wir den Ex-Kanzler Kurz. Als junger, aber doch erwachsener Mann stellte er eine Kampagne vor, die Wien geil machen sollte, siehe Foto. Zu diesem Zweck fuhr er mit einem Geilomobil (ja, tatsächlich!) und ein paar feschen Mädels durch die Stadt.
Für einen pubertierenden 14-jährigen ein netter Traum aber für einen erwachsenen Mann? Von den „revolutionären“ Forderungen des geilen Mannes nur eine Andeutung: Das Alter für Ordensverleihungen soll von derzeit 50 Jahren gesenkt werden, damit Auszeichnungen auch für Jungpolitiker ermöglicht werden.

Ab diesem Zeitpunkt hätte jeder denkende Mensch sagen müssen, dieser Mann gehört in den Zirkus oder sonst wohin, nur nicht in die Politik, wo er womöglich viel Schaden anrichten kann.
Das Gegenteil geschah. Alle möglichen Menschen umjubelten ihn ekstatisch, er wurde zu einer Art Messias der Konservativen. Prominente umzingelten ihn, Prediger lobten seine Weisheit. Der Schwadroneur und seltsam gekünstelte Lächler galt als Wunderwuzzi der Politik. Sogar im Ausland!

Kein Kind war da, das sagte: Der ist ja nackt.

Welches System ist es, das solchen Menschen eine Chance gibt? Der gescheiterte Kurz ist ja nicht der einzige. Meloni, Johnson, Trump: es sind viele, die die Menschen in den Untergang führen.

Auch in den dazwischen liegenden Ebenen findet dieser Vorgang statt. Man betrachte etwa den österreichischen Bildungsminister. Oder meinen Schuldirektor. Ein an sich netter Mensch mit durchaus guten Eigenschaften, der, kaum hatte er sein Amt einige Zeit inne, sich zu einem, na egal, sagen wir es so: seltsamen Menschen entwickelte, der alle seine Ziele aus den Augen verloren hatte.

Verdirbt der Mensch das Amt oder das Amt den Menschen?

Wie ist all das möglich?
Leben wir nicht im Zeitalter der Vernunft?

Nein. Offenbar nicht.

Es gibt einige Thesen, die den Aufstieg von Intriganten, Narzissten und anderen psychisch verwirrten Menschen zu erklären versuchen.
Dazu mehr in der nächsten Kolumne mit unterschiedlichen Thesen.
Schöne Tage

PS: Nicht vergessen – in zwei Monaten ist Weihnachten. Bitte viel unnötiges Zeugs einkaufen, damit es der Wirtschaft gut geht!

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